Frankreich: Die Geburtsstätte des Kinos und zahlreicher filmischer Bewegungen, wie der Novelle Vague in den 50ern und 60ern, als unter anderem mehrere Filmkritiker die Kamera selbst in die Hand genommen haben. Das Ergebnis: Kostengünstige, experimentierfreudige Filme mit aufwändigen Kamerafahrten und Storys, die existentielle Fragen stellen sowie mit Ironie und Sarkasmus auf den menschlichen Irrsinn hinwiesen. Doch auch der Film Noir und der surreale Film haben ihre Wurzeln, wenigstens zu erheblichen Teilen, in Frankreich. Die direkte, unmittelbare Dokumentarfilmwelle Cinéma vérité und ihr Einfluss auf den narrativen Film stammen ebenso aus dem Land, das seit jeher die Bedeutsamkeit des Regisseurs feiert.
In Frankreich, einem der wenigen europäischen Filmmärkte, der sich praktisch schon allein mit seinen Eigenproduktionen am Leben erhalten kann, kam es zudem wiederholt zu cineastischen Bewegungen, die vom visuellen Stil geprägt wurden – sei es der Impressionismus der Stummfilmzeit oder etwa das Cinéma du look der 80er-Jahre voller glatt stilisierter, leicht verdaulicher Filme mit einprägsamer Optik. In jüngeren Jahren sorgten dagegen vor allem die New French Extremity, eine Flut an besonders harten, garstigen Horrorfilmen, sowie ein Strom an massentauglichen Tragikomödien der Marke «Ziemlich beste Freunde» für Schlagzeilen.
Für viele Filmfreunde dürfte aber ein Aspekt das Bild des französischen Films stärker prägen als alles andere: Die Romantik. Egal, wie viele Komödien mit oder ohne Louis de Funès in der Bundesrepublik die Kassen klingeln lassen, und ganz gleich, wie viele französische Arthouse-Produktionen internationales Kritikerlob ergattern, das Klischee der romantischen Franzosen lässt sich nicht aus den Köpfen verjagen. Im dritten Teil unserer filmischen Weltreise geben wir uns den vorherrschenden Vorstellungen hin – und träumen von der ganz großen Liebe …
Die Handlung
Die Küstenstadt Cherbourg in der Normandie: Geneviève Emery arbeitet im Regenschirmgeschäft ihrer Mutter und denkt tagein, tagaus an den Automechaniker Guy. Dieser hat ein großes Herz und kümmert sich hingebungsvoll zusammen mit der jungen Haushaltsgehilfin Madeleine um seine Patin. Auch Madeleine hat ein Auge auf Guy geworfen, doch es ist Geneviève, die genügend Mut aufbringt, ihm ihre Gefühle zu zeigen. Jedoch wird Guy einberufen, um im Algerienkrieg zu dienen. In der Nacht vor seiner Abreise geben sich Guy und Geneviève ihrer Leidenschaft füreinander hin, woraufhin sie schwanger wird. Genevièves emsige Mutter Anne drängt während Guys Abwesenheit auf eine baldige Heirat. Der unauffällige, aber gepflegte und wohlhabende Roland Cassard zeigt Interesse …
Die 6 glorreichen Aspekte von «Die Regenschirme von Cherbourg»
Jacques Demys Meisterstück von 1964 ist ein denkwürdiges, stimmungsvolles Kleinod des französischen Kinos – nicht zuletzt aufgrund seiner prachtvollen Farbästhetik. Gerade im Angesicht der betörenden, fast schon traumhaft-intensiven Farbtöne, die diese bittersüße Liebesgeschichte in ein poetisches Kleid hüllen, lohnt es sich für jeden Cineasten, nach der restaurierten Fassung Ausschau zu halten. Diese wurde in mühevoller Kleinstarbeit erstellt, um zu ermöglichen, dass «Die Regenschirme von Cherbourg» der Nachwelt in der Brillanz erhalten bleibt, die diese deutsch-französische Koproduktion am Tag ihrer Premiere ausgemacht hat.
Doch dieses in einer zuckrigen Ästhetik gehüllte Romantikdrama brennt sich nicht allein wegen seiner Farben, sondern auch dank seiner ebenso hoffnungsvollen wie betrübten Klänge ins Gedächtnis. Jede Figur hat ihre eigene, subtil variierte Erkennungsmelodie. Über allem schwebt jedoch Michel Legrands eingängiges Leitmotiv, das sich durch die Liebesgeschichte Geneviève Emerys zieht. Es besteht aus einer romantischen Melodie, die aber durch ein sehnsüchtiges, melancholisches Violinenarrangement zu einem akustischen Sinnbild für die Vergänglichkeit naiver Liebeleien wird. So nimmt der durchgehend operettenhaft gesungene Film zwischen den Enttäuschungen der Wirklichkeit und einer filmisch-überhöhten Emotionalität Platz – und das scheinbar mühelos.
Das gesamte Ensemble meistert den un-musicalhaften Stil, den Demy und Legrand hier verfolgen: Zwar werden die Dialoge melodisch vermittelt, aber in einer so zurückhaltenden Art, dass die Performances eher intim, in die Seele der Figuren blickend wirken, statt extrovertiert. Als ein intensives Auf und Ab durchmachende Geneviève, die aber sowohl gute als auch schlechte Wenden des Schicksals hinnimmt, sticht jedoch besonders Catherine Deneuve hervor. Irgendwo zwischen „sich würdevoll vom Strom des Lebens mitschleppen lassend“ und „resignierend“ verkörpert sie die Protagonistin auf komplexe, stets nachvollziehbare Weise.
Generell ist die von Demy mit bedacht gewählte Verschmelzung aus Realismus und Sentimentalität atemberaubend: Geneviève trifft nüchterne, unromantische Entscheidungen, und dennoch wirkt die Geschichte durch die bezaubernde Umsetzung nie als Schwanengesang auf das Liebesglück. Demy trennt zwischen der Liebe in Gedanken und der Liebe in ihrer Umsetzung – all dies, ohne es je zu verbalisieren und so dem Publikum überdeutlich vorzuhalten.
Unterstrichen wird dies durch eine präzise, unaufdringliche Kameraarbeit, die gewissermaßen an Stelle der in Musicals üblichen, hier nicht vorkommenden Tanzsequenzen tritt. Die Kamera schwebt vorsichtig durch den Raum, ohne je die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Stets bleibt die Aufmerksamkeit bei den stark fokussierten Darbietungen, während die Kamerabewegungen unterbewusst die traumhafte Stimmung verstärkt – und die pittoresken Drehorte und Kulissen zur Geltung bringt. Ganz gleich, wie bittersüß die Liebesgeschichte von Cherbourg sein mag: Wer möchte nach diesem Film nicht mit Anlauf in diese Welt springen und einen Urlaub zwischen verwinkelten Gassen, Zartrosa, Babyblau und Kopfsteinpflaster verbringen?
«Die Regenschirme von Cherbourg» ist auf DVD erhältlich.
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