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Christian Rach: 'Die Testeritis wird den Zuschauern irgendwann zu viel'

Der Sternekoch erläutert im Quotenmeter.de-Interview, wieso er nicht mehr «Der Restauranttester» ist, wie er zum Spannungsfeld zwischen Kritikern und dem Publikum steht und wie er sich den geringen Erfolg seiner Formate über bessere Ernährung erklärt.

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Vermutlich wird es zu einer Konsolidierung kommen, sterben wird das Medium aber nicht. Es wäre ja auch schrecklich, wenn wir all unsere Informationen aus einer einzigen Quelle beziehen würden.
Christian Rach darüber, ob das Fernsehen durch die Online-Konkurrenz beeinflusst wird
Wie erleben Sie den Wandel, den der Einfluss des Internets auf das Medium Fernsehen in den letzten Jahren genommen hat?
Ich finde, dass sich das Fernsehen und das Internet wunderbar ergänzen. Es ist doch völlig wurscht, wo sich der Zuschauer letzten Endes informiert. Man sollte nicht immer alles in Konkurrenz setzen. Es gibt Leute, die lesen ihre Zeitung nur noch auf dem Tablet, und es gibt andere, die sagen, dass sie das Papier in der Hand brauchen. Vermutlich wird es zu einer Konsolidierung kommen, sterben wird das Medium aber nicht. Es wäre ja auch schrecklich, wenn wir all unsere Informationen aus einer einzigen Quelle beziehen würden.

Was uns ja zum Thema von «Rach Undercover» zurückführt, gewissermaßen. Internetbewertungsportale werden zwar von vielen Usern gespeist, dennoch bedeutet die Beliebtheit solcher Seiten, dass sich viele Menschen nur noch auf einen Quellentypus verlassen …
Ja. Und ich fürchte, dass die professionellen Kritiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Ich bin zum Beispiel großer Fan vom Guide Michelin. Das ist der seriöseste aller Restaurantführer, die Kollegen da haben Ahnung, sind unglaublich toll geschult, haben ein gutes Auge und verfügen über großes Wissen. Aber für mich als Verbraucher ist es, erst recht in der heutigen Zeit, sehr schwer, auf einen einzigen Erscheinungstermin im Jahr zu warten. Der Michelin geht ja gebietsweise vor. Die Tester gehen nicht etwa punktuell in ganz Deutschland um, sondern fallen immer in der Gruppe irgendwo ein. Warum macht man keine permanente Veröffentlichung? Das würde die Aktualität unglaublich verbessern, es wäre immens publikumswirksam und es würde auch den Druck bei den Gastronomen hoch halten. Denn dann wissen sie nicht, ob die Tester gerade ihre Runde in Norddeutschland machen oder im Süden oder sonstwo. Das hätte etwas Seriöses und wäre zugleich total modern. Immer zu warten, bis im November die neue Ausgabe kommt, ist einfach nicht zeitgemäß. Darauf möchte doch niemand mehr warten. Was, wenn ich im Oktober nach Stuttgart fahre und wissen will, was da los ist? Der Guide Michelin genießt zwar das Ansehen, weil die Verantwortlichen Ahnung haben, aber in Sachen Aktualität sind solche Userportale meilenweit vorbeigezogen.

Und dann kommt, vermute ich, noch ein Punkt hinzu: Bereits uns Film- und Fernsehkritikern wird gelegentlich vorgeworfen, am Publikum vorbeizuschreiben. Das wäre nun eine ellenlange Diskussion, das aufzuschlüsseln. Aber das Vorurteil besteht jedenfalls, und ich habe den Eindruck, dass im Gastro-Bereich das Klischee der snobistischen Kritiker noch mehr vorherrscht …
Jeder hat das Recht, eine öffentliche Leistung, die angeboten wird, zu kritisieren. Das möchte ich in keiner Weise beschneiden. Aber ich kann den Hobbykritikern ja Tipps geben. Und der wichtigste ist: Nicht in der Situation selber posten! Manche machen das ja schon, wenn sie im Restaurant gerade vom Tisch aufstehen und auf dem Weg zur Toilette sind, damit sie sofort alles loswerden, was ihnen gerade vielleicht nicht so ganz gepasst hat. Man sollte immer erst einmal nach Hause fahren, runterkommen, und dann erst überlegen, was man postet. Egal, ob gut oder schlecht. Darum, schlechte Kritiken fertig zu machen, sollte es niemals gehen. Der Umgang mit Kritiken ist ja ganz erstaunlich. Um auf Ihr Metier einzugehen: Ich habe vor eineinhalb Wochen die Kritiken zu «Batman v Superman: Dawn of Justice» gelesen, und der wurde durch die Bank weg zerrissen. Anfang dieser Woche wurden dann die Einspielergebnisse vom ersten Wochenende vermeldet … Und: Der Film hat in seinem Genre praktisch alle Rekorde gebrochen.

Genau, und dadurch wurde eine nicht kleine Debatte losgetreten, was Kritiken denn überhaupt leisten …
So ist das auch mit dem Grimme-Preis. Der wird ja auch gern von gewissen Leuten mit Häme bedacht, dass sich da nur Filme und Dokumentationen durchsetzen, die kein Mensch freiwillig guckt. Das ist natürlich bescheuert, das so zu sagen. Es gibt halt auch viele Produktionen über anspruchsvolle Themen, mit denen sich nicht jeder auseinandersetzen möchte. Da schafft so etwas wie der Grimme-Preis Orientierung, wo es sich vielleicht trotzdem lohnt, rein zu blicken. Und siehe da: Dieses Jahr hat eine wunderbare RTL-Produktion gewonnen, bei der ich Feuer und Flamme war – «Deutschland 83». Aber das hiesige Publikum hat sie nicht geliebt. Spannend wäre die Frage, ob dieselbe Serie bei ZDF plötzlich hohe Zuschauerzahlen erhalten hätte …

Man stelle sich vor, dass Deutschland nur noch das einig Schnitzelland wäre und es nur noch Schnitzel gäbe, weil ja alle Schnitzel lieben. Natürlich ist das Schnitzel etwas Großartiges. Aber leider sind die meisten Schnitzel nicht gut gemacht, und hinzu kommt, dass es sich lohnt, mal rechts und links über den Schnitzel-Tellerrand zu blicken, weil es auch Raffinierteres, Spannenderes und Aufwändigeres als Schnitzel gibt, bei dem sich das Probieren lohnt. Ich denke, das leisten Kritiken von Profis. Ob nun im Bereich Fernsehen, oder Gastronomie …
Christian Rach
Die Frage stellen sich tatsächlich viele …
Daher ist das fatal, wenn Leute denken, Kritiker würden gegen das Publikum arbeiten, oder alternativ, dass das Publikum eh nie das sehen will, was Kritiker mögen. Auch, wenn dann mal ein verrissener Film wie «Batman v Superman» die Kassen klingeln lässt. Trotzdem haben mir die Kritiken den Film unglaublich nahe gebracht! Ich habe ihn nicht gesehen, weiß jetzt aber, wie er vonstattengeht und ob er was für mich ist. Das ist gar kein Widerspruch, eine professionelle Kritik zu haben und Dinge am Erfolg zu messen. Es ist richtig und legitim, wenn jemand professionell etwas bewertet, und dabei zu einem Urteil kommt, das vielleicht dem Publikumsandrang widerspricht. Und ich möchte das auch gar nicht missen! Man stelle sich vor, dass Deutschland nur noch das einig Schnitzelland wäre und es nur noch Schnitzel gäbe, weil ja alle Schnitzel lieben. Natürlich ist das Schnitzel etwas Großartiges. Aber leider sind die meisten Schnitzel nicht gut gemacht, und hinzu kommt, dass es sich lohnt, mal rechts und links über den Schnitzel-Tellerrand zu blicken, weil es auch Raffinierteres, Spannenderes und Aufwändigeres als Schnitzel gibt, bei dem sich das Probieren lohnt. Ich denke, das leisten Kritiken von Profis. Ob nun im Bereich Fernsehen, Film oder Gastronomie …

Muss sich dennoch Ihrer Meinung nach etwas ändern, damit es zum Beispiel nicht mehr heißt: „Ich will nicht ins Sternerestaurant, das ist mir zu schickimicki, und satt wird man da auch nicht. Diese Restaurantkritiker sollen auch mal meinen Lieblingsitaliener loben!“? Der Ruf des Publikums „Ich will mich in der Kritik wiedererkennen!“, egal in welchem Metier, ist in Foren ja oft zu vernehmen …
Das wäre so, als würde man sagen, dass sich die professionelle Filmkritik ändern muss, damit sie dem Publikum durchweg gefällt. Das wäre der völlig falsche Ansatz. Das ist ja das Schöne. Wir nehmen ja auch keine Satire vom Sender oder aus dem Netz, nur weil sie Erdogan nicht gefällt. Ein Kritiker sollte da ansetzen, wo der Kritiker, glaubt, ansetzen zu müssen, wenn er das, was es zu bewerten gilt, mit Sachverstand und Empathie konsumiert hat. Die Empathie gehört einfach dazu. Empathie bei der Betrachtung eines Films, eines Buches, eines Ereignisses oder eines Essens auszuschalten, wäre fatal. Deswegen heißt die Sendung auch nicht «Deutschlands bestes Restaurant», sondern «Deutschlands Lieblingsrestaurant»! Denn in einem Lieblingsrestaurant dürfen Fehler passieren.

Ein Kritiker sollte da ansetzen, wo der Kritiker, glaubt, ansetzen zu müssen, wenn er das, was es zu bewerten gilt, mit Sachverstand und Empathie konsumiert hat. Die Empathie gehört einfach dazu. Empathie bei der Betrachtung eines Films, eines Buches, eines Ereignisses oder eines Essens auszuschalten, wäre fatal.
Christian Rach
Das heißt: In einem Lieblingsrestaurant kommt es auf die Gesamtheit an, auf die Atmosphäre, die widergespiegelt wird. Der Ansatz ist da nicht, ob ich in New York oder sonstwo schon einmal ein besseres Steak gegessen habe. Der Ansatz ist schon, dass das Steak super sein muss, aber es darf auch Mal eine Pommes versalzen sein oder das Wasser zu warm oder zu kalt … Denn viel wichtiger sind die Begrüßung, die Bedienung, die Atmosphäre und der Wohlfühlfaktor. Dazu gehört auch die Kompetenz des Services: Weiß mein Gegenüber, dass ich heute von einem anstrengenden Redaktionstag zu ihm komme und gestresst bin, oder weiß er, dass ich morgen entspannt und lachend Arm in Arm mit meiner Frau die Tür rein komme? In einem Lieblingsrestaurant werde ich dem entsprechend behandelt, und das ist das Erfolgsgeheimnis. Ich muss mich da fühlen wie im eigenen Wohnzimmer, ich muss die Lust verspüren, unter dem Tisch heimlich die Schuhe auszuziehen und mich einfach drei Stunden lang wohlzufühlen. Das ist ein Lieblingsrestaurant! Selbstverständlich dürfen die da keinen Scheiß zum Essen servieren. Fehler dürfen aber passieren.

Auf der nächsten Seite erklärt Christian Rach, weshalb «Rach Undercover» nicht fortgeführt wird, was der häufigsten Fehler unter den «Rach, der Restauranttester»-Gastronomen war, und was die größte Herausforderung an der Produktion seiner Helfer-Dokusoap dargestellt hat.
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02.04.2016 11:39 Uhr Kurz-URL: qmde.de/84682
Sidney Schering

super
schade

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Tags

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
02.04.2016 18:07 Uhr 1
Krass, tolles und schönes, langes Interview!!
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