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Christian Rach: 'Die Testeritis wird den Zuschauern irgendwann zu viel'

Der Sternekoch erläutert im Quotenmeter.de-Interview, wieso er nicht mehr «Der Restauranttester» ist, wie er zum Spannungsfeld zwischen Kritikern und dem Publikum steht und wie er sich den geringen Erfolg seiner Formate über bessere Ernährung erklärt.

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Die Seriosität steht bei mir im Vordergrund. Wir machen natürlich eine Unterhaltungssendung, das ist der Auftrag des Senders, aber wir möchten das seriös umsetzen.
Christian Rach
Was steht für Sie an, nachdem Sie Deutschlands Lieblingsrestaurant gefunden haben?
Ich habe eine Menge Pläne in den Startlöchern stehen, aber: Ich bin nun ein halbes Jahr lang von Flensburg bis Garmisch, von Görlitz bis Aachen hin und her gereist. Und ich habe am Tag fast immer zwei Mal gegessen. Ich brauche jetzt erst einmal zwei, drei Wochen lang eine Pause. Und dazu zuhause Schwarzbrot mit Tee.

Gehört eine zweite Staffel «Rach Undercover» zu den Projekten, die in den Startlöchern stehen, so passioniert, wie Sie über das Format sprechen?
Der Sender und auch ich würden an und für sich sehr gern eine Fortsetzung davon drehen. Dem würde überhaupt nichts im Weg stehen. Bis auf die journalistische Aufgabe, die Netzkritiker zu finden, die dann nicht in einen Selbstdarstellungswahn verfallen und sich freuen: „Boah, ja, jetzt komme ich endlich ins Fernsehen!“ Wir möchten mit Leuten arbeiten, die öffentlich und zudem hoffentlich selbstkritisch zu ihrer zunächst anonym veröffentlichen Meinung stehen. Diese Personen zu finden ist aber nahezu unmöglich.

Das ist eine ungeheuerlich schwere, redaktionelle Aufgabe, diese anonymen Personen erst einmal ausfindig zu machen und die dann wiederum auszusieben, um die zu finden, mit denen man arbeiten kann. Wir wollen daraus ja keine Farce machen. Die Seriosität steht bei mir im Vordergrund. Wir machen natürlich eine Unterhaltungssendung, das ist der Auftrag des Senders, aber wir möchten das seriös umsetzen. Und das bedeutet, dass wir niemandem auf den Leim gehen wollen, der vielleicht im Internet irgendeinen Quatsch geschrieben hat, nur in der Hoffnung, sich dann bei uns in den Vordergrund zu spielen. Alternativ besteht die Gefahr, dass Leute, die von ihrer übertriebenen Kritik überzeugt waren, nun im Härtetest nicht weiter hinter ihr stehen. Nicht, weil sie unsere Finten erkennen, wohl aber, weil sie wissen, dass wir ganz genau nachprüfen, wie viel Ahnung sie mitbringen. Daher bleibt die Staffel wohl eine einmalige Sache.

Um thematisch ein paar Jahre zurück zu rudern: Was war der häufigste Fehler, den die Gastronomen aus «Rach, der Restauranttester» begangen haben? Ergo: Was müssen Gründer in dem Bereich dringend lernen, so dass es gar nicht erst so weit kommt, dass sie Hilfe holen müssen?
Das größte Problem war die Betriebswirtschaft. Fast alle, die ich besucht habe, hatten gar keine Ahnung von betriebswirtschaftlichen Belangen, kaum einer konnte eine BWA lesen. Das war der rote Faden, der sich durch die ganzen Jahre gezogen hat. Es waren gute Köche dabei, es waren absolute Nullinger dabei. Aber an der Betriebswirtschaft sind sie fast alle gescheitert. Dabei gehört die einfach dazu. Gut zu kochen und ein guter Gastgeber zu sein, reicht nicht.

Als Zuschauer hätte ich nun ehrlich gesagt darauf getippt, dass das häufigste Problem ausufernde Speisekarten waren. Das Schlankmachen des Menüs kam ja auch in sehr, sehr vielen Ausgaben vor.
Das liegt daran, dass diese absurden Speisekarten eine Konsequenz dessen sind, dass die Leute kein Gespür für Zahlen haben. So entstehen diese „Ja, aber …“-Situationen. Dann heißt es: „Wir haben aber diesen Stammgast, der einmal im Monat Hering isst.“ Wenn ein Kunde einmal im Monat kommt und Hering isst, lohnt es sich doch nicht, den immer auf Vorrat zu halten. Und so entstehen in vielen Lokalen unnötige Kosten für den Kauf und die Aufbewahrung von Waren, die aber nicht wieder über die Theke gehen.

Ich habe in meiner ganzen Zeit beim Fernsehen nicht ein einziges Mal ein Drehbuch abgegeben. Natürlich sage ich dem Sender und der Produktionsfirma vorab: So, wir fahren nach Klein-Bittersdorf, da ist ein Restaurant, und bei dem stimmt was nicht. Aber das war es schon. Dann bin ich vor Ort, und ich lasse erst da die neue Situation auf mich wirken. [...] Es gibt viele Kollegen, die versuchen, das zu kopieren. Und ich meine, dass es bei Einigen schon arg gespielt ist. Aber bei mir ist das keine Masche, ich bin einfach so. Und ich finde, das spürt der Zuschauer.
Christian Rach
Was mir vor allem in Ihrem Umgang mit den manchmal etwas störrischen Gastronomen aufgefallen ist: Ich finde, Sie fallen nicht in dasselbe Schema wie viele andere Helfer-Dokusoap-Macher. Sie sind schon, und das meine ich nicht negativ, etwas kantiger. Sie reiben sich auch zwischendurch mit den Leuten, ohne sie gleich fertig zu machen. In diesem Genre ist der Tonfall gern glatter …
Der Hintergrund ist: Ich habe in meiner ganzen Zeit beim Fernsehen nicht ein einziges Mal ein Drehbuch abgegeben. Natürlich sage ich dem Sender und der Produktionsfirma vorab: So, wir fahren nach Klein-Bittersdorf, da ist ein Restaurant, und bei dem stimmt was nicht. Aber das war es schon. Dann bin ich vor Ort, und ich lasse erst da die neue Situation auf mich wirken. Ich bin da so wie ich als Typ bin, und ich glaube, das spürt der Zuschauer. Bei mir ist es so, dass meine Augen auch die des Zuschauers sind. Das kann man sich nicht vornehmen, das kann kein Drehbuchautor so schreiben.

Es gibt viele Kollegen, die versuchen, das zu kopieren. Und ich meine, dass es bei Einigen schon arg gespielt ist. Aber bei mir ist das keine Masche, ich bin einfach so. Und ich finde, das spürt der Zuschauer. Er bemerkt es, wenn jemand nur so tut, und er merkt es, wenn etwas echt ist. Ich vermeide nun das Wort „authentisch“, weil ich es hasse, wie inflationär es mittlerweile gebraucht wird. Aber ich will es „ehrlich“ nennen. Ich bin vor der Kamera ehrlich. Wenn ich lachen muss, lache ich halt, und wenn mich etwas aufregt, dann verziehe ich halt ein genervtes Gesicht. Ich bin kein Schauspieler, so etwas habe ich nie gelernt. Aber ich habe keine Angst vor der Kamera, weshalb ich vor ihr so ehrlich sein kann. Und hinzu kommt, dass ich niemand fertig machen oder vorführen will. Wenn ich ein Problem sehe und es mich frustriert, dann biete ich immer einen Ausweg an. Das ist meine Aufgabe.

Das Verzichten auf ein Skript bedeutet für Sie dann aber umso mehr Arbeit im Schnitt …
Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich Ärger mit dem Schnitt habe! Dauert wird mir gesagt, dass hier und da ein Übergang fehlt. Ich erwidere immer: „Ja, dann gibt es halt keinen Übergang!“ Wir sind es aber so sehr gewohnt, dauernd einen Schwenk von A nach B zu machen oder eine narrative oder visuelle Brücke zu bauen … Daher hat der Schnitt die meiste Arbeit an meinen Sendungen. Die müssen aus dem ohne Vorgaben gedrehten Material etwas Schlüssiges und Sehenswertes schaffen, das dennoch nicht sinnentstellend sind. Daher versuche ich immer, mit den Besten der Besten zu arbeiten, die man im Schnitt haben kann. Denn wir machen auch keine Nachdrehs, wo ich noch einmal die selben Klamotten mitnehme und irgendwelche Einstellungen wiederhole, damit die Sendung flüssiger abläuft oder besser aussieht. Das ist für den Schnitt zuweilen eine gewaltige Herausforderung.

Sagen wir, eine Ausgabe hat drei mögliche Erzählweisen, weil für jede genug Material vorhanden ist, das man zusammenstellen kann, ohne den Sinn zu verfälschen. Ich wähle am Ende des Tages immer den Ansatz, der die Lösung unterstreicht. Das ist die Geschichte, die ich erzählen will.
Christian Rach
Wenn die Sendung erst im Schnitt Gestalt annimmt, wann und wie entscheiden Sie dann, welchen Schwerpunkt eine Ausgabe hat? Eine Struktur muss eine Sendung ja letztlich schon gewinnen.
Das Narrative hat mehrere mögliche Äste. Sagen wir, eine Ausgabe hat drei mögliche Erzählweisen, weil für jede genug Material vorhanden ist, das man zusammenstellen kann, ohne den Sinn zu verfälschen. Ich wähle am Ende des Tages immer den Ansatz, der die Lösung unterstreicht. Das ist die Geschichte, die ich erzählen will. Alles andere, was wir gefilmt haben, ist zwar auch passiert, doch das, worauf es ankommt, ist der wirklich zur Lösung hin beschrittene Weg. Deswegen habe ich bei «Rach, der Restauranttester» immer mit einer einzelnen Kamera gearbeitet. Manche finden, dass das schon verfälscht, aber das sind diejenigen, die nicht verstehen, wie wichtig es ist, eine Situation aus der Perspektive der Kamera zu beobachten. Mehr als eine Kamera habe ich beim «Restauranttester» aber nie zugelassen, weil sich viele dadurch einschüchtern lassen. Und das war ja nie Sinn der Sache. Mein Gegenüber soll Vertrauen zu mir aufbauen, nur so finden wir eine Lösung, und nur wenn wir eine Lösung finden, kristallisiert sich rückblickend die Geschichte heraus.

Mein Gegenüber soll Vertrauen zu mir aufbauen, nur so finden wir eine Lösung, und nur wenn wir eine Lösung finden, kristallisiert sich rückblickend die Geschichte heraus.
Christian Rach
Bei «Deutschlands Lieblingsrestaurants» wird dieser Ansatz aber wegfallen. Jedenfalls denke ich, dass Lieblingsrestaurants keine Probleme haben werden, die gelöst und nacherzählt werden müssen ...
Das nicht, aber es gibt immer Geschichten zu erzählen. Es haben sich Sternelokale beworben, Imbisse, Italiener, Griechen, Chinesen, Deutsche … Und bei allen stellte sich die Frage, was das Besondere an ihnen ist. Wir haben uns dem so angenähert, dass alle Restaurants einen Fragebogen bekommen haben, der so gemacht war, dass in sehr vielen Kategorien 1 bis 10 Punkte verteilt werden konnten. Von der Begrüßung hin zur Inneneinrichtung und so weiter. Und auch Vorspeisen, Hauptspeisen, Nachspeise … 380 Punkte konnten die Restaurants insgesamt machen, und wir haben die Kategorien so genau eingeteilt, weil ich dann differenziert betrachten konnte, was jedes einzelne Restaurant so ausmacht. Wenn es in einer Kategorie mal nur zwei Punkte gab, war das überhaupt kein Problem! Das bedeutete nur, dass ich umso konkreter wusste, wo der Schwerpunkt des Restaurants liegt. Die Atmosphäre ist sowieso immer subjektiv. Aber wenn ich dem Zuschauer etwas Nachvollziehbares über das Schnitzel oder die Spaghetti erzählen kann, dann ergibt das einen spannenden Beitrag.

Und um sicherzugehen, dass man mir nicht das beste Schnitzel serviert, und den frischesten Fisch, und sich der Koch, nur weil ich da bin, mehr Mühe beim Gemüse gibt, haben wir gleichzeitig zu meinem Besuch zusätzlich normale Gäste in unserem Auftrag in das Lokal geschickt.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Standardgästen ab?
Die haben wir vorab über das Netz kontaktiert. Wir haben da nach Leuten Ausschau gehalten, die uns aushelfen wollen, um eine Alltagssituation im Restaurant zu erschaffen. Mal haben wir ein Pärchen gesucht, mal eine Familie, und die sollten einen üblichen, das Restaurant aber etwas herausfordernden Besuch abhalten. Begleitet von versteckten Kameras, während ich mit dem normalen Fernsehteam da bin. Da sollte einer mal eine andere Beilage ordern, oder extra scharf, oder ohne Knoblauch, oder in freundlichem Ton das Fleisch zurückgeben lassen, weil es zu kalt ist. Nichts wildes, aber Dinge, die ein Lieblingsrestaurant hinbekommt, auch wenn das Fernsehen da ist. Hätte ich eine Sonderbehandlung bekommen, wären diese Gäste die Ersten, die den Unterschied bemerken.

Herr Rach, herzlichen Dank für das spannende Gespräch.
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02.04.2016 11:39 Uhr Kurz-URL: qmde.de/84682
Sidney Schering

super
schade

95 %
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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
02.04.2016 18:07 Uhr 1
Krass, tolles und schönes, langes Interview!!
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