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Wulff vs. Gottschalk

Moral ist ein schöner Begriff. Wir alle würden gern zu jeder Zeit moralisch einwandfrei handeln. Es ist sogar ein Gut und wir heben es gern in die höchsten Höhen. Moral ist uns allen wichtig. Streng genommen ist Moral die Theorie des perfekten Menschen.

Doch wer ist schon perfekt? Sprechen wir heute noch mit Freunden über das Dschungelcamp und die moralische Verwerflichkeit, so wird sich RTL trotzdem in Kürze über Rekordquoten freuen dürfen. Der kleine Mann ( und natürlich aus feministischer Sicht: die kleine Frau ) handeln nicht immer moralisch einwandfrei. Lügen und Intrigen lauern hinter jeder Ecke und sogar im eigenen Haus. Warum werden Partner mit dem Handwerker betrogen? Warum bucht man mit der Sekretärin ein Doppelzimmer über das Wochenende? Warum fehlt bei der Reparatur der Heizung die Mehrwertsteuer? Man möge sich nur die Steuererklärung ansehen und von sich selbst noch reinen Herzens behaupten moralisch perfekt zu sein.

Heilige sucht man selbst in der Kirche vergebens. Stattdessen ergötzen wir uns lieber am Gossip, an den Verfehlungen der Prominenten um am Leid der königlichen Familie. Das ist Alltag. Ein Sumpf aus gepredigter Moral und dem tatsächlichen Leben auf der Straße.




Pessimisten sehen sogar eine Verschlechterung der Lage. Früher war alles besser. Die Menschen, die Ehe, das Fernsehprogramm und die vermittelten Werte. Heute zählt nur noch das blanke „Ich“. Du musst besser sein als die Konkurrenz und am Ende des Jahres kann man ja bei Günther Jauch im Fernsehen via SMS sein schlechtes Gewissen gegenüber der dritten Welt erleichtern. Beziehungen halten nicht einmal mehr die Finanzierungslaufzeit eines Kia Picanto aus, Kinder leben im Patchwork und die erste Scheidung sollte man mit 29 Jahren bereits hinter sich haben.

Doch genau aus diesem Grund lieben wir auch die Helden. Die angeblich Heiligen. Fernsehstars, Promis und Politiker wie Helmut Schmidt. Wir suchen darin Vertrauen. Menschen wie Maybrit Illner sind moralische Instanzen geworden. Denn auch wenn unser Alltag nicht einfach ist, so gibt es immer noch eine Art Seele des Volkes. Hier soll das Schwert der Gerechtigkeit noch tadellos schweben.

Hier liegt die Aufgabe eines Bundespräsidenten. Er ist der gute Onkel und wacht über die Nation, wie der Opa aus der Werther's-Echte-Werbung. Ihm kann man vertrauen. Er spricht die wahren Probleme der Gesellschaft an. Zwar hat er keine direkte Macht, doch das stimmt eigentlich nicht. Seine Macht ist heute das Wort. „Das Wort? Das soll eine Macht sein, Herr Vegas?“ Natürlich. Denn das Wort ist in Zeiten von Medien mächtiger denn je geworden. Es ist doch ziemlich egal geworden, wer bei Illner in der Runde sitzt. Haben die alle ein Mandat im Bundestag? Vollkommen egal. Der Bundespräsident ist eine der bekanntesten Personen in Deutschland.

Christian Wulff konnte sich sogar ARD und ZDF für ein Interview aussuchen. Mehr als 11 Millionen Bürger schauten zu. Zwar versagte er mit seiner gespielten Opferrolle, doch muss man sich der Macht dieser Sendung bewusst sein. Er kann das Wort erheben und hat die moralische Instanz auf seiner Seite. Er ist der Gottschalk der Politik. Er kann sich die Fragen und Themen aussuchen. Er hat Vertrauen im Volk. Er kann uns ohne Landtagswahl im Rücken Wahrheiten servieren. Die Zeiten werden härter und wir müssen uns Gedanken über eine gerechte Aufteilung der sozialen Leistungen in einer neuen Welt machen. Nur er kann uns reinen Wein einschenken und der Politik im Bundestag auf die Finger hauen. Wer kann das schon?

Nur tut das bislang kein Wulff. Er verstrickt sich in Halbwahrheiten und hält langweilige Weihnachtsansprachen. Keinem Bundespräsidenten schien seine mediale Macht bewusst gewesen zu sein. Er kann die beste Sendezeit bekommen. Interviews geben und zu jeder Zeit mit dem kleinen Mann in Dialog treten. Er kann Kommentare zu jedem Thema abgeben, Artikel veröffentlichen und hat den royalen Charme vom Schloss Bellevue auf seiner Seite. Das Kanzleramt ist ein Dreck dagegen.

Politiker wie Helmut Schmidt haben diesen Trend erkannt. Sie sprechen regelmäßig mit Sandra Maischberger und erzielen damit hohe Einschaltquoten. Man hört ihnen gerne zu. Man sucht Wahrheit in seinen Aussagen und kauft die Bücher. Dabei hat der Mann fast nichts mehr zu melden im Tagesgeschäft. Er äußert sich nicht einmal gern dazu.

Ein neuer Bundespräsident nach der Ära Wulff sollte sich dieser Macht bewusst werden. Hat er Vertrauen im Volk und ein sympathisches Auftreten, so ist seine Macht weitaus höher als bislang vermutet.

Ihr

Rob Vegas
08.01.2012 15:40 Uhr Kurz-URL: qmde.de/54219
Rob Vegas

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Tags

medien wulff bundespräsident maischberger illner fernsehen kolumne rob vegas

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