Fernseh- und Theaterregisseur Lars Montag feiert mit der Romanadaption «Einsamkeit und Sex und Mitleid» ein fulminantes, nahezu unvergleichliches Kinodebüt, das man gesehen haben muss.
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Sex
So isoliert sich die sukzessive eingeführten Figuren fühlen mögen, so allein auf weiter Flur «Einsamkeit und Sex und Mitleid» tonal sein mag, so tolldreist die strukturelle, narrative Attacke auf ähnlich geartete Filme anmutet: Dieses farbübersättigte Zerrbild der modernen Beziehungswelten ist ganz und gar nicht freudlos! Etwa, wenn die von ihrem Bekannten, dem Gelegenheitsrassisten Thomas (Jan Henrik Stahlberg), unentwegt als feige titulierte Carla (Friederike Kempter) urplötzlich in eine "Ich habe gerade keinen Bock auf diesen Scheiß und Zeit dafür habe ich genauso wenig!"-Laune rutscht und daher aus reiner Frustration Mumm beweist.
Oder wenn der unentwegt zwischen Schüchternheit, Casanova-Charme, Überkompensation und pubertärem Machotum hüpfende Mahmud (Hussein Eliraqui) Beziehungstipps von seinem neunmalklugen kleinen Bruder bekommt, der goldig guckt, aber abgefuckte Theorien über seine Religion, sein Heimatland und das andere Geschlecht hat. Wenn der sich für einen Rebellen haltende Langweiler und Supermarktleiter Uwe König (Peter Schneider) mal wieder mit einer Belanglosigkeit prahlt oder von Chipsfanatiker und Ex-Lehrer Ecki Nölten (Bernhard Schütz) attackiert wird … «Einsamkeit und Sex und Mitleid» beherrscht allerlei verkorkste, boshafte und schmuddelige Noten auf der Humorklaviatur – aber auch den glasklaren, hellen Klang der spritzigen Situationskomik.
Der von Einsamkeit und Mitleid ins Sandwich genommene Sex in diesem Zweistünder hingegen ist nicht spritzig. Überhaupt nicht. Montag und Helmut Kraussner, der an der Drehbuchadaption seines Romans mitwirkte, sind keinesfalls sexnegativ – in den über dieses Geschichtengeflecht verteilten Sexualanekdoten wird durchaus klar: Das kann eine erfüllende, schöne Sache sein. Die erfrischend ehrliche Künstlerin Janine (Katja Bürkle) ist zufrieden mit dem, was sie kriegt, so lange sie mitbestimmt. Und das Escort-Pärchen Vincent & Vivian (Eugen Bauder & Lara Mandoki) mag mit seinen Beziehungsgesetzen andere Leute verwirren, aber … Hey, sie klagen weitaus weniger über ihre Lage als der Rest dieses Figurenensembles! Ob Abgeklärtheit, Verdrängung oder Unkompliziertheit der Grund ist, muss jeder selber entscheiden. Dennoch: Sex kann gut gehen.
Mit Betonung auf "kann", denn was wäre ein verschrobenes, aufgekratztes Tragikomödien-Satireexperiment, würde es nicht in unverschämter Klarheit abbilden, wie lächerlich die menschliche Körperlichkeit ist, verfolgen sie unausgeglichene, verzweifelte, selbstsüchtige Leute. Wie Julia König (unerschrocken: Eva Löbau), die denkt, sie sei sexuell frei und selbstbestimmt – obwohl sie sich in ihrem eigenen Gedankenkonstrukt erdrosselt. Konkret verbalisiert wird das zu keinem Zeitpunkt, zu groß ist das Vertrauen des Regisseurs in sein Publikum, um ihm so explizit etwas vorzukauen – doch Montags begnadete Regieführung spricht Bände. Je nach Subtext verträumt-kreativ oder analytisch-distanziert, setzt er seine Figuren behände in Szene. Eine dezente Fokusverschiebung genügt, und Kameramann Mathias Neumann («Das Mädchen auf dem Meeresgrund») lässt die Stimmung völlig umkippen. Cutter Marc Schubert («Schutzpatron») sorgt indes für elegische Übergänge zwischen den einzelnen Handlungsfäden, womit er die gelegentlich harschen Gegenüberstellungen von kapriziösen Figuren wie Jesus-Freak Johnny (Aaron Hilmer) und introvertierten Protagonisten wie Robert Pfennig (Rainer Bock) charmant, ja sogar attraktiv gestaltet: Es ist allen desolaten Bestandsaufnahmen zum Trotz eine prickelnde Freude, diesem erstklassigen Ensemble aus verqueren Charakterköpfen zuzuschauen.
Diese Attraktivität rührt nicht zuletzt aus der getragenen Farbästhetik von «Einsamkeit und Sex und Mitleid»: Andreas C. Schmids Szenenbild und Sonja Hesses Kostümgestaltung sind irreal-knallbunt. Die meisten Figuren haben eine Erkennungsfarbe, die ihre Welt dominiert – so tragen Vincent und Vivan bevorzugt ein klinisches Weiß, der frustrierte Ecki hingegen Lila, die Farbe der sexuellen Unzufriedenheit. So überspitzt und kunstvoll diese Ästhetik sein mag, sie steht nie dem Inhalt im Weg – sie unterstreicht ihn mit manischer Brillanz: «Herzblut»-Regisseur Lars Montag zelebriert sein Leinwanddebüt mit einem exzentrischen Cinemascope-Bilderreigen, der nicht die Realität der bissigen Beziehungswelt abbildet, sondern das Gefühl, das sie hinterlässt. Da ist ästhetische Theatralik nur angebracht.
Denn wie reizvoll wäre sie sonst, die Wirklichkeit? Stylisch gemeinte, doch deprimierend bemühte Isolationspartys, freches Sexting, bei dem die wahre Sehnsucht in gespielter Wollust untergeht, Fitnesscenter-Drills, um den Körper für die Partnerjagd zu optimieren: Alles, was der Film zeigt, ist in runtergebrochener Form alltäglich. Und das alles ist zu gewissem Grade Irrsinn, wenn man ehrlich ist. Sind es doch bloß Handwerkszeuge, um (vermeintlich) effektiver seine Rolle im Romantiktheater auszufüllen …
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