Fernseh- und Theaterregisseur Lars Montag feiert mit der Romanadaption «Einsamkeit und Sex und Mitleid» ein fulminantes, nahezu unvergleichliches Kinodebüt, das man gesehen haben muss.
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Einsamkeit
Filmfacts «Einsamkeit und Sex und Mitleid»
- Regie: Lars Montag
- Drehbuch: Helmut Krausser & Lars Montag; nach dem gleichnamigen Roman von Helmut Krausser
- Produzent: Werner C. Barg, herzfeld productions
- Ko-Produzenten: bildundtonfabrik, Lars Montag, Dr. Cornelia Ackers (BR), Frank Tönsmann (WDR)
- Darsteller: Bernhard Schütz, Jan Henrik Stahlberg, Friederike Kempter, Rainer Bock, Maria Hofstätter, Lilly Wiedemann, Taliha Iman Celik, Hussein Eliraqui, Katja Bürkle, Peter Schneider, Eva Löbau, Lara Mandoki, Eugen Bauder, Aaron Hilmer, Lisa Adler, Barbara Philipp
- Kamera: Mathias Neumann
- Schnitt: Marc Schubert
- Musik: Konstantin Gropper
- Szenenbild: Andreas C. Schmid
- Kostümbild: Sonja Hesse
- Laufzeit: 119 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Ein stinknormaler Arthouse-Film aus Deutschland. Zahlreiche Menschen unterhalten sich. Über dies. Und das. Und jenes … Thomas, der Kaugummikauer, sitzt im ICE und zieht sich seine schicken Schuhe aus. Er döst. Bis ihn Kindergeplärr aufweckt. Wütend schnaubt er herum, die Balgen sollten baldig Ruhe geben. Er wird rassistisch. Und seine Schuhe sind auch weg. Schönling Vincent schaut sich das Schauspiel an. Und grinst. Nicht wissend, dass er gerade Zeuge wurde. Zeuge eines gar wunderlichen Moments, der eine Kette auslösen sollte. Eine Kette von lose verbundenen Ereignissen, die dem unbeteiligten Betrachter – und auch dem dreckig grinsenden Zuschauer sowie dem gerührt Mitleidenden – einen wild-kaleidoskopischen Einblick bietet in die provokante, ungeschönte Unterseite des heutigen Geflechts aus Beziehungsformen, -stilen, -methoden, -launen. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Hurrikan auslösen. Doch das ist nichts. Nichts im Vergleich zu dem, was ein Schuhdiebstahl in einem ICE in Bewegung setzt.
Gesponnen wird das in grellen Farbkontrasten gehaltene, vom besagten Schuhdiebstahl ausgehende Spinnennetz zeitgenössischer Sexual-, Sinnlichkeits-, Selbstsucht- und Schwärmereiproblematiken vom Fernseh- und Theaterregisseur Lars Montag. Als Inspiration mag ihm ein Roman gedient haben – Helmut Kraussers rabenschwarz-illustre Storyverkettung «Einsamkeit und Sex und Mitleid». Doch eine andere Konnotation drängt sich ebenso auf – und dies mit der Gewalt eines kummervollen Elektrobeats: Höchstwahrscheinlich vollkommen unbeabsichtigt erschuf Montag einen Film, der anmutet, als sei er direkt aus Marco Göllners Verstand in den Kinosaal projiziert worden.
Montags «Einsamkeit und Sex und Mitleid» ist ein faszinierendes, filmisches Geflecht, dessen Tonalität genau der Art von Geschichten entspricht, die so häufig als «Fest und Flauschig»-Hörspielintros dienen. Bloß dass dieser Film tiefer geht. Er ist ausgereifter. Auf fast schon morbide Weise melancholisch. Derart sarkastisch, dass es obszön ist. Und doch mit einem pochenden Herzen. Und nachdenklichem Beiklang. «Einsamkeit und Sex und Mitleid» ist im Kern eine aufgeweckte, in ihren bizarren Feinheiten erschreckend akkurate Bestandsaufnahme. Nur eben in diesem wunderbar-abstrusen Tonfall vermittelt. Der rote Faden, der als Naht zwischen diesen Flicken dient, ist eine Feststellung: Beziehungen sind kompliziert, egal wie alt man ist, egal, wohin sich die Gesellschaft entwickelt und ganz gleich, weshalb man eine hat oder will.
Doch Montag belässt es nicht darauf. Statt diese brutal banale Tatsache abzubilden, fängt er ein, wie sich diese Erkenntnis anfühlt. Er schmückt sie in einer bild- und klangästhetischen Grandeur aus, wie sie das deutsche Kino nur äußerst selten sieht. Und übergießt all dies mit einer genüsslich derben Schicht aus "Bahn frei, so geht das, ihr verkorksten Langeweiler":
Mit überprätentiöser Stimmfarbe kommentieren unregelmäßig hocheloquente, emotionsbefreite Erzählstimmen das Geschehen. Ihre Bemerkungen scheinen oberflächlich für Einordnung zu sorgen, allerdings stiften sie zuweilen Verwirrung, kratzt man erst an dieser Oberfläche. Überheblich setzten sich die Erzählerkommentare über Witz, Tragik und Fremdscham hinweg und entdecken Poesie in Momenten reinster Banalität. Dies aber mit einer derartigen Präzision, dass die Erzählstimmen gerade wegen ihrer vermeintlichen Fehlleistung zum Gewinn werden. Sie nehmen das so tragisch-ironisch zusammengestellte Sammelsurium an dezent überhöhten, unerfreulichen Alltagsbeobachtungen, und verpassen dem knochentrockenen, bieder-bedeutungsschwangeren Duktus diverser Arthouse-Filme mit ähnlichem Thema einen pointierten, neckischen Hieb in die Rippen. Die gedankenverlorene, desolate Bestandsaufnahme der Zwischenmenschlichkeit in Deutschland – sie kann auch Laune machen. Und sei es eine garstig-satirische. Diese Romanadaption ist ein einzigartiges Stück des deutschen Kinos.
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