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Die Kritiker: «Tatort - Die Musik stirbt zuletzt»

"Die Musik stirbt zuletzt" will ein besonderer «Tatort» sein, filmisch innovativ und kunstvoll. Diese Ambition beißt sich jedoch mit der behäbigen Allerweltsnarrative.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Stefan Gubser als Reto Flückiger
Delia Mayer als Liz Ritschard
Hans Hollmann als Walter Loving
Sibylle Canonica als Alice Loving-Orelli
Andri Schenardi als Franky Loving
Uygar Tamer als Jelena Princip
Teresa Harder als Miriam Goldstein

Hinter der Kamera:
Produktion: Hugofilm Productions GmbH
Drehbuch und Regie: Dani Levy
Kamera: Filip Zumbrunn
Schon in seiner Eröffnung will uns dieser «Tatort» überdeutlich auf seinen experimentellen Charakter hinweisen: Franky Loving (Andri Schenardi), ein schnöseliger, schlecht rasierter, sonderbar berauschter junger Mann, führt uns selbstsüchtig seinen VIP-Pass schwingend in diesen Abend in Luzern ein, wo das Jewish Chamber Orchestra auf Einladung von Frankys steinaltem Vater Walter Loving (Hans Hollmann), dem milliardenschweren Unternehmer und Mäzen, bei einer schweineteuren Benefiz-Veranstaltung aufspielt, die schweizweit im Radio übertragen wird. Während Franky mit seinen getriebenen, bemüht kunstvoll und anspielungsreich geschriebenen Elogen die vierte Wand einreißt, bevor sie überhaupt aufgestellt ist, folgt die Kamera ihm unermüdlich, immer weiter und weiter, den ganzen Abend lang.

Der Clou soll von Anfang an offensichtlich sein: Dieser «Tatort» ist in einer einzigen Einstellung abgedreht worden. Will sagen: Ohne Schnitte muss ein Rädchen perfekt ins andere greifen, eineinhalb Stunden lang, zweifellos eine technische Meisterleistung, und eine dramaturgische wär’s obendrein, wenn die Übergänge von einem Spielort zum anderen so fließend wie elegant wären, dass sie gar nicht als rein logistisch notwendiges Füllmaterial auffielen. Das ist jedoch nicht immer gelungen, und Regisseur und Drehbuchautor Dani Levy baut an manchen Stellen eher denkfaule Brücken, wenn er Franky Loving als Intermezzo den Pausenclown geben lässt, um phrasenreich, aber dramaturgisch grundlos erneut die vierte Wand einreißen zu lassen.

Während draußen vor dem Konzertsaal gegen die Juden demonstriert wird, hält der greise, aber immer noch geistesgegenwärtige Mäzen Loving drinnen eine Ansprache, bevor sein zerfurchter Sohn und dessen Mutter zur versammelten Kulturelite dazustoßen. Das Konzert ist noch nicht losgegangen, da erhält die jüdische Starpianistin Miriam Goldstein (Teresa Harder) eine seltsame Drohung: Wenn sie einen geheimen Programmpunkt im Rahmen des Konzertes nicht weglassen sollte, wird man ihren Bruder, den Klarinettisten des Orchesters, ermorden.

So soll es dann auch kommen: Und als der Klarinettist sich gerade noch röchelnd von der Bühne schleifen kann, während das Orchester professionell und unbehelligt weiterspielt und der Sanitäter den Luftröhrenschnitt setzt, trudeln Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Della Mayer) am Tatort ein. Stück für Stück ermitteln sie sich ins Private vor, in die Familienzwiste der Lovings, die immer seltsamer und seifenopernähnlicher werden, während Franky weiterhin tapfer versucht, mit seinen sich überschlagenden Meta-Elogen diesen kasperlhaften Verwicklungen einen intellektuellen Überbau überzustülpen.

Im Kern steht natürlich eine alte Schuld des Industriepatriarchen Walter Loving aus dem Zweiten Weltkrieg. Doch die Schuld eines betagten Nutznießers des Nazi-Regimes ist ein diffiziles Thema, ein komplexes und vertracktes, es erfordert eine besonders geistvolle Bearbeitung und kompromisslose Inszenierung, um seiner Tragweite auch nur in Ansätzen gerecht werden zu können. Die in „Die Musik stirbt zuletzt“ zu erkennen, fällt jedoch schwer; ebenso bleibt der dramaturgische Sinn, den das betont innovative Filmkonzept einer fortlaufenden ununterbrochenen Sequenz für diese Geschichte erfüllen soll, weitgehend verborgen.

Stattdessen verheddert sich der Stoff in der reißerischen Erzählung einer Geschichte, die im Kern darauf hinausläuft, dass der Vater und der Sohn etwas mit derselben Frau haben, während der alte Mann am Schluss pathetisch (und scheinheilig?) Abbitte für seine Schuld leisten und zugleich Anerkennung für seine diffusen großen Leistungen fordern darf. Narrativ ist dieser Stoff also: simpel, fahrig, unspektakulär. Die filmisch gewollt außergewöhnliche Aufmachung wirkt da mehr wie ein angeberisches, aber sinnloses Zirkuskunststück als eine bedachte Ergänzung der Geschichte oder gar eine Sprengung der «Tatort»-Regeln: Die aufzuzählen, ist hier Franky Lovings Aufgabe. Wenn gar nichts mehr geht, ist eben eine leichte Selbstironie die letzte Rettung.

Das Erste zeigt «Tatort – Die Musik stirbt zuletzt» am Sonntag, den 5. August um 20.15 Uhr.
04.08.2018 11:02 Uhr Kurz-URL: qmde.de/102803
Julian Miller

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