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Sam Garbarski: 'Der Dreh ist ein organischer Prozess'

«Es war einmal in Deutschland …»-Regisseur Sam Garbarski erklärt, wie er zu Genrebegriffen steht und wie er von seiner Wahlheimat Belgien aus auf die deutsche Politik blickt.

Ich bemerke, dass der jüdische Humor zum Beispiel sehr dem belgischen Humor ähnelt. Meine Theorie ist: Meistens sind es kleinere Völker, die sich nicht so ernst nehmen, welche solch einen Humor entwickeln. Da macht man sich selbst über sich lustig, um seine eigene Quasi-Inexistenz zu kommentieren. Der jüdische Humor ist obendrein einer, der gar nicht einmal so brüllend komisch ist – ihm wohnt eine philosophische Einstellung inne.
Sam Garbarski
«Es war einmal in Deutschland …» mischt Tragik, Komik und erschütternde Einblicke in das Leben deutscher Juden in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ich will wirklich nicht die Frage stellen "Darf man das?", muss aber wissen: Traut sich Kino-Deutschland das? Der Film hat ja sehr viele Geldgeber – ich werde den Verdacht nicht los, dass es daran liegt, dass niemand das volle Risiko für diese Mischung übernehmen wollte … (lacht)
(lacht) Ich darf ganz ehrlich sagen: Nein, daran hat es nicht gelegen! Es gab wirklich keinerlei Gegenwind wegen der Vermischung aus Tragik und Komik. Im Gegenteil sogar: Alle haben erkannt, dass dieses Element unzertrennbar zu dieser Geschichte gehört. Schließlich geht es darum, wie sich David Bermann sein Leben erträglich lügt – mittels Humor. Alle Geldgeber haben das vollauf unterstützt.

Das überrascht mich – im positiven Sinne. Denn man hört und liest ja schon sehr oft die Diagnose, dass in deutschen Medien dieser trocken-nachdenkliche Galgenhumor, also der gemeinhin "jüdische Witz" genannte Tonfall, dramatisch unterrepräsentiert ist. Zeichnet sich etwa eine Trendwende ab?
Schwierig. Für eine fundierte Prognose kenne ich mich nicht genug in der Entwicklung der deutschen Kinokomödie aus. Ich bemerke aber, dass dieser jüdische Humor zum Beispiel sehr dem belgischen Humor ähnelt. Meine Theorie ist: Meistens sind es kleinere Völker, die sich nicht so ernst nehmen, welche solch einen Humor entwickeln. Da macht man sich selbst über sich lustig, um seine eigene Quasi-Inexistenz zu kommentieren. Der jüdische Humor ist obendrein einer, der gar nicht einmal so brüllend komisch ist – ihm wohnt eine philosophische Einstellung inne. Er soll mehr zum Schmunzeln, als zum Schenkelklopfen anregen. Ich persönlich neige sehr zu diesem Humor.

Wenn ich nicht über meine eigenen Unzulänglichkeiten oder mit Freunden über deren Fehler nachdenklich, doch gewitzt scherzen könnte – ich würde es nicht aushalten. Ob Deutschland sich dem nun zunehmend annähert – ich weiß es nicht. Zumindest aber findet er in Deutschland statt. Ich habe kürzlich «Wilde Maus» von Josef Hader gesehen. Das ist zwar eine österreichische Koproduktion, dennoch: Da ist dieser feine, bittere Witz vorhanden, der kleine Missgeschicke und große Ärgerlichkeiten auf diese eigene Weise abhakt. Auch «Toni Erdmann» würde ich diesen intelligent-feinfühligen Humor ebenfalls attestieren. Ob das nun gleich einen Trend im deutschen Film ausmacht – da bin ich überfragt.

Nochmal konkret zu «Es war einmal in Deutschland»: Ich persönlich muss sagen – auch wenn mir der Film gefallen hat, so beschlich mich der Eindruck, dass er etwas dramatischer ist, als es seinen Figuren gegenüber angemessen ist. Ich hatte wiederholt das Gefühl: "Also, die Teilacher hätten sicher ein paar Schmunzler mehr in diese Erzählung untergebracht".
Ich kann da keine allgemeingültigen Weisheiten abgeben, sondern nur von meiner Warte aus sprechen. Und meiner Beobachtung ist: Wenn ich die Geschichte für meine Filme gefunden habe, folgt ja naturgemäß noch der Dreh – und der ist ein organischer Prozess. Da passieren die Sachen so, wie sie passieren, und schon ist ein komisch gedachter Moment auf einmal rührend oder umgekehrt. Das gehört dazu. Es spielen sich die Dinge manchmal anders ab, als man sich vorher ausgemalt hat. Sei es, weil einer der Schauspieler die Figur ganz anders mit Leben erfüllt, als ich es auf dem Papier gesehen habe. Oder weil die Darsteller miteinander anders harmonieren. Oder weil sie zusammen auf eine Note in der Geschichte stoßen, die ich so nicht hab kommen sehen. Manchmal empfinden sie eine Handlungsentwicklung viel bedrückender als ich – womöglich, weil sie ihre eigenen Erfahrungen darin wiederfinden. Und das passiert alles noch vor dem Schnitt, wo der Film durch die Arbeit mit dem Cutter wieder eine neue Form gewinnt.

Aber das finde ich gut. Es ist wie eine Mayonnaise: Ein bisschen mehr Salz oder doch was Zucker, schneller umrühren oder langsamer … Und ja, dann ist es manchmal was dramatischer oder emotional stärker aufgeladen, als es möglich wäre. Doch das heiße ich willkommen. Ich habe mich nie hingesetzt und gesagt: „Ich will hiermit eine Komödie machen!“ Ich denke vorab überhaupt nicht in Genres – ich nehme mir vor, einen Film zu machen!

Es geht um das Leben danach, und ich wollte es so behandeln, dass das Publikum diese Handlung gegenwartsgerichtet auffassen kann. Der Vergangenheitsbezug war mir nicht so wichtig wie die Aktualität dieser Geschichte: Menschen, die nach einem Krieg in einem Auffanglager ihr Leben neu erfinden müssen. Und ein Protagonist, der Schuldgefühle empfindet, weil er das Grauen überlebt hat – da ist der Gegenwartsbezug doch hoffentlich offensichtlich.
Sam Garbarski über seinen Film «Es war einmal in Deutschland ...»
Wie sehr hat Sie der lange Schatten an deutschen Historiendramen über den Holocaust und dessen Folgen beeinflusst? Als Film, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt und von Juden handelt, die diese Zeit überlebt haben, läuft «Es war einmal in Deutschland» ja rasch Gefahr, in der öffentlichen Wahrnehmung voreilig in diese Schublade gepackt zu werden?
Ich hoffe sehr, dass das nicht passiert! Holocaust ist natürlich ein wichtiges Thema und stellt den Hintergrund für diese Geschichte – dennoch wollte ich nicht noch einen Holocaust-Film machen und habe bewusst eine Abgrenzung davon gemacht. Es geht um das Leben danach, und ich wollte es so behandeln, dass das Publikum diese Handlung gegenwartsgerichtet auffassen kann. Der Vergangenheitsbezug war mir nicht so wichtig wie die Aktualität dieser Geschichte: Menschen, die nach einem Krieg in einem Auffanglager ihr Leben neu erfinden müssen. Und ein Protagonist, der Schuldgefühle empfindet, weil er das Grauen überlebt hat – da ist der Gegenwartsbezug doch hoffentlich offensichtlich. Und wenn nicht – naja, dann kann ich auch nichts mehr machen, der Film ist ja schon fertig. (lacht)

Da Sie ja den aktuellen Bezug ansprechen – wie beobachten Sie denn von Ihrer Wahlheimat Belgien aus die politische Entwicklung in Deutschland?
Ich leide da sehr viel mit. Ich fühle mich noch immer sehr deutsch und fühle mich daher sehr von diesem Rechtsruck betroffen. Aber leider gerät ja die ganze Welt aus den Fugen. Das ist ja wahnsinnig, was da abgeht und was man tatenlos weiter geschehen lässt. Ob in der Türkei, in Russland, Ungarn, Frankreich oder in den USA – unserer einstigen Vorzeigedemokratie. Dass es solche Typen gibt, überrascht mich ja noch nicht einmal. Die hat es schon immer gegeben. Aber dass man da so nichts tuend zuschaut, das finde ich furchteinflößend. Da ist es umso verwirrender, dass Deutschland, während diese ganzen Populisten im Land hochkommen, zeitgleich eine Ausnahme ist und mit Angela Merkel eine Vorzeigepolitikerin hat, die mit diesen machthungrigen Typen umzugehen weiß.

Stellt sich halt die Frage, wie die Medien mit den Populisten und "Neuen Rechten" umgehen sollen. Demontieren Satiriker und Journalisten deren Thesen, heißt’s "Lügenpresse" und die Anhänger dieser Politiker werfen den Medien ungleiche Behandlung vor. Werden die Rechtspopulisten von den Medien totgeschwiegen, in der Hoffnung, so deren öffentliche Aufmerksamkeitswirkung zu demontieren, droht der Vorwurf, nichts getan zu haben …
Ich glaube, wenn sich alle zusammentun würden, könnte man am schnellsten was erreichen. Die klassischen Medien muss man da aber auch mal aus der Bringschuld nehmen, denn die allein können auch nicht mehr dagegen steuern. Wirklich jeder muss gegen die Hunderttausenden von Irren angehen, die ihre hasserfüllten Thesen verbreiten. Jeder Einzelne kann mit 'nem Foto und 'nem flotten Spruch total viele Likes und Follower generieren – also sollte man das auch für das Ziel nutzen, gegen diese Wahnsinnigen vorzugehen. Zugegeben: Wie genau, das weiß ich auch nicht. Oder anders herum, wenn alle zusammen vielleicht aufhören würden darüber zu reden. Wenn ich das Patentrezept wüsste, hätte ich es längst verraten. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch.
«Es war einmal in Deutschland …» ist derzeit in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
08.04.2017 11:06 Uhr Kurz-URL: qmde.de/92348
Sidney Schering

super
schade


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Es war einmal in Deutschland Es war einmal in Deutschland … Toni Erdmann Wilde Maus

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