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«Gilmore Girls»: Willkommen zu Hause

Netflix' «Gilmore-Girls»-Fortsetzung führt uns zurück in die liebgewonnene Welt von Stars Hollow. Dieser Bechdel-Test-Musterschüler ist ein Volltreffer.

Diskussionen über das Golden Age of Television beschränken sich gerne auf sehr exponierte, weil künstlerisch besonders ambitionierte Formate: «The Newsroom». «True Detective». «Breaking Bad». «The Sopranos». «House of Cards». Stoffe über Verbrecher-Clans also, oder über den Journalismus in Zeiten des Twenty-Four-Hour-News-Cycles, feinsinnig erzählte, psychologisch vielschichtige Geschichten über Polizisten im Angesicht der schlimmsten Grausamkeiten oder machtgierige Politiker, neben denen Machiavellis Philosophie wie altruistische Selbstverleugnung aussieht.

Weit weniger Beachtung finden in ihrer Ambition wie in ihrer Wirkung leisere, aber nicht minder gut erzählte Serien aus der zweiten Reihe. Eine solche sind die «Gilmore Girls»: berühmt für ihre wahnsinnig schnell gesprochenen, mit Popkultur-Referenzen vollgepferchten Dialoge (Life’s short! Talk fast!), ihre angenehm heitere Stimmung, ihr nettes Setting in einer pittoresken amerikanischen Kleinstadt-Welt, wo wie in einem Wodehouse-Roman am Ende des Tages trotz aller Widrigkeiten und Konflikte alles gut wird. „Es ist eine leise Sendung über zwei Frauen, die zueinander gehören“, beschrieb Schöpferin Amy Sherman-Palladino die Serie sehr treffend.

Trotz guter Kritiken wurden die «Gilmore Girls» nach ihrem Start 1999 während ihrer sieben Staffeln beim renommierten Emmy nur in Randkategorien bedacht und konnten lediglich weniger prestigeträchtige Preise gewinnen. Bis auf die letzte (siebte) Staffel, die ohne Beteiligung der Erfinder und langjährigen Showrunner entstand, blieben sich die amerikanischen Kritiker in ihrem sehr positiven Urteil über die Serie weitgehend einig: «Gilmore Girls» ist Wohlfühlfernsehen der Spitzenklasse. Eingängig und relateable, freilich in einer verklärten, aber nicht ganz unrealistischen Welt angesiedelt – und gleichzeitig: mit spannenden, komplexen, herrlich exzentrischen Figuren, klug erzählt und witty wie kaum ein anderes Format, erst recht für diese Zielgruppe. Endlich eine Serie, für die Herz und Verstand nicht widersprüchliche Kategorien waren.

Nun also die Fortsetzung in vier neunzigminütigen Netflix-Filmen, die ein Jahr im Leben der Gilmores von heute abbilden. Und die Frage aller Fragen: Mit wem ist Rory denn nun zusammen?

Das ist freilich die falscheste Frage, die unwichtigste und uninteressanteste: Denn obwohl Rory’s Boyfriends zum Lackmustest zwischen jenen Zuschauern taugen, die ihre Sympathien an oberflächlichen Nettigkeiten festmachen, und solchen, die auch bei den «Gilmore Girls» zu einer etwas weitergehenden Charakteranalyse bereit sind, ist es doch viel spannender, wie die hochintelligente und begabte Rory ihr Berufsleben gestaltet: Arbeitet sie noch als Journalistin? Und wenn ja, für welche Publikation?

Dass «Gilmore Girls» aus den Liebesbeziehungen seiner Figuren nie den Dreh- und Angelpunkt der Dramaturgie gemacht hat, ist wohl einer der größten Verdienste der Serie: nicht nur dramaturgisch und narrativ, sondern auch normativ. Sollte es jemals einen Bechdel-Award geben, man sollte ihn als Statue von Lorelai und Rory vergeben.

Bleibt die Angst vor dem möglichen qualitativen Verfall dieser Fortsetzung neun Jahre nach dem Ende der ursprünglichen Serie: Ulrike Klode von „DWDL“ wehrte sich zuerst mit Händen, Füßen und Argumenten dagegen, bevor sie sich an dem Gedanken doch erfreuen konnte, während Abigail Radnor vom „Guardian“ in einem rührenden Artikel ihre Beziehung zur Serie festhielt und von Anfang an Feuer und Flamme für einen Ausflug in die Gilmore-Welt von heute war.

Die «Gilmore Girls» sind – trotz der Klapphandys und Lanes CD-Sammlungen – eine sehr zeitlose Serie: Schließlich geht es in allererster Linie um die Dynamik zwischen Mutter und Tochter, und die heile exzentrische Community, in der die beiden leben. Dass die ursprünglichen Folgen also „gut gealtert“ sind und bei der aktuellen Fortsetzung alle Schlüsselpositionen hinter der Kamera mit den damaligen Erfolgsgaranten besetzt sind, ließ zumindest objektiv keinen qualitativen Verfall befürchten.

Dennoch: Dass «Gilmore Girls: A Year in the Life» in seiner Erzähldynamik, in seiner Ästhetik und in seinem Feeling an den Hochzeiten der ursprünglichen Serie ansetzen können würde, hätte man wohl auch nicht als das wahrscheinlichste Szenario auf dem Radar gehabt.

Genauso ist es nun gekommen. The Girls are back! And they’re better than ever! In einem sehr tragischen Plot – dem Tod von Lorelais Vater Richard, dessen Darsteller 2014 verstorben ist – verhandeln Lorelai und ihre Mutter Emily uralte Konflikte, während Rory trotz erstklassiger Abschlüsse der renommiertesten Institutionen mit dem unsteten Berufsleben und den damit verbundenen Nöten eines Millennials zu kämpfen hat. Kirk ist so durchgeknallt wie eh und je, Luke so sympathisch-verschroben wie in seinen besten Zeiten, und Rory hat einen neuen Boyfriend, den “Vulture“ bereits soziologisch analysiert hat.

I smell snow!
27.11.2016 14:36 Uhr Kurz-URL: qmde.de/89622
Julian Miller

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Tags

A Year in the Life Breaking Bad Gilmore Girls Gilmore Girls: A Year in the Life House of Cards The Newsroom The Sopranos True Detective

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
28.11.2016 03:33 Uhr 1
Ich habe gerade vorhin die ersten ca. 10min. gesehen vom ersten Film und bin schon wieder süchtig.....



Ich hoffe sehr, das es nicht die allerletzten 4 Teile sein werden....
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