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«Shoplifters» - Was ist Familie?

Auf dem Filmfestival von Cannes gewann das japanische Drama «Shoplifters» Anfang des Jahres die Goldene Palme. Bei der Oscar-Verleihung geht der Film nun als Kandidat für die Auszeichnung „Bester fremdsprachiger Film“ ins Rennen.

Filmfacts: «Shoplifters»

  • Start: 27. Dezember
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 121 Min.
  • Musik: Haruomi Hosono
  • Kamera: Ryûto Kondô
  • Buch & Regie: Hirokazu Koreeda
  • Darsteller: Lily Franky, Sakura Andô, Mayu Matsuoka, Jyo Kairi, Miyu Sasaki, Sôsuke Ikematsu
  • OT: Manbiki kazoku (JPN 2018)
Wie genau definiert man eigentlich Familie? Als frei gewählten, dauerhaften Zusammenschluss verschiedener Individuen? Muss Blutsverwandtschaft im Spiel sein? Aus welchen Mitgliedern besteht sie? Müssen sie gemeinsam unter einem Dach leben oder reicht es aus, zu wissen, dass man „Familie ist“? Wer immer schon einmal wissen wollte, wie mannigfaltig sich der Begriff „Familie“ interpretieren lässt, den lässt der vielfach preisgekrönte, japanische Regisseur Hirokazu Koreeda («Unsere kleine Schwester») jetzt in seinem bei den Filmfestspielen von Cannes prämierten Drama «Shoplifters – Familienbande» an seiner ganz eigenen Interpretation davon teilhaben. Dafür ließ er sich von den realen Lebensumständen in seinem Heimatland inspirieren. Hier leben die Menschen unterhalb der Armutsgrenze oftmals in selbst gewählten, familiären Zusammenschlüssen, denen von außen nicht anzusehen ist, wer hier nun eigentlich mit wem verwandt ist.

Zu sagen, die Auflösung der Familienverhältnisse in «Shoplifters» sei so etwas wie ein Twist, wäre vermutlich etwas zu viel des Guten. Fakt ist aber, dass Koreeda sehr lange damit spielt, dass sich dem Zuschauer nicht sofort erschließt, wer hier nun eigentlich der Ehemann, die Ehefrau, die Schwester oder der Cousin von wem ist. Doch dadurch lässt sich die Kernaussage seiner Geschichte ja nur noch besser an den Zuschauer herantragen: Familiärer Zusammenhalt ist keine Frage der Verwandtschaft, sondern der gegenseitigen Aufopferung!

Sie gehören zusammen


Nach einer Diebestour in einer kalten Winternacht treffen Osamu Shibata (Lily Franky) und sein Sohn Shota (Jyo Kairi) auf das kleine, verwahrloste Mädchen Yuri (Sasaki Miyu). Kurzerhand tut Osamu das, was der Gelegenheitsarbeiter am besten kann – er "stibitzt" Yuri und nimmt sie für eine warme Mahlzeit mit nach Hause. Die anfänglichen Bedenken seiner Frau Nobuyo (Ando Sakura) über das neue Familienmitglied sind schnell verflogen. Auch Großmutter Hatsue (Kiki Kilin) und Halbschwester Aki (Matsuoka Mayu), die hinter einem Einwegspiegel in einem Stripclub arbeitet, heißen Yuri in der Enge ihrer alten Behausung willkommen. Umgeben von anonymen Wohnblöcken lebt die bunte Truppe mithilfe von kleinen Betrügereien, Ladendiebstählen und trotz widriger Umstände glücklich zusammen. Bis zu dem Tag, an dem ein unvorhergesehener Vorfall bisher gut geschützte Familiengeheimnisse enthüllt. Jetzt muss sich beweisen, ob diese Menschen mehr verbindet, als ihr Dasein als Kleingauner und Lebenskünstler…

Auf dem Plakat zu «Shoplifters – Familienbande» sind sechs Personen zu sehen. Zusammen bilden sie eine Gemeinschaft, wohnen unter einem Dach und befolgen sowohl dort als auch im Viertel, in dem sie wohnen, die sich selbst auferlegten, gemeinsamen Regeln. Sie sind eine Familie; das würde zumindest jeder Außenstehende denken. Dass eine von ihnen aber nicht direkt dazugehört, macht sich der auch für das Drehbuch (mit-)verantwortliche Hirokazu Koreeda zur eröffnenden Prämisse: Die kleine, auf offener Straße zurückgelassene Yuri stößt auf das Familienoberhaupt Osamu und seinen Sohn, die das junge Mädchen – im wahrsten Sinne des Wortes – vom Fleck weg in ihr Herz schließen. Es folgt ein vorsichtiges Kennenlernen und eine selbstverständliche Eingliederung ins soziale Gefüge rund um Osamu und seine Ehefrau Nobuyo; kein Culture-Clash im klassischen Sinne, dafür entstammen schließlich beide Seiten derselben Gesellschaftsschicht. Trotzdem handelt «Shoplifters» zunächst einmal davon, wie sich zwei Seiten vorsichtig annähern und lernen, das Gegenüber und seine jeweiligen Eigenheiten zu verstehen.

Dabei steht jedoch nie die Kollision etwaiger Unterschiede im Fokus, sondern mehr das Entdecken von Gemeinsamkeiten und beieinander Halt finden, weil man merkt, dass man zu zweit besser dran ist, als allein. Diese zurückgenommene Erzählung bleibt auch dann so subtil, wenn Yuris neue Familie später auf ihre leiblichen Eltern trifft. Hier regiert nicht die große, in Familiendramen übliche Hysterie, sondern die lethargische und gerade deswegen so erschütternde Gleichgültigkeit.

Kein Armutskitsch, sondern echte Emotionen


«Shoplifters – Familienbande» ist generell ein Film, dessen emotionale Gewalt eher unter der Oberfläche brodelt. Den großen Gefühlsausbruch bekommt man hier allenfalls im Stile ausgiebiger Sympathiebekundungen zu sehen, ansonsten gefällt Hirokazu Koreedas Arbeit vor allem dadurch, dass er hier in erster Linie einen uns allen eher fremden Alltag beobachtet – und dabei die Gegebenheiten nie so ausleuchtet (sowohl im übertragenen, als auch im wörtlichen Sinne), dass die darin agierenden Figuren jemals in eine Opferposition gedrängt werden würden. Die Protagonisten verdienen sich ihr Geld, indem sie Ladendiebstähle begehen, sich in Stripclubs für Fremde ausziehen, sich prostituieren oder ausschließlich von der Pension zehren – stigmatisiert wird nichts davon. Das bedeutet jedoch nicht, dass Koreeda nicht auch Kritik zulässt. Immer wieder lässt er seine Figuren über die Verhältnisse debattieren, erläutert die Zusammenhänge zwischen den Lebensbedingungen der Protagonistenfamilie und dem japanischen Wirtschaftssystem und verzichtet dabei doch durchgehend auf klassische Motive des Armutskitschs.

Ja, auch hier sieht man irgendwann, wie eine große Familie auf viel zu kleinem Raum auf dem Boden schläft. Doch in «Shoplifters» soll ein solch abgegriffenes Motiv nicht etwa ausdrücken, wie schlecht es dieser Familie geht, sondern dient als ultimatives Sinnbild für familiären Zusammenhalt. Diese aufrichtige, eben nicht auf Filmpreise oder anderweitiges Prestige abzielende Inszenierung allein sorgt schon dafür, dass wir die Auszeichnung keinem „Bester fremdsprachiger Film“-Kandidaten dieses Jahr mehr gönnen, als «Shoplifters».

Einen Film über ein Figurenkonstrukt zu erzählen, das aufgrund seines liebevollen Verhaltens von außen als Familie zu identifizieren ist, muss natürlich auch von den Darstellern entsprechend aufopferungsvoll verkörpert werden. Die hierzulande allesamt nahezu unbekannten Darstellerinnen und Darsteller verschmelzen im Laufe der mitunter ein wenig zähen 121 Minuten (dafür passiert erzählerisch einfach insgesamt ein bisschen wenig) immer mehr zu einer Einheit, indem jeder von ihnen gleichermaßen ruhige, intime, aber auch aufbrausende Schauspielmomente erhält. Hirokazu Koreeda hält bei seiner Inszenierung die Waage präzise zwischen einem vom Cast im Gesamten getragenen Ensemblestück und einem Film, in dem sich auch jede(r) Einzelne von ihnen profilieren kann. Trotzdem bleiben am Ende vor allem zwei Leute im Gedächtnis: Da ist zum einen Newcomerin Miyu Sasaki («Samurai Gourmet») als knopfäugige Yuri, die sich nicht einfach nur über ihren Status als armes Findelkind definiert, sondern mit ihrer forschen Art sogar immer wieder für vereinzelte Lacher sorgt.

Zum anderen beeindruckt aber auch Lily Franky («Vater und Sohn»), der das Familiengefüge als verzweifelt um Harmonie kämpfender Vater stets zusammenzuhalten versucht und dabei trotzdem versucht, seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Neben der Erkenntnis, wie in «Shoplifters» am Ende alles miteinander zusammenhängt, sind es vor allem die letzten zehn Minuten und Frankys herzzerreißende Performance, die sich nach dem Kinobesuch dauerhaft ins Gedächtnis bohren.

Fazit


«Shoplifters – Familienbande» definiert den Begriff „Familie“ neu, indem sich Regisseur Hirokazu Koreeda üppige zwei Stunden Zeit nimmt, zu ergründen, was Menschen zusammenhält. Trotz der örtlichen Fixierung auf den Handlungsort Japan, sind – auch dank der fantastischen Darsteller – viele Beobachtung weder zeit-, noch raumgebunden, sondern einfach nur das Ergebnis inniger, aufopferungsvoller Liebe, die das Drama mit jeder Sekunde zelebriert.

«Shoplifters – Familienbande» ist ab dem 27. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
27.12.2018 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/106111
Antje Wessels

super
schade


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Unsere kleine Schwester Shoplifters – Familienbande Shoplifters Samurai Gourmet Vater und Sohn

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