Film des Monats: Für «Willkommen bei den Hartmanns» wagt sich «Männerherzen»-Regisseur Simon Verhoeven an den schwierigen Spagat aus emotionaler Komödie und herzhafter Satire über das Thema Flüchtlinge – und gewinnt auf ganzer Linie.
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«Willkommen bei den Hartmanns»
- Kinostart: 3. November 2016
- Genre: Komödie
- FSK: 12
- Laufzeit: 116 Min.
- Kamera: Jo Heim
- Musik: Gary Go
- Buch und Regie: Simon Verhoeven
- Darsteller: Eric Kabongo, Senta Berger, Heiner Lauterbach, Florian David Fitz, Elyas M'Barek, Palina Rojinski, Uwe Ochsenknecht, Ulrike Kriener, Marinus Hohmann
- OT: Willkommen bei den Hartmanns (DE 2016)
TV-Moderator, Satiriker und Erdoğan-Provokateur Jan Böhmermann sagte in seinem wöchentlichen Podcast „Fest und flauschig“ einmal, es gäbe keinen unsinnigeren Satz als „Schluss mit lustig!“. Nun möchten wir beileibe nicht alles gut heißen, was der amtierende «Wetten, dass…!?»-Moderator in seiner mehrjährigen Medienkarriere alles schon von sich gegeben hat. In diesem Fall aber hat er Recht. Was für eine irre Annahme ist es doch, die Welt würde automatisch besser werden, würde man die das Weltgeschehen im Negativen prägenden Ereignisse für sich stehen lassen und nicht doch irgendwie versuchen, ihnen – zumindest in Teilen – die Schwere ihrer Tragweite zu nehmen, indem man das komische Potenzial in ihnen erkennt. Damit sei keine bloße Verballhornung gemeint. Sich über Dinge lustig zu machen, stellt einen ganz anderen Sachverhalt dar, als mit ihnen zu lachen. Der Irrsinn steckt eben auch bei vielen schlechten Nachrichten oftmals im Detail. Da rigoros zu unterscheiden, worüber man nun eigentlich lachen darf und worüber nicht, funktioniert schon deshalb nicht, weil ja schon jeder von uns anders funktioniert. Die Einen ertragen das weltliche Leid um sich herum nur noch mit zynischem Sarkasmus, Andere wiederum, davon werden es allerdings immer weniger, wollen sich komplex damit auseinandersetzen. Und wieder Andere lassen die Dinge einfach geschehen. Ändern können sie an ihnen eh nichts.
Man kann es nie allen Recht machen - und muss es auch nicht!
Was lernen wir daraus? Recht machen wird man es nie allen; erst recht nicht, wenn jeder zu etwas eine Meinung hat, wie am Beispiel der seit über einem Jahr das Mediengeschehen beherrschenden Flüchtlingskrise. Das Gute aber ist: Zwischen der grenzenlosen Willkommens-Euphorie und der hasserfüllten Resistenz gibt es diverse Stufen der Akzeptanz und Ablehnung, um die sich allerdings kaum einer schert. Es ist schließlich viel einfacher, sich einfach nur mit Schwarz und Weiß auseinander zu setzen. Wie man sich ihnen am besten nähert? Mit Humor! Denn Humor ist ebenso vielfältig wie all unsere politischen Meinungen zusammen. Er kann bohrend sein, albern, trocken, beißend, hinterfragend, provokant und simpel – aber er lässt nie kalt. Damit hat Simon Verhoevens Flüchtlingssatire «Willkommen bei den Hartmanns» schon gewonnen, bevor man sich überhaupt tiefer mit ihr auseinander gesetzt hat.
Alles beginnt, als Angelika Hartmann (Senta Berger), frisch pensionierte Lehrerin und Mutter einer von Alltagsproblemen geplagten gutbürgerlichen Familie, eines Tages beschließt, einen Flüchtling aufzunehmen. Angelika ist einsam, seit die Kinder aus dem Haus sind. Ihr Mann (Heiner Lauterbach), Chefarzt einer Klinik, versucht mit allen Mitteln, den Alterungsprozess aufzuhalten. Sohn Philip (Florian David Fitz) driftet in Businesswelten zwischen Shanghai und München, dabei bleibt die Beziehung zu seinem Sohn Basti (Marinus Hohmann) etwas auf der Strecke, Tochter Sophie (Palina Rojinski) weiß mit 31 immer noch nicht, was sie will. Der ganz normale Familienwahnsinn also, in den der Nigerianer Diallo (Eric Kabongo) gerät – und auf seine charmantnaive Art das Leben der Hartmanns ziemlich durcheinanderwirbelt. Ein turbulenter Zustandsbericht aus einem fast normalen Land, in dem alle etwas verwirrt sind…
Eine Familienkomödie mit aktuellem Bezug
Deutschen Filmemachern wird nur zu gern vorgeworfen, sie würden in ihrer Reduktion auf vereinzelte Genres auf Nummer sicher gehen. Doch wenn einschlägige Namen mit Dutzenden von Romantic Comedies regelmäßig mehrere Millionen Besucher in die Kinos locken können, liegt es nahe, dass die Studios entsprechend gern auf derart sichere Kassenschlager-Anwärter setzen. Regisseur Simon Verhoeven durfte dies am eigenen Leib erfahren. Seine beiden Episoden-Romanzen «Männerherzen» und «Männerherzen und die ganz, ganz große Liebe» überzeugten jeweils 2,1 respektive 1,3 Millionen Zuschauer von einem Ticketkauf. Der Anfang dieses Jahres getätigte Ausflug ins Horrorkino glückte indes zwar aus qualitativer Sicht, konnte aber an den Kinokassen nicht einmal einen Bruchteil des Einspiels für sich verbuchen. An Genreverhältnissen gemessen – «Unfriend» stellt mit 265.000 Besuchern den erfolgreichsten deutschen Horrorfilm seit „Anatomie“ dar – konnte man sich von Seiten Warner Bros. trotzdem nicht zu laut beschweren.
Es ist also gewiss keine Bequemlichkeit, in der Verhoevens erneutes Betreten bekannter Komödiengefilde mit «Willkommen bei den Hartmanns» begründet liegt; schon deshalb, weil die Satire sich trotz des geläufigen, bereits in den «Männerherzen»-Filmen etablierten RomCom-Hochglanzlooks inhaltlich ganz und gar von ebenjenen seichteren Genreverhältnissen abhebt. Ein romantischer Nebenplot scheint allenfalls marginal durch und die in einem Gros deutscher Komödien vorherrschende, humoristische Simplizität herrscht in «Willkommen bei den Hartmanns» ebenfalls nicht vor. Simon Verhoeven, der zu seinem Film auch das Drehbuch schrieb, gesteht seinen «Hartmanns» allenfalls auf visueller und akustischer Ebene massentaugliche Gefälligkeiten zu. Das kann man mögen (die Optik entspricht dem, was man von deutschen Kinoproduktionen heutzutage erwarten darf), oder auch nicht (wenngleich die Macher auf allzu präsente Filter verzichten, wirkt «Willkommen bei den Hartmanns» in seinen starken Kontrasten und der hervorstechenden Farbenpracht nicht vollständig lebensnah). Auf jeden Fall aber bekommt der Zuschauer das Optimum an technischer Qualität geboten.
Während es Zynikern nahe liegen mag, «Willkommen bei den Hartmanns» auf den ersten Blick all das vorzuwerfen, was sie ohnehin jeder nationalen Filmproduktion attestieren, die sich auf die breite Masse als Publikum verlässt, lohnt gerade in diesem Fall der Blick unter die Oberfläche. Simon Verhoevens Clash aus emotionaler Komödie und bissiger Polit- und Gesellschaftssatire ist zu keinem Zeitpunkt daran gelegen, es dem Publikum möglichst einfach, angenehm oder gar bequem zu machen. So lässt sich «Willkommen bei den Hartmanns» zwar auch anhand einer eher oberflächlichen Betrachtung genießen; der Hauptplot um die titelgebende Familie Hartmann mit all ihren Spleens und komischen Verirrungen bietet genug Situationskomik- und Slapstickpotenzial, um ein Publikum zu unterhalten, das kleine Messages, Botschaften und entlarvende Gesellschaftsanalysen nicht erkennen kann oder will. Gleichsam lässt sich der Film aber auch genau um solche ergänzen, worin sich auch der Unterschied zwischen einer klassischen Komödie und einer Satire bemerkbar macht. Punktuelle, fast schon grobmotorisch anmutende Gag-Einschübe mögen auf den ersten Blick albern wirken, doch wenn etwa Angelika Hartmann nachts davon träumt, der Islamische Staat hätte die Gewalt über München an sich gerissen hat, sorgt gerade diese groteske Überzeichnung dafür, dass der anschließende Wechsel hin zum emotionalen Austausch über das Grauen in ebenjenen, von der Terrormiliz IS unterjochten Ländern umso intensiver nachwirkt. Es ist wie ein andauerndes Wechselspiel zwischen auffälligem, körperbetont-ausladendem Humor, der unverkrampft gegen alle politischen und gesellschaftlichen Lager schießt, und den das Geschehen erdenden Dialogszenen, die das Grauen der Geflüchteten zu keinem Zeitpunkt ausblenden, das „Willkommen bei den Hartmanns“ zu einem ungewöhnlichen, den Zuschauer fordernden Rhythmus verhilft.
Während Simon Verhoeven auf diese Weise nicht bloß verschiedene Genreeinflüsse miteinander kombiniert, sondern auch auf vielfältige Art unterschiedliche Humor-Auswüchse für sich arbeiten lässt, gerät der Handlungsaufbau darüber fast ein wenig in den Hintergrund. «Willkommen bei den Hartmanns» steht zwischen den Stühlen einer stringent erzählten, definitiv ausladenden Gesamthandlung und eines weiteren Episodenfilms, deren einzelne Geschichten jedoch ein wenig zu eng miteinander verknüpft sind, um tatsächlich auch als ein solcher zu funktionieren. Insofern wirkt die Satire hier und da überambitioniert und droht mitunter, dramaturgisch wie erzählerisch ins Straucheln zu geraten. Bemerkbar macht sich das in erster Linie anhand der vielen Nebenschauplätze, die in ihrer Anzahl fast ein wenig überfordernd wirken. Es fällt nicht immer leicht, den Überblick zu behalten; zumal der Plotverlauf an sich ohne allzu große Überraschungen, geschweige denn Twists auskommt, was das Zurückhalten manch einer Information rechtfertigen könnte. Jeder noch so unscheinbar wirkenden Nebenfigur verpasst das Skript eine mal größere, mal kleinere Hintergrundgeschichte; gerade bei den bewusst auf die karikatureske Spitze getriebenen Charakteren wäre das nicht immer nötig gewesen.
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