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Die Kino-Kritker: «Die Frau im Mond»

Es ist schwer, einen Film mit Marion Cottilard zu finden, der nicht ein gewisses Grundniveau erreicht. Doch die Romanadaption «Die Frau im Mond» erweist sich in sämtlichen Bereichen als größtmöglich gescheitertes Unterfangen.

Filmfacts: «Die Frau im Mond»

  • Kinostart: 2. März 2017
  • Genre: Drama/Erotik
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 120 Min.
  • Kamera: Christophe Beaucarne
  • Musik: Daniel Pemberton
  • Buch: Jacques Fieschi, Nicole Garcia
  • Regie: Nicole Garcia
  • Darsteller: Marion Cotillard, Louis Garrel, Alex Brendemühl, Brigitte Roüan, Victoire Du Bois
  • OT: Mal de pierres (FR/BEL/CAN 2016)
Im vergangenen Jahr lief Nicole Garcias erotisches Melodram «Die Frau im Mond» auf dem Filmfestival von Cannes. Sogar im Rennen um die prestigeträchtige Auszeichnung Palme d’Or, die „Goldene Palme“, ist ihr Film gewesen, doch der Preis ging zu Recht an jemand anderen. Zu Recht deshalb, weil der eigentliche Titel des dem Drama zugrunde liegenden Buches hier Programm ist: Der Roman der italienischen Schriftstellerin lautet im Original nämlich «Mal di pietre», was so viel wie „Schmerz des Steins“ oder „Felsschmerz“ bedeutet. Dieser Titel findet seine Herkunft so zwar tatsächlich in der Geschichte, in welcher die Hauptfigur Gabrielle von Nierensteinen geplagt wird, doch vor allem beschreibt er das Empfinden des Zuschauers, das sich im Laufe der sich mindestens doppelt so lang anfühlenden zwei Stunden einstellt. Der französischen Regisseurin und Schauspielerin Nicole Garcia («Weekend für zwei») Behäbigkeit vorzuwerfen, wäre noch untertrieben; «Die Frau im Mond» ist nicht bloß ein durch und durch träges, verhärmtes und ausgerechnet von Marion Cottilard überraschend teilnahmslos gespieltes Unterfangen. Die Filmemacherin begeht zudem den großen Fehler, den Roman an einigen Stellen so abzuändern, dass gen Ende eine ziemlich bittere Kernaussage zurückbleibt. Dass die damit einhergehende, frauenfeindliche Moral ausgerechnet auf den Mist einer Frau gewachsen ist, möchte man sich gar nicht erst vorstellen.

Frankreich, Anfang der vierziger Jahre


Die junge Gabrielle (Marion Cottilard) träumt von der vollkommenen Liebe und löst zu einer Zeit, in der Ehen weniger aus Liebe als zur Absicherung geschlossen wurden mit ihrer früh erwachten Sexualität einen Skandal aus. In ihrem bäuerlichen Heimatort wird sie für verrückt gehalten, bis ihre Eltern sie mit dem Saisonarbeiter José (Àlex Brendemühl) verheiraten, der sie zu einer achtbaren Frau machen soll. Gabrielle fühlt sich lebendig begraben. Als man sie wegen ihrer zerbrechlichen Gesundheit in ein Sanatorium in die Alpen schickt, erweckt der im Indochina-Krieg verwundete Leutnant André Sauvage (Louis Garrel) erneut das in ihr drängende Bedürfnis nach leidenschaftlicher Liebe. Nach Jahren in einer starren Vernunftehe schein Gabrielle ein spätes Glück vergönnt…

Wenn nicht einmal Marion Cottilard («Allied – Vertraute Fremde») einen vor den Augen des Publikums scheiternden Film zu retten vermag, muss einiges im Argen liegen. Selbst kaum gelungene Produktionen wie das franko-kanadische Dialog-Drama «Einfach das Ende der Welt» oder die allenfalls auf optischer Ebene gelungene Videospielverfilmung «Assassin’s Creed» kann die 41-jährige Oscar-Preisträgerin mit Leichtigkeit um einige qualitative Nuancen in die Höhe treiben, doch im Falle von «Die Frau im Mond» scheint selbst die gebürtige Pariserin irgendwann nicht mehr an das Projekt geglaubt zu haben. Da Cottilard den Film zudem vollkommen allein auf ihren Schultern tragen muss, ist es Nicole Garcias Drama nahezu unmöglich, Berührungspunkte mit dem Zuschauer entstehen zu lassen. Marion Cottilard agiert ungewohnt mechanisch, lässt die ihrer Figur innewohnende Melancholie von ihrem Gesicht Besitz ergreifen und scheint selbst dann nicht aus dieser Lethargie zu erwachen, als es die Handlung eigentlich verlangt. «Die Frau im Mond» ist das zweistündige Porträt einer seelisch toten Frau, gefangen in einem Korsett aus familiären Erwartungen und Vorwürfen, die das szenenweise Aufbegehren der Figur Gabrielle direkt wieder im Keim ersticken. Da genau diese Momente jedoch eher theatralischer Hysterie gleichkommen, ist es kaum verwunderlich, dass die Hauptfigur kein Mitgefühl, sondern Unverständnis hervorruft. Sympathien für die ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch teilnahmslos agierende Protagonistin zu entwickeln, ist schier unmöglich.

Nicole Garcia macht schnell deutlich, dass ihr eher weniger daran gelegen ist, sich hier mit dem Thema weiblicher Selbstbestimmung auseinanderzusetzen. Stattdessen drängt sie ihre Figur in eine unangenehme Passivität und viel schlimmer: Durch die fehlende Verurteilung dieses Zustands scheint all das im Film gezeigte lediglich die selbstverständliche Folge weiblicher Aufmüpfigkeit zu sein. Das ist jedoch nur ein Vorgeschmack auf das, was sich im Schlussakt (der eher einer Pointe gleicht) als Moral über den Zuschauer ergießt. Aus Spoilergründen sei die Auflösung von «Die Frau im Mond» an dieser Stelle trotz der meilenweit gegen den Wind zu riechenden Idee nicht verraten, doch wenn die Quintessenz jene ist, dass Frauen mit eigenem Willen zwangsläufig nicht ganz richtig im Kopf sein können, ist es schon fraglich, ob man jenen überhaupt erleben möchte.

Ein ganz und gar frauenfeindlicher Film


So aber erstreckt sich das fragwürdige Charakterdrama satte zwei Stunden über die Leinwand, das immer wieder mit Szenen aufgepeppt wird, die zwei gänzlich unterschiedlichen Filmen entlehnt scheinen, an beide jedoch zu keinem Zeitpunkt herankommen: Da wäre zum einen Gore Verbinskis im Laufe dieser Woche erscheinender Psychothriller «A Cure for Wellness». Wenn Gabrielle im Mittelteil von «Die Frau im Mond» ein Wellnesshotel in den Schweizer Alpen aufsucht, ihre Kur dort vornehmlich aus der Zuführung von Wasser besteht und das Personal um sie herum alles andere als vertrauenserweckend aussieht, wünscht man sich direkt einen Verbinski-typischen Twist herbei, um das Szenario aus einem Blickwinkel zu sehen, der das Leinwandgeschehen vielleicht doch noch erträglich macht. Während «A Cure for Wellness» aus Zeitgründen jedoch nicht als Vorbild herhalten konnte, scheint ein anderer Film doch noch offensichtlicher Pate gestanden zu haben: Lars von Triers «Nymph()maniac».

Ähnlich der vierstündigen Odyssee durch die sexuelle Lebens- und Leidensgeschichte einer Nymphomanin setzt auch «Die Frau im Mond» auf viel nackte Haut, die Marion Cottilard gern bereit ist, zu zeigen. Ihr hier an den Tag gelegtes Selbstbewusstsein, gepaart mit dem Mut zu natürlicher Schönheit gehört zu den rar gesäten Pluspunkten, wenngleich sich durchaus die Frage aufdrängt, was die einzelnen Nackt- und Sexszenen überhaupt in dem Film zu suchen haben. Um den erotischen Subtext des Dramas zu unterstreichen, bleiben sie in letzter Instanz zu vage und auch zu willkürlich, doch um einfach nur die körperliche Anziehung zweier Liebender zu unterstreichen, ergötzt sich die Kamera zu lang und zu ausgiebig an den hier vorgeführten Liebesakten. Schon in der aller ersten Szene, in welcher Marion Cottilard inmitten eines Sees ihre Scham entblößt und die Kamera deutlich einfängt, wie das Wasser ihre Schamlippen umhüllt, bleibt die Intention dahinter vollkommen unklar, denn wieder aufgegriffen wird diese Szene nicht und auch zur Formung des Charakters beitragen tun derartige Momente nie.

Nicole Garcia verrennt sich mit ihrer filmischen Nahaufnahme einer geschundenen Frauenseele vollkommen, versucht vielfach, Szenen unkommentiert für sich sprechen zu lassen und scheitert doch genau aus diesem Grund auf ganzer Linie. Ihre Hauptfigur, mit der sämtliche Regungen stehen und fallen müssen, ist tatsächlich nicht mehr als eine leere Hülle. Und auch, wenn das die Ausgangslage der Geschichte noch ganz gut treffen würde, bleibt diese fehlende Emotionalität bis zuletzt enthalten; irgendwie lässt «Die Frau in Mond» das Publikum dann nämlich doch nicht an mehr teilhaben, als an satten zwei Stunden Selbstmitleid.

Fazit


Neben der fast schon frechen Botschaft hinter «Die Frau im Mond» ist Nicole Garcias Erotikdrama ein unerträglich prätentiöses, teilnahmslos gespieltes Porträt einer Frau, für die man partout keine Sympathien aufbringen kann. Wenn nicht einmal Marion Cottilard dem entgegen wirkt, sind tatsächlich Hopfen und Malz verloren.

«Die Frau im Mond» ist ab dem 2. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
28.02.2017 15:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/91489
Antje Wessels

super
schade


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