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Popcorn und Rollenwechsel: Die «Tenet»-Debatte

Christopher Nolan wird angefeindet, weil er «Tenet» so schnell wie möglich in die Kinos bringen möchte. Unser Kolumnist wundert sich darüber.

In 43 Prozent der US-Bundesstaaten sind die Kinos wieder offen – und in den Bundesstaaten, in denen die Kinos wieder öffnen, gibt es variierende Maßnahmen. In einigen Bundesstaaten mit geringerer Bevölkerungsdichte und harmloserer Corona-Verlaufkurve gibt es verschiedene, von den Kinobetrieben mitbestimmte Maßnahmen, in anderen Staaten wird die Kapazität der Kinosäle aufgrund strenger Abstandsregel gekürzt. In Staaten wie Washington sind, abhängig von mehreren Variablen, etwa bis zu 70 Prozent Kapazität gestattet, in anderen Staaten wie Kalifornien sind teils nur 20 Prozent Kapazität genehmigt. Wie die Kinos so überleben sollen, ist eine schwer zu klärende Frage.

Derzeit spielen die Lichtspielhäuser in den USA aktuelle Titel, die aber parallel als Streamingtitel erscheinen, Wiederaufführungen von Blockbustern, und (mittlerweile auch als Stream erhältliche) "Überhangfilme" aus der Pre-Corona-Zeit. Das treibt bislang wahrlich keine Massen in die Kinos, sodass sie nicht einmal in die Nähe ihrer maximal zu verkraftenden Kapazität gelangen. Regisseur und passionierter Fan der Kinoerfahrung Christopher Nolan will da Abhilfe schaffen: Er ist schon seit langem erpicht darauf, seinen Big-Budget-Thriller «Tenet» sobald wie halbwegs mit Vernunft vereinbar in die Kinos zu bringen.

Laut eines Berichts des US-Branchenportals 'The Hollywood Reporter' sorgt das beim Verleih Warner Bros. durchaus für Kopfschmerzen: Warner soll Nolan dazu gedrängt haben, «Tenet» auf einen möglichst späten Termin zu verschieben, und dem Regisseur marktwirtschaftliche Prognosen gezeigt haben, um zu verdeutlichen, dass «Tenet» mehr Geld einnehmen würde, würde der Film erst dann anlaufen, wenn die USA Corona besser in Griff bekommen haben. Denn dann hätten mehr Kinos wieder geöffnet und sie würden dann geringere Maßnahmen ergreifen.

Nolans Antwort soll aber sinngemäß gelautet haben: Es geht ihm nicht ums Geld. Er wolle den Kinobetrieben helfen, die wieder geöffnet sind. Eine starke, solidarische Haltung, wenn man mich fragt: Wenn Kinos halt schon wieder geöffnet sind, wieso sollten sie ohne aktuelles, exklusives Highlight-Programm bei gedrosselter Kapazität vor sich hin krebsen? Ein 20-Prozent-Kapazität-Kino, das nur vier, fünf Tickets am Tag verkauft, wird über kurz oder lang unrettbar Miese machen. Aber wenn man mit «Tenet» das 20-Prozent-Kapazität-Kino bis zu 15 oder 18 Prozent pushen kann? Dann ist das eine erfreuliche Sache – zumal Nolan zu Warner genauso gut sagen könnte: "Stimmt, lass die Kinos doch vor sich hin röcheln und den Film erst im Herbst 2021 starten, damit wir fett Kohle machen."

Doch Nolans Beschluss bringt ihm vor allem im englischsprachigen Segment der Filmpresse enorme Kritik ein. Zahlreiche Filmjournalistinnen und Filmjournalisten, wie etwa Josh Spiegel, stellen es als Leichtsinn dar. Als verwöhntes Gehabe von Nolan, der sich nicht von einer Pandemie in seinen Plänen beirren lassen möchte. Als Gefahr für die Bevölkerung. Hä? Nolan sagt ja nicht: "Mein Film startet sobald wie möglich und darf nur in ausverkauften Kinos laufen, die keine Sicherheitsvorgaben einhalten." Ja, das wäre gefährlich und größenwahnsinnig. Und unrealistisch. Realistischer wäre: "Ich will, dass Kinos öffnen, damit mein Film dort laufen kann." Aber selbst das ist nicht der Fall.

Selbstredend ist es besorgniserregend, wie schlecht die USA mit der Pandemie umgehen – aber der Verursacher dessen ist ganz woanders zu finden als auf dem Regiestuhl von «Tenet». Und wenn US-Kinos zu schlechte Maßnahmen ergreifen sollten, so muss auch das kritisiert werden – aber nach einer berechtigten, fetten Schelte gegen die US-Kette AMC, die sich gegen Masken aussprach, hat sich ja glücklicherweise Besserung eingestellt. Sollten Kinos in Staaten öffnen, wo sie besser nicht öffnen sollten, ist auch das falsch und sollte kritisiert werden. Aber wenn Kinos geöffnet haben – dann sollen die ruhig auch einen neuen Film spielen. Ob «Tenet» läuft oder eine Wiederaufführung von «Ghostbusters» ist dem Virus doch vollkommen egal. Ob Leute daheim bleiben, wenn es ihnen schlecht geht, Masken in der Öffentlichkeit tragen und auf die Wissenschaft statt auf einen machthabenden Trampel hören – das ist von Bedeutung.

Solange man sich über Nolan aufregt, lenkt man nur von der wichtigeren Debatte ab. Aber vielleicht ist es den Amis einfach eine willkommene Abwechslung, sich einzubilden, sie könnten die Pandemie eindämmen, indem «Tenet» erneut verschoben wird. Immerhin wäre das eine filmreif-einfache Antwort. Und würde die Verantwortung einer ganzen, zunehmend dysfunktionaleren Gesellschaft auf einen einzelnen Regisseur abwälzen. Wie bequem!
15.07.2020 13:17 Uhr Kurz-URL: qmde.de/119779
Sidney Schering

super
schade


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Tags

Popcorn Tenet Ghostbusters

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Der Clown
15.07.2020 18:23 Uhr 1
100 % Nolan, seine Herangehensweise. Er macht Filme um der Filme willen und nicht um die $$$. Ehrenmann. Und gerade bei TeneT, wo man die Trailer schon nicht checkt, da könnte ich mir sogar vorstellen, den Film 2-mal im Kino zu gucken, nur um den Streifen zu verstehen :) Ist auch wieder nen IMAX-Film, d. h. teurere Tickets werden verkauft. Und schöne Action drin, zu Land, zu Wasser und in der Luft (ich sag nur Flugzeug in den Hangar und KABUMM)
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