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Gewinner 2014: Wallraff und RTL - Eine ungewöhnliche Liebesheirat

Der Eine brauchte die zugkräftige Plattform für seine Reportagen, die Anderen journalistische Relevanz und Authentizität. Von «Team Wallraff» profitieren spätestens seit dem Burger-King-Skandal beide Seiten in ungeahntem Ausmaß.

Frühere Werke Wallraffs

Bereits seit den 1960er-Jahren ist Günter Wallraff als investigativer Journalist tätig. Im Jahr 1977 erregte er Aufsehen mit seinem Werk «Der Aufmacher.», in dem er umfangreich die Methoden der BILD-Zeitung schilderte und kritisierte. Mitte der 80er arbeitete er zwei Jahre lang als türkischer Gastarbeiter Ali Levent Sinirlioglu bei mehreren Unternehmen und veröffentlichte seine Erfahrungen in Form des Doku-Films «Ganz unten». Sein letztes Projekt vor der Zusammenarbeit mit RTL war «Schwarz auf Weiß».
Führt man sich vor Augen, womit Günter Wallraff auf der einen und Deutschlands größter Privatsender RTL auf der anderen Seite auf den ersten Blick assoziiert werden, erscheint eine Zusammenarbeit beider Parteien zunächst so unrealistisch, dass man sie sich bestenfalls in einem Sketch bei «Switch Reloaded» vorstellen kann. Ein Enthüllugsjournalist, der sich jahrzehntelang für die Armen und Schwachen der Gesellschaft eingesetzt hat, bei Kritikern als Gutmensch verschrien ist und in einem seiner bekanntesten Werke Einblicke in die perfiden Machenschaften der Boulevard-Zeitung BILD gewährte, geht ausgerechnet zu dem Sender, der in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen mit nicht minder fragwürdigen Inhalten machte? Ja, dieser Schritt weckte große Zweifel - stellt sich aber gut zwei Jahre später als äußerst gewinnbringend für beide Vertragspartner heraus.

Für Wallraff selbst war wohl letztlich der pragmatische Gedankengang ausschlaggebend, bei RTL die bestmögliche Plattform für seine Inhalte geboten zu bekommen. Die äußerst umstrittene Undercover-Reportage «Schwarz auf Weiß» wurde im November 2011 noch im Ersten freitagabends kurz vor Mitternacht kläglich versendet, die öffentliche Wirkung des Projekts hielt sich in engen Grenzen. Aus Frust über die Ausstrahlungspolitik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kehrte der heute 72-Jährige ARD und ZDF den Rücken. Beim Kölner Privatsender wiederum strebte man nach Jahren der Seichtigkeit und weitgehenden Substanzarmut nach Personen mit Format, die für authentischen und hochklassigen Journalismus stehen. Somit lag die Zusammenkunft letztlich näher, als man zunächst denken mag.

Schon im Mai 2012 ging seine erste Reportage auf Sendung, in der er selbst noch als Paketlieferant von GLS auftrat und über die zum Teil unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Branche aufklärte. Im Anschluss an den Quotenflop «Typisch Frau - Typisch Mann» fiel die Resonanz am Mittwochabend noch etwas enttäuschend aus, ein gutes Jahr später hingegen begeisterte das neue Format «Team Wallraff» mit über 20 Prozent Zielgruppen-Marktanteil auf Anhieb - und veranlasste den Sender dazu, gleich drei neue Ausgaben für das aktuelle Kalenderjahr in Auftrag zu geben. Gleich die erste neue Episode wurde zum größten Erfolg des Journalisten seit Jahren: Ein junges Reporterteam schleuste sich unter seiner Mithilfe bei der Fastfood-Kette Burger King ein und deckte neben schlechten Arbeitsbedingungen auch diverse Hygienemängel auf. Der darauf folgende virale Shitstorm und die negative Presse-Berichterstattung zwang den Konzern zu öffentlichen Stellungnahmen und zum Bekenntnis, insbesondere den besonders heftig kritisierten Franchisenehmer Yi-Ko Holding zu Veränderungen zu zwingen.

Noch weitaus löblicher als die einmalige Berichterstattung und die im heutigen Medienzeitalter allgegenwärtige Drei-Tage-Empörungswelle ist jedoch der Umstand, dass nun, ein halbes Jahr später, abermals heftiger Druck auf Burger King und die Yi-Ko Holding ausgeübt wurde - und die Schnellrestaurantkette aus Angst vor weiterem Image-Schaden sogar zu einer Kündigung ihres Franchisenehmers zwang (mehr dazu hier). Vorausgegangen sind diesem Schritt erneute Recherchen der «Team Wallraff»-Verantwortlichen, für deren TV-Präsentation am Montagabend um 22:15 Uhr kurzfristig ein Sendeplatz freigeräumt wurde.

In der 45-minütigen Sondersendung mit dem Untertitel «Reporter prüfen nach» offenbarten sich abermals erhebliche Mängel in nahezu allen bereits im April angeprangerten Bereichen: Lebensmittel werden nach wie vor umetikettiert, die Arbeitsbedingungen sind weiterhin desaströs und gegen Lohnfortzahlungen im Krankheits- oder Urlaubsfall sträubt man sich ebenfalls. Besonders aufschlussreich sind die Recherchen bezüglich des im Mai zurückgetretenen Yi-Ko-Geschäftsführers Ergün Yildiz: Dieser betritt auch Monate nach dem offiziellen Rücktritt regelmäßig mit Schlüssel die Firmenzentrale, während sein Nachfolger Dr. Dieter Stummel an der Tür klingeln muss. Darüber hinaus zeigt man auch Interview-Ausschnitte, die Wallraff mit Stummel sowie dem deutschen Geschäftsführer von Burger King, Andreas Bork, geführt hat. Vor allem die Unbeholfenheit des Yi-Ko-Verantwortlichen spricht dabei Bände und ist für den Zuschauer ebenso entlarvend wie aufschlussreich. Dies gilt ohnehin für die gesamte Ausstrahlung, der man allerdings deutlich den Kampf mit der zu kurz geratenen Sendezeit anmerkt.

Schon im Vorfeld der Ausstrahlung gab es eine derart breite öffentliche Berichterstattung, wie sie RTL in den vergangenen Jahren kaum einmal erlebt hat - vor allem nicht mit journalistischen und gesellschaftsrelevanten Sachverhalten. Gleichwohl erfordert es Mut und Vertrauen der Programmverantwortlichen, seine Reporter längerfristig mit einem Thema zu betrauen. Hätten sich die Zustände in den nun betroffenen Burger-King-Filialen tatsächlich grundlegend verändert, wie es Angaben des Konzerns zufolge zumindest den Sommer über der Fall gewesen sei, hätte man die Recherchen ohne sendefähiges Material beenden müssen - und somit Zeit und Kapazitäten verschwendet. Nicht zuletzt deshalb sind seriöse investigative Formate solch eine Seltenheit im Privatfernsehen und werden allzu gerne durch effekthascherische Pseudo-Skandälchen ersetzt. Die sind zwar substanzlos und oftmals gar in Teilen bloße Selbstinszenierung, aber weitaus günstiger und schneller zu produzieren. Wie sehr man sich damit aber mitunter auch ins eigene Bein schießen kann, zeigte im Sommer «Lange Undercover».

Wie stehen Sie zu «Team Wallraff»?
Großartige Sendung, bereichert das RTL-Programm ungemein.
70,7%
Tolle Sendung, leider auf dem falschen Sender.
17,9%
Schlimmes Format, RTL tut sich damit keinen Gefallen.
5,4%
Habe es (noch) nicht gesehen.
6,0%


Günter Wallraff wiederum kann auf ein extrem erfolgreiches Jahr 2014 zurückblicken: Die drei Folgen seines «Team Wallraff» schauten im Schnitt rund vier Millionen Menschen, die Marktanteile lagen bei bis zu 16,3 Prozent aller sowie 20,5 Prozent bei den jüngeren Konsumenten. Vor allem aber dürfte es eine persönliche Genugtuung für ihn sein, mit seinen Reportagen für gesellschaftliche und politische Diskurse zu sorgen. Das war immer schon sein Ziel - und dürfte auch die Zielsetzung eines jeden Investigativjournalisten sein, der sich im Sinne der Aufklärung in gefährliche Situationen begibt und sich mit den Reichen und Mächtigen anlegt.

Kritiker würden an dieser Stelle nun sagen, dass RTL in diesen Zeiten dazu beiträgt, einem alten, verbissenen und selbstverliebten Mann sein übergroßes Ego zu streicheln, nachdem dieser zuvor jahrelang unter wachsenem Bedeutungsverlust litt. Anhänger Wallraffs freuen sich über die Rückkehr eines engagierten Menschen, der den Schwachen, Ausgebeuteten und Hilflosen unserer Gesellschaft eine Stimme gibt und sich für die Verbesserung ihrer Lebensumstände einsetzt. In jedem Fall gehört er zu den großen Gewinnern des Fernsehjahres 2014 und wird auch in Zukunft erster Ansprechpartner sein, wenn der Sender nach weiteren Undercover-Reportagen mit Mehrwert strebt. Anderenfalls versucht sich sicher auch Helena Fürst gerne wieder wahlweise als "Anwätin der Armen" oder "Kämpferin aus Leidenschaft".
25.11.2014 00:55 Uhr Kurz-URL: qmde.de/74677
Manuel Nunez Sanchez

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