Der Pokal geht nach Argentinien und die Welt ist um das wohl beste Finale aller Zeiten reicher. Bei all den sportlichen Geschichten gerieten die umstrittenen Umstände der WM aber nie in den Hintergrund. Ein WM-Fazit.
Argentinien ist Weltmeister. Lionel Messi, einer der besten Fußballer aller Zeiten, hat es tatsächlich geschafft, im fünften Anlauf dieses Turnier zu gewinnen und steht nun in einer Reihe mit den allergrößten dieses Sports – Maradona, Pelé, Beckenbauer, Zidane, Ronaldo, um nur eine Handvoll zu nennen. FIFA-Präsident Gianni Infantino bezeichnete die Weltmeisterschaft 2022 in Katar im Vorfeld des Finals als „beste WM aller Zeiten“. Angesichts des spektakulären Endspiels mit zahlreichen emotionalen Wendungen sowie diversen sportlichen Höhepunkten vor allem in den Viertelfinals hat man aus sportlicher Sicht dieser Aussage nur wenig entgegenzusetzen.
Was bleibt von der WM? Diese Frage lässt sich aus deutscher Sicht wohl recht kurz, aber treffend beantworten: ein Scherbenhaufen. Erneut schied man blamabel nach drei Gruppenspielen aus, kann zwar auf bessere Leistungen als bei der WM 2018 blicken, am Ausgang ändert dies aber nichts. Auch abseits des Platzes hat sich der DFB und dessen Aushängeschild nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das Hickhack um die „One Love“-Binde zu Beginn des Turniers offenbarte zum einen die Skrupellosigkeit des Fußball-Weltverbandes FIFA, ließ aber auch den DFB in keinem guten Licht dastehen. Trotz lautstarker Ankündigungen die Binde tragen zu wollen, zeigte man kein Rückgrat und versuchte mit einer „Mund zu“-Geste vor dem Spiel gegen Japan ein Zeichen zu setzen,
das aber international zuweilen auf Unverständnis stieß. Die Stimmen mehrten sich, dass der Sport und Politik zu trennen sei. Auch Bundestrainer Hansi Flick blies in dieses Horn und forderte Rückendeckung aus der Politik, die seine Spieler schützen sollen, indem sie selbst Politik machen sollen und nicht Spieler in der Verantwortung stehen. Ein Robert Habeck, wie er kurz vor dem Turnier ein Deal mit Katar abschließt, hilft bei dieser Argumentation sicherlich wenig.
Dass Politik und Sport nicht gänzlich zu trennen sind, bewies die FIFA und Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani am Sonntag dann noch gleich selbst. Bei der Siegerehrung wollte Messi nichts sehnlicher als den goldenen Pokal endlich in die Höhe zu recken, doch Infantino und der Emir hielten ihn zurück, um dem Fußball-Star ein Bischt überzuziehen. Die beiden begleiteten Messi dann auch noch wie zwei Altenpfleger zum Pokal, um auch ja mit ihm und dem größten Star des Sports abgelichtet zu werden. Der FIFA-Funktionär bewies damit einmal mehr, seiner Jobbeschreibung nicht nachzukommen. Die FIFA soll dem Fußball eine Bühne bereiten und nicht selbst auf dieser Bühne tanzen. Die Bilder von Messi in dem schwarzen Gewand, die ARD-Experte Bastian Schweinsteiger als „nicht gelungen“ bezeichnete, gehen nun um die Welt und werden für immer in das Gedächtnis der Fußballfans eingefräst sein. Statt an das glorreiche Finale zu denken, wandern die Gedanken somit unumgänglich auch zu Katar als Austragungsort. Sportswashing vom Feinsten. Bleibt zu hoffen, dass die skrupellose Instrumentalisierung Messis weiteren Fans die Augen öffnet und die FIFA kritischer betrachten lässt.
Doch es gab auch positive Aspekte an dieser WM. Erwähnt wurden bereits die teils spektakulären Spiele, doch auch die Menschen, die über die Spiele selbst berichteten, machten eine gute Figur. Im ZDF sorgten das Trio um Moderator Jochen Breyer und die Experten Per Mertesacker und Christoph Kramer für viele unterhaltsame Momente, schafften es aber auch immer wieder kontrovers zu diskutieren. Vor allem Breyer schaffte es seinen Standpunkt im Zusammenhang mit der „One Love“-Binde gegen die beiden Weltmeister klar zu formulieren, und Kramer und Mertesacker hielten ebenso gekonnt und meinungsstark dagegen. Ein Vorbild für die oftmals in diesem Land kritisierte Diskussionskultur.
Ähnlich meinungsstark zeigte sich überraschend auch Bastian Schweinsteiger im Ersten, der im Vorjahr bei der paneuropäischen Europameisterschaft übervorsichtig agierte und sich mit der Kritik am schwachen Auftreten der DFB-Elf zurückhielt. Diesmal legte er gekonnt den Finger in die Wunde – auch im Angesicht des Bundestrainers. Womöglich lag diese Entwicklung auch an der Partnerin an seiner Seite. Jessy Wellmer, im Vorjahr noch im Schweinsteiger live vor Ort, hielt sich diesmal im Studio in Mainz auf und fiel durch eine schwache Moderation auf. Häufig stellte sie Halbfragen in den Raum, ohne jemanden konkret anzusprechen. Ihre halbgaren Thesen sollten Thomas Hitzlsperger, Sami Khedira und Almuth Schult aufgreifen. Dies taten sie meist erst nach einigen Sekunden der Stille, denn direkt angesprochen wurde keiner. Dabei waren Schult, Khedira und Hitzlsperger ähnlich wie die Experten-Kollegen im ZDF sehr meinungsstark und auskunftsfreudig. Nicht immer war man einer Meinung, was solchen Runden natürlich ungemein hilft. Dadurch rückte Wellmer auch häufiger in den Hintergrund, weil die drei das Ruder der Diskussion selbst in die Hand nahmen. Zur Ehrenrettung Wellmers sei gesagt, dass sie kurzfristig für den ausgefallenen Alexander Bommes einsprang und eigentlich «Sportschau Thema» hätte moderieren sollen.
Zurück zu Schweinsteiger, der statt Wellmer bei der WM 2022 mit Esther Sedlaczek an seiner Seite auftrat. Die ehemalige Sky-Moderatorin war eine Bereicherung für die Übertragungen in der ARD. Nicht nur fragte sie keine Floskelfragen, sondern bohrte beispielsweise bei Oliver Bierhoff nach dem erneuten Vorrunden-Aus knallhart nach. Während des Spiels konnte Thomas Broich als Co-Kommentator seine Expertise geschickt einfließen lassen und lockerte so langatmige Phasen von Spiel auf. Ebenfalls gewohnt locker zeigte sich Sandro Wagner am ZDF-Mikrofon. Der Regionalliga-Trainer, der sonst für DAZN Spiele kommentiert, verabschiedete so auch Béla Réthy in den Ruhestand. Solche eine Karriere, wie sie Réthy absolvierte, verdient größten Respekt. Seine Stimme dürfte vielen in Erinnerung bleiben, so wie auch manch großer Moment, den er seit 1986 begleitete. Doch seine größte Zeit liegt nun auch schon ein paar Jahre zurück, zuletzt fiele er vor allem durch zahlreiche Spielerverwechslungen im Live-Kommentar auf. Dementsprechend gelang es Wagner die Kommentatoren-Legende zu unterstützen und zu verbessern, wenn nötig. Andere Kommentatoren bewiesen ebenfalls klare Kante auch während der Spiele und vergaßen nicht die viel diskutierten Begleiterscheinungen trotz sportlicher Höherpunkte. So saß ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann mit Regenbogen-Binde und -T-Shirt zu Beginn des Turniers auf der Tribüne und setzte so ein Zeichen, das der DFB nicht setzen wollte. Oder wie es Jochen Breyer bei Twitter treffend formulierte: „Ein Zeichen, das man nur dann setzt, wenn man dadurch keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat, ist kein Zeichen.“
Was bleibt nun von dieser Weltmeisterschaft? Die gemischten Gefühle zu Beginn des Turniers sind phasenweise gewichen, denn der Fußball hat die Kraft Menschen zu begeistern. Das stellte der Sport eindrucksvoll auch in Katar unter Beweis. Spätestens mit Messis WM-Triumph fand die WM auch ihren emotionalen Höhepunkt. Doch während sich Messi über den goldenen WM-Pokal freute, sah die Welt auch seinen schwarzen Bischt auf seinen Schultern. Ein Bild, das der Sportler Messi eigentlich nicht verdient hat, aber es doch ein Mahnmal dafür ist, dass die WM in Katar zahlreichen Gastarbeitern das Leben gekostet hat, der WM-Bot¬schafter Khalid Salman Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnete und die FIFA ein korrupter Haufen ist, der zulässt, dass ein Staat den Sport nach Belieben instrumentalisieren kann. Dem gilt es sachliche Berichterstattung entgegenzusetzten, was ARD und ZDF in den vergangenen Wochen eindrucksvoll gelungen ist.
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