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Die Kritiker: «Tatort – Eine Frage des Gewissens»

Ruhiger, kluger «Tatort» aus Stuttgart, in dem sich die Ermittler der Justiz stellen müssen.

Cast und Crew

  • Regie: Till Endemann
  • Darsteller: Richy Müller (als Thorsten Lannert), Felix Klare (als Sebastian Bootz), Michael Rotschopf (als Christian Pflüger), Caroline Ebner (als Sabine Pflüger), Mimi Fiedler (als Nika Banovic), Jürgen Hartmann (als Dr. Vogt)
  • Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser
  • Produktion: Nils Reinhardt und Sabine Tettenborn
  • Kamera: Jürgen Carle
  • Schnitt: Sabine Garscha
  • Musik: Jena Grötzschel
Die jeweiligen Reihen, die im Ersten unter der Dachmarke «Tatort» zu sehen sind, entwickeln seit einiger Zeit ganz konsequent ein Eigenleben. Münster ist längst die Heimat leichtfüßiger Krimis voller Situationskomik. Hamburg setzt verstärkt auf große Crime-Events. Wiesbaden traute sich zuletzt wiederholt in experimentellere Gefilde – und erntete damit erst kürzlich für «Im Schmerz geboren» furioses Zuschauer- und Kritikerfeedback. Kiel wiederum erarbeitete sich einen hervorragenden Ruf als Heimat klassisch gehaltener, aber konstant guter «Tatort»-Ausgaben. Davon können Leipzig und Saarland – zumindest im Moment – nur träumen: Die Fälle aus diesen Städten werden oft genug vom Publikum abgestraft.

Und Stuttgart? Das Kommissar-Duo Lannert & Bootz schafft es vielleicht nicht so häufig in die medialen Schlagzeilen wie einige ihrer Kollegen, jedoch kommen die kleinen, feinen «Tatort»-Folgen mit ihnen bei den Fans durchweg gut an. Der neue Neunzigminüter, dieses Mal aus der Feder Sönke Lars Neuwöhners und Sven Posers, unterstreicht in seiner Gesamtheit die Stellung der Stuttgarter im großen «Tatort»-Kosmos. Der Einstieg indes erfolgt mit Hochdruck: Lannert und Bootz befinden sich im Supermarkt, wo ein aggressiver Mann droht, seine Geisel zu erschießen, wenn die Cops nicht sofort klein beigeben. Das überbelichtete, rauschende Bild, der rasante Schnitt und die unstete Kameraführung verdeutlichen: Diese Situation ist völlig außer Kontrolle geraten, könnte jeden Moment tödlich enden. Und tatsächlich: Während Bootz eine Kundin aus der Gefahrenzone zerrt, fällt ein Schuss. Die Geisel lebt – Lannert konnte den Täter mit einem Kopfschuss niederstrecken.

Daraufhin kehrt Regisseur Till Endemann zum üblichen «Tatort»-Look zurück. Es ist der Tag vor einer Gerichtsanhörung, dem Lannert zunächst nur mit leichtem Unbehagen gegenübersteht. Er muss sich für seinen Schuss rechtfertigen. Dies wäre reine Routine, hätte die Mutter des Toten nicht die garstigen Anwälte Sabine & Christian Pflüger (Caroline Ebner und Michael Rotschopf) angeheuert. Diese drängen Lannert vor Gericht in die Ecke, sehen in seinem Handeln eine fahrlässige Tötung, da er vorschnell gehandelt habe. Es hätte keinen Anlass gegeben, den Täter zu erschießen, ein fähiger Polizist hätte die Situation deeskalieren können. Entsetzt nimmt Bootz seinen Partner in Schutz und sagt für ihn aus, allerdings zweifeln die Anwälte an der Korrektheit seiner Bezeugung: Die entscheidenden Sekunden vor dem Schuss habe er nicht sehen können. Als die von Bootz gerettete Zeugin Lennart weiter belastet, wird die Luft für die Kommissare dünn …

Mit der fesselnd inszenierten Eröffnungssequenz und dem gegen die «Tatort»-Konventionen laufenden Konzept, die eine rechtliche Grauzone betretenden Ermittler ins Visier übereifriger Anwälte zu stellen, kommt diese SWR-Produktion beachtlich aus den Startlöchern. Michael Rotschopf genießt sich in der Rolle des großkotzigen Juristen, ohne diesen Part zu überzeichnen, und verleiht dem ersten Drittel des Falls dadurch viel Energie. Dieser Dynamik zum Trotz nehmen die Autoren und Regisseur Endemann die Ausgangslage ernst und nähern sich den rechtlichen Fragen subtil sowie ausdifferenziert. Obwohl es dem Zuschauer leicht fällt, sich auf die Seite der Stuttgarter Polizisten zu stellen, lassen die Krimimacher nie Zweifel daran, dass die Justiz das Duo zurecht kritisch beäugt: Bootz tätigte vor Gericht willentlich eine Falschaussage, im Falle von Lannert ist derweil unklar, ob er die Geiselnahme nicht vielleicht doch ohne Opfer hätte klären können. Hinzu kommt das mehrdimensionale Spiel Richy Müllers, dessen Protagonist selber Gewissensbisse verspürt und somit dem «Tatort» weitere Dramatik verleiht.

Auch die abschließenden 20 bis 25 Minuten sind sehr gelungen: Die zunehmend komplizierten Verwicklungen, in welche die Schwabenpolizisten gezogen wurden, lösen sich in zügig erzählten, schlüssigen Fernsehmomenten auf und sind ebenso dramatisch wie clever. Im mittleren Part aber lässt dieser «Tatort» nach – die privaten Schwierigkeiten der Ermittler werden zwar zurecht angeschnitten, werden von den Hauptdarstellern aber ungewohnt lasch runter gespielt. Auch die Dialoge sind in diesen Passagen nicht so mitreißend geschrieben wie zu Beginn und zum Schluss dieses Krimis. Sobald aber die eigentliche Thematik wieder stärker in den Fokus rückt, präsentiert sich «Tatort – Eine Frage des Gewissens» als Stuttgarter ARD-Krimi nach Maß. Spannend, leise, schnörkellos.

«Tatort – Eine Frage des Gewissens» ist am 23. November 2014 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
21.11.2014 12:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/74607
Sidney Schering

super
schade


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Eine Frage des Gewissens Im Schmerz geboren Tatort Tatort – Eine Frage des Gewissens

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