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«Der Bergdoktor»: Sehnsucht der Generation Apokalypse

Wie im Märchen: Einst von Sat.1 verschmäht, setzt der ZDF-«Bergdoktor» seit Jahren ein Ausrufezeichen nach dem anderen. Wie kam es überhaupt dazu? Und was treibt aktuell über sieben Millionen Deutsche in die österreichischen Berge?

Bergdoktor-Fakten

  • Remake der gleichnamigen Sat.1-Serie von 1992-1997 (96 Episoden)
  • Episodenzahl bisher: 95 & ein Special (seit 2008)
  • Darsteller: Hans Sigl, Siegfried Rauch, Mark Keller u. a.
  • Titelsong: "Patience" (Take That)
  • Produktionsfirma: neue deutsche Filmgesellschaft (ndF)
Es war einmal ein kleiner, aufstrebender Privatsender, der sich mit einem bodenständigen und volksnahen Stoff einen Namen machte, den großen öffentlich-rechtlichen Platzhirschen damit das Wasser abgrub, schließlich ohne erkennbare Not an seinen eigenen fehlgeleiteten Ambitionen scheiterte und rund zehn Jahre später mit ansehen muss, wie die Konkurrenz mit dem eigenen Kind von Erfolg zu Erfolg eilte - das ist definitiv ein Stoff, aus dem Fernsehmacher(alb)träume sind. Und doch ist es eigentlich nur wahre, deutsche Fernsehgeschichte.

Sieht der Eine den Wald vor lauter Bäumen nicht...


Die Verantwortlichen bei Sat.1 dürften bei einer ehrlichen Rückschau einige Tränen verdrücken. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden 1992 gemessen, als der Original-«Bergdoktor» Montags um 20.15 Uhr die Fernsehzuschauer in Scharen zum Bällchensender lockte. Sogar die Umbesetzung der Hauptrolle ließ den Erfolg nicht abreißen. Dennoch entschied man sich, die Serie einzustellen. Die Mehrzahl des Publikums lag schlicht über dem gewünschten Altersschnitt.

Nun ist es durchaus nicht so, dass der TV-Markt sich seitdem großartig gewandelt hätte. Noch immer schielen die Sender fast krankhaft auf die eigene, klar definierte Zielgruppe, noch immer werden beliebte und gute Formate auf den TV-Friedhof geschickt, weil eben doch nur 89 Prozent dieser Zielgruppe des Einschaltens willig sind. Gerade in werbedominierten und -finanzierten Gefilden ist die Suche nach einer bestimmten Menschengruppe weniger Ziel, denn Verpflichtung.

Doch sollte man deswegen nicht hinterhältig auf die Quoten zu schauen, die Sat.1 am Montagabend aktuell einfährt. Der Fernsehmarkt hat sich verändert und viele Faktoren bedingen, dass dort im Vergleich zu früher nur noch rund zwei bis zweieinhalb Millionen Menschen einschalten. Dennoch gelingt es dem damals vermeintlich untauglichen Format eben auch heute noch, bei der Konkurrenz (ebenfalls an einem Werktag) mehr als sieben Millionen Zuschauer zu begeistern. Sat.1 hatte mit dem «Bergdoktor» das Pendant zu RTLs «Ein Schloß am Wörthersee» mit Roy Black gefunden. Familientaugliche Massenunterhaltung mit zwei mehr als charmanten Hauptdarstellern (Gerhard Lippert und Harald Krassnitzer). Zu entscheiden, dass dieses Format trotz des allgemeinen Erfolgs nicht (mehr) ins eigene Programmschema und Anspruchsdenken passt, war vollkommen legitim. Auch wenn es sich mit dem Abstand von 20 Jahren vielleicht als Fehlentscheidung herausgestellt haben mag.

... freut sich der Andere


Dem ZDF war dieses Denken in jedem Falle fremd, als man sich nahezu zehn Jahre später die Rechte sicherte und 2008 ein Remake an den Start schickte. Mit Schauspieler und Kabarettist Hans Sigl («SOKO Kitzbühel») fand man ein geeignetes Zugpferd, stellte ihm Ex-«Traumschiff»-Kapitän Siegfried Rauch zur Seite und warf noch Schauspieler und Sänger Mark Keller («Alarm für Cobra 11») in den Mix.

Der neue «Bergdoktor» entpuppte sich schnell als verlässlicher Renner im Abendprogramm, wenngleich natürlich auch hier von Beginn an der Großteil der Zuschauer aus der weniger werberelevanten Gruppe der Älteren kam. Nur stimmte hier eben die Mischung aus Anspruch und Realität. Der Senderschnitt in der Zielgruppe ist erstens im ZDF ein ganz anderer als der, den Sat.1 damals anstrebte, und zweitens sind in der werbefreien Zeitzone der Öffentlich-Rechtlichen derartige Überlegungen ohnehin zweitrangig.

Dennoch: «Der Bergdoktor» liefert sogar im Bereich der Jüngeren und führt die Sendung regelmäßig deutlich über Senderschnitt. Die aktuelle neunte Staffel erreichte mehrfach über sieben Millionen Zuschauer beim Gesamtpublikum und somit einen Marktanteil von um die 20 Prozent! Bei den Jüngeren reichte es immerhin konstant für Werte zwischen 900.000 und 1,4 Millionen und somit teilweise zu fast zehn Prozent bei den 14 bis 49-Jährigen. Alpenkult für alle! Nur warum?

Einfach mal raus, raus, raus


Wenige Serien-Remakes sind in der Lage, in einer gänzlich anderen Zeit an alte Erfolge anzuknüpfen. Warum gelingt es gerade dem «Bergdoktor» so spielerisch?

Die Begründung findet man unter Umständen in der weltpolitischen Lage. Als «Der Bergdoktor» 1992 an den Start ging, war mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Kalte Krieg endlich beendet worden. Die Menschen atmeten weltweit auf und sehnten sich nach unbeschwerteren Zeiten. Diese Sehnsucht drückte sich auch in den TV-Formaten aus. Ob vom Wörthersee oder aus den österreichischem Bergen - heile Welt war schlicht angesagt. Heitere Geschichten, fest verwurzelt in der Identität des Landes, Charaktere wie aus der Nachbarschaft oder der eigenen Familie. Hier fand man sich wieder, hier durfte man Eintauchen und die Seele baumeln lassen. Mit diesem Ansatz hatten in den Achtzigern auch schon «Diese Drombuschs», «Die Wicherts von Nebenan» oder «Ich heirate eine Familie» funktioniert.

Wer nicht gerade in der gezeigten Region Zuhause ist, wird in die Fernweh-Kategorie fallen. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet man beim «Das Traumschiff», bei US-Serien wie «Zoo» oder Shows wie «Dschungelcamp» oder «Adam sucht Eva». Raus aus dem Alltag, hinein in unbekannte, wunderbare Landschaften. Und wer in den Bergen Zuhause ist, schaut ohnehin - aus Verbundenheit. Ein vergleichbares Phänomen findet sich bei der regionalen Verteilung der Fans verschiedener «Tatort»-Ableger.

Doch auch die Figuren nehmen einen großen Teil am Erfolg ein. Hans Sigl spielt den Arzt aus der Großstadt mit Authentizität und hohem Wiederkennungswert. Zudem schöpft er die Sehnsucht der Menschen nach Verlässlichkeit, Kompetenz und Führung ab. Wie sein Kollege Dr. Sander auf der MS Amadea ist auch Dr. Gruber ein Fels in der Brandung für Patienten, Nachbarn, Kollegen, Freunde und Familie - der Arzt, den man gerne aufsucht. Der Arzt, den man gerne selber um die Ecke hätte.

Auch heute sorgt die tägliche Nachrichtenbelastung in Hinblick auf Krisen oder Terror dafür, dass die Menschen sich diese Identifikationsfiguren und Oasen suchen. Ob «Traumschiff», Pilcher-Verfilmung oder «Bergdoktor» - Formate, die uns durchatmen lassen, die Freude und Entschleunigung in unsere Wohnzimmer bringen, die das Menschliche in den Fokus rücken und sich nicht zu schade sind, dafür ein paar Klischees mehr, als vom Arzt empfohlen, zu verschreiben, haben ihren Erfolg mehr als verdient. Gesunde Vielfalt ist die Devise. Der Zuschauer entscheidet - egal ob jung oder alt.

«Der Bergdoktor» läuft im Normalfall Donnerstags im ZDF um 20.15 Uhr. Die letzte Episode der aktuellen Staffel lief gestern. Die Serie gibt es aber auch auf Abruf bei Amazon Prime und auf DVD.
03.03.2017 10:40 Uhr Kurz-URL: qmde.de/91503
Björn Sülter

super
schade

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