Ist Sterbebegleitung schlichtweg nur Mord? Der Schweizer «Tatort» stellt ethische Fragen und flieht dann in eine Fließband-Rachegeschichte.
Cast & Crew
- Regie: Sabine Boss
- Darsteller: Stefan Gubser, Delia Mayer, Fabienne Hadom, Martin Rapold, Anna Schinz, Sebastian Krähenbühl, Martin Butzke, Andreas Matti
- Drehbuch: Josy Meier, Eveline Stähelin
- Kamera: Michael Saxer
- Schnitt: Stefan Kälin
- Musik: Fabian Römer
- Produktionsfirma: C-Films AG
Das Thema Sterbehilfe findet in der öffentlichen Debatte aktuell gefühlt weniger intensiv statt als noch vor wenigen Jahren, an Zunder hat es aber noch immer nicht verloren. Das belegt etwa die doch recht hitzige Netzdebatte über den Romantik-Dramödienhit «Ein ganzes halbes Jahr», in dem die gelähmte männliche Hauptfigur damit liebäugelt, selber ihren Todeszeitpunkt zu bestimmen. Ob der neue Schweizer «Tatort» für vergleichbares digitales Hauen und Stechen sorgen wird, ist schwer vorherzusagen – schließlich sind die Stimmungsschwankungen der vernetzten Fernsehnutzer teils unergründlich. Eins lässt sich allerdings bestimmt festhalten: Der Luzerner Krimi nimmt sich dem kontroversen Thema auf eine behäbige Weise an, die weniger Ecken und Kanten zulässt als der besagte Kassenschlager oder der deutsche Kinofilm «Hin und weg».
Die Organisation Transitus begleitet Menschen in einen selbstbestimmten Tod – und wird daher von den Mitgliedern der religiösen Vereinigung Pro Vita angefeindet. Als die Leiche der aus Deutschland stammenden Gisela Aichinger aus der Transitus-Sterbewohnung getragen wird, sehen sich die Sterbebegleiter mit einer hitzigen Menschenansammlung konfrontiert. Darunter befindet sich Giselas unter einer psychischen Störung leidendender Sohn, der vehement behauptet, sie sei nicht freiwillig zum Sterben in die Schweiz gegangen. Wenige Stunden später wird Transitus-Mitarbeiterin Helen Mathy niedergeschlagen und mittels eines Plastiksacks erstickt. Die Luzerner Kommissare Reto Flückiger und Liz Ritschard geraten während ihrer Ermittlungen genau zwischen die wütenden Fronten und müssen nebenher einen alten Vorfall neu aufrollen …
© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
Martin Aichinger (Martin Butzke) behauptet, seine Mutter habe sich nicht freiwillig zum Sterben in die Schweiz begeben. Im Hintergrund der Leiter der religiösen Pro Vita-Organisation Josef Thommen (Martin Rapold, li.)
Der Neunzigminüter von Regisseurin Sabine Boss ist stark, so lange er kein «Tatort»-Ermittlungskrimi ist: Eingangs dokumentiert Boss in nüchternen Bildern, wie die legale Sterbebegleitung abläuft. Eine augenscheinlich voll bei Sinnen befindliche Gisela Aichinger nimmt einen Becher mit flüssigem Barbiturat entgegen, trinkt ihn, und langsam entschwindet das Leben aus ihrem Blick und letztlich aus ihrem Körper. Diese schonungslose, unkommentierende Inszenierung, die dem Publikum die Beantwortung auf die Frage überlässt, ob dies ein ruchloser Vorgang ist oder ein befreiender, weicht nach der Ermordung der Sterbebegleiterin einer handelsüblichen Krimi-Bildsprache – und der narrative Fokus weicht weg vom Problemthema hin zu einer alltäglichen Whodunit-Erzählweise.
Ob Sterbebegleitung tatsächlich ethisch so scharf von der aktiven und illegalen Sterbehilfe zu trennen ist, wie es das Gesetz vorsieht, gerät in den Hintergrund. Wenn die Debatte aufblitzt, dann in holprigen Monologen der Befürworter und Gegner, es sei denn, einer der Ermittler fasst die Argumente frei gesprochen, doch blutleer zusammen. Eine wirkliche Auseinandersetzung findet nicht mehr statt, dafür gerät eine für den «Tatort» handelsübliche Mordgeschichte mit Rachemotiv in den Vordergrund. Während Stefan Gubser und Delia Mayer fest in ihren darstellerischen Satteln sitzen, stolpert dieser Schweizer-Fall, wie schon viele zuvor, an einer unterdurchschnittlichen, da hölzernen Synchronarbeit bei diversen Nebenfiguren, durch welche das Geschehen gekünstelt wirkt.
Fazit: Nach einem Gänsehauteinstieg rutscht dieser Schweizer «Tatort» in die Beliebigkeit.
«Tatort – Freitod» ist am 18. September 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
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