Tiefe Einblicke: In "Tausend Zeilen Lüge" arbeitet Juan Moreno den Skandal um die Fälschungsaffäre beim Spiegel auf - und zieht ernste Konsequenzen.
Juan Moreno ist seit mehr als 20 Jahren als Journalist, Schriftsteller und Redakteur tätig. Seit 2007 ist er beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel als freier Reporter angestellt. Vor "Tausend Zeilen Lüge" veröffentlichte Moreno in erster Linie Sammlungen seiner Kolumnen, die er in der Vergangenheit in erster Linie bei der „Süddeutschen Zeitung“ verfasste und ein biografisches Werk über den Sportfunktionär Uli Hoeneß. In seinem aktuellen Werk setzt er sich mit der sogenannten Relotius-Affäre auseinander, an deren Aufdeckung und Aufarbeitung er selbst maßgeblich beteiligt war.
Der Kontext: Die Relotius-Affäre 2018
Im Jahr 2018 legte Der Spiegel offen, dass ein Journalist aus den eigenen Reihen zahlreiche, darunter auch mit Preisen ausgezeichnete, Reportagen und Artikel gefälscht habe. Claas Relotius war fester Redakteur bei Der Spiegel und reichte dort eine Vielzahl an Arbeiten ein. Insgesamt entstanden in der Zusammenarbeit zwischen Relotius und dem Nachrichtenmagazin rund 60 Texte. Bei einer erneuten Prüfung nach Aufdeckung der Fälschungsaffäre, die bis heute andauert, wurden bereits in der Hälfte aller Texte gefälschte Inhalte oder zumindest Übertreibungen und Falschdarstellungen entdeckt. Der Vorfall löste eine bundesweite und medial stark berücksichtigte Diskussion über die Qualität des gesamten deutschen Journalismus aus.
Die Beteiligung Morenos
Juan Moreno arbeitete für eine Reportage mit Relotius zusammen und bemerkte im November 2018 Unstimmigkeiten in den Inhalten. Nachdem er seine Bedenken bei der Ressortleitung äußerte, schenkte man ihm zunächst keinen Glauben. Dadurch nahm er auf eigene Faust Nachforschungen vor, die ihn in die USA führten. Dort konnte er dann schließlich nachweisen, dass sein Kollege Relotius große Teile seines Beitrags an der gemeinsam erstellten Reportage vollständig frei erfunden hatte.
Tausend Zeilen Lüge - Aufbau und Inhalt
Morenos Buch umfasst 15 Kapitel. In den ersten zwölf Kapiteln arbeitet der Autor enorm detailliert auf, wie die Unstimmigkeiten in den Texten seines Kollegen Relotius ihm auffielen und wie er entsprechend nachrecherchierte. Dabei erhält der Leser Einblick in persönliche Nachrichtenwechsel zwischen Moreno und Relotius; auch Zitate der angeblichen Interviewpartner in den USA, auf deren Aussagen Relotius seine Arbeit an der gemeinsamen Reportage "Jaegers Grenze" stützte. Die Ausführungen Morenos wechseln dabei stilistisch sicher und fesselnd zwischen objektiven Tatsachenberichten und Schilderungen seiner eigenen Gefühlslage bei den Recherchen.
Konnte es wirklich sein, dass sein hochdotierter und im bundesweiten Journalismus geschätzter Kollege seinen Erfolg auf Lügen aufgebaut hatte? Als Leser verfolgen wir Morenos Gedankengänge mit und können nachvollziehen, wie und warum er seine Recherchen als für sich und den Journalismus selbst als moralisch verpflichtend rechtfertigen konnte. Ein besonderer Augenmerk sei auch auf jene Darstellungen gerichtet, in denen Moreno über die Widerstände spricht, die er bei der Aufdeckung der Fälschungsaffäre stieß - es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.
In den letzten Kapiteln betrachtet der Autor die Auswirkungen des skandalösen Treibens von Relotius auf den deutschen Journalismus. Überzeugend und auch etwas beruhigend steht für ihn letztlich fest, dass Relotius zwar ein Sonderfall wäre, dessen Lügen sich auch auf notorische Weise in seinem Privatleben zeigten, der Journalismus in Deutschland nach dem Skandal aber nicht mehr derselbe sei wie zuvor. Zumindest nicht der Blick der Öffentlichkeit auf selbigen. Morenos "Tausend Zeilen Lüge" ist eine Pflichtlektüre für Menschen, die am Journalismus interessiert sind - und für Journalisten selbst.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
24.11.2020 20:30 Uhr 1
25.11.2020 06:44 Uhr 2