Europas Kinos brauchen Filme, die die Säle füllen. Aber die Unfähigkeit einer gewissen Nation lässt die hiesige Branche für Fehler leiden, die in der EU weitestgehend vermieden wurden.
Auch wenn die ständigen Proteste einer kleinen, sehr lauten Minderheit es anders wirken lassen: Zahlreiche repräsentative Umfragen bestätigen, dass der Großteil der Bevölkerung in Deutschland damit einverstanden ist, in geschlossenen Räumen des öffentlichen Lebens eine Maske zu tragen und einen angemessenen Abstand einzuhalten. Ähnlich verhält es sich in vielen weiteren Teilen Europas. Daher können die Kinos in diesem Abschnitt der Welt kontrolliert und vorsichtig, aber weitflächig und ohne Gewissensbisse wieder öffnen. Aber anders als viele Bars und Restaurants klagen sie derzeit lautstark über Publikumsmangel.
Der Grund liegt auf der Hand: Es fehlt an Publikumsmagneten. Der Russell-Crowe-Thriller «Unhinged – Außer Kontrolle», der im Kinoalltag höchstwahrscheinlich eine Randnotiz gewesen wäre, eröffnete hierzulande mit 27.000 verkauften Tickets und kämpfte daher mit dem Vorschulkino «Paw Patrol – Mighty Pups» um die Pole Position der Wochenendcharts. Die Arthouse-Filme «Undine» und «Berlin Alexanderplatz» hätten richtig starke Zahlen verdient, hätten sie in diesem kinomuffeligen Land aber auch ohne Corona nicht geschrieben – und jetzt ziehen sie leider erst recht nicht. Was fehlt, ist ein großer Paukenschlag, der der Masse signalisiert: "Das Kino ist wieder da! Und wir wollen es nicht mehr missen!"
Mit Titeln wie «Mulan» oder «Tenet» könnte die Kinobranche ausdrücken: "Der Ausnahmezustand ist programmtechnisch überwunden, lasst euch wieder in filmische Welten entführen!" Und wenn diese massentauglichen Filme die Leute zurück locken, besteht die Chance, dass auch mehr Menschen wieder Titeln wie «Berlin Alexanderplatz» Beachtung schenken. Aber es besteht die Gefahr, dass das so schnell nicht passieren wird. Weil Hollywood auf den Publikumsmangneten hockt und sie (noch) nicht rausrückt.
Schuld daran ist eine Kombination aus mehreren Gründen: Heutige Studiobosse sind mit dem Geschäftsmodell an ihre Position gelangt, dass Big-Budget-Massenfilme global nahezu zeitgleich starten müssen (anders als noch bis in die frühen 2000er hinein). Und "Neues" probieren Hollywood-Geschäftsleute viel zu ungern, um nun "neu" einen mit größeren Abständen gestaffelten Start zu wagen. Und die Angst vor Piraterie kommt auch noch hinzu: Filme, die in Europa im Original laufen, könnten raubkopiert und in den USA illegal geschaut werden. (Filmpiraten, diese Mistsäcke, versauen uns viel zu viel!) Und es lässt sich nicht ausschließen, dass auch Egoismus da mitspielt – America First, America First!
Und somit muss Europa weiter eine Krise ausbaden, die in diesen Gefilden zwar bei aller Liebe nicht gut, jedoch weitestgehend solide bewältigt wurde (von solchen Ausnahmen wie Schweden abgesehen). Und das bloß, weil die Staaten weiterhin gigantische Probleme haben. Weil eine inkompetente Regierung, eine seit Jahrzehnten herangezüchtete Wissenschaftsignoranz bei einigen Teilen der Bevölkerung und eine hirnrissige Fehlinterpretation dessen, was Freiheit bedeutet ("Ich kann mich so unverantwortlich verhalten wie ich will, das hier sind die USA!") für eine immer noch steigende Ansteckungsrate sorgen.
Somit verdeutlicht die Corona-Krise wieder einmal einen der vielen fatalen Fehler des Turbokapitalismus, wie er in den Staaten ausgelebt wird: Völlige Kurzsichtigkeit. Ja, es
kann sein, dass ein paar Filme in ihrem Heimatland unter den wirtschaftlichen Erwartungen abschneiden, sollten sie in den USA Monate nach dem Europastart anlaufen. Aber langfristig gesehen, würde man so die europäischen Kinos stärken. Und somit vermeiden, dass in Zukunft ganze Kinolandstriche aussterben, das Medium Film bei der nachwachsenden Generation an Stellenwert verliert und daher in Europa für Hollywood-Filme weniger Geld zu holen ist.
Ja, der Mangel an großen US-Starts ist auch eine Chance für europäische Filme. Der Gedanke, dass nun magischerweise ein «Berlin Alexanderplatz» zum Blockbuster werden kann, ist trotzdem völlig utopisch. Leider. Dafür ist Deutschland zu kinofaul geworden. Doch lokale Filme mit Massenpotential haben durchaus Raum, sich stärker zu entfalten. Nur, dass die noch zu weit weg sind. Wie die murmeltiereske Liebesgeschichte «Hello Again» (September), Otto Waalkes' «Catweazle» (Dezember) oder Karoline Herfurths «Wunderschön» (auch Dezember). Und, sind wir ehrlich: Zu viele Filmfans hierzulande haben zu große Vorurteile über deutsche Filme. All diese Filme vorzuziehen, sofern möglich, wäre also leider auch nicht die Universallösung.
Daher: Hollywood, rücke endlich ein paar Blockbuster raus, damit die Kinos ihr Publikum reaktivieren können. Liebe Studios, gebt euch den Ruck, folgt den nun halblaut von Warner getätigten Gedanken, potentielle Blockbuster bald dort zu starten, wo man die Pandemie in Griff hat. Lasst unsere Kinos nach dem Kaltstart der vergangenen Wochen richtig durchstarten. Danach kann sich die hiesige Filmbranche noch immer darum kümmern, die Lücken zwischen Filmen wie «Mulan» und «Wonder Woman» mit ihren Werken zu schließen und ihre eigene Position auszubauen.
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