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'Wir können weder mit Facebook, noch mit dem Handy gesund umgehen'

«Männerherzen»-Regisseur Simon Verhoeven begibt sich mit seinem Genredebüt «Unfriend» erstmals auf Horrorfilmterrain. Ein Anlass für unsere Kinojournalistin Antje Wessels, ein wenig mit ihm fachzusimpeln.

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Man muss einfach schauen, ob die Found-Footage-Inszenierung in den Kontext passt. Aktuell ist ja der neueste und vermutlich letzte «Paranormal Activity»-Film im Kino, der in 3D gefilmt wurde, was vollkommen mit der Found-Footage-Idee kollidiert...
Absolut! Aber gleichzeitig kann man auch sagen: «The Visit» zum Beispiel, der letzte Film dieser Sparte, den ich gesehen habe, der hat mir sehr gut gefallen. Das ist ja auch Found-Footage, da hätte man auch sagen können, dass es durchaus an den Haaren herbeigezogen ist, dass die Kinder das immer filmen müssen.

Bei «The Visit» machte es in dem Zusammenhang ja total Sinn. Erstrecht, weil der Regisseur in dem Film auch ziemlich gekonnt mit unfairen Kritikern abrechnet. Und dazu brauchte es eben die beiden Figuren – den kleinen Jungen und das kleine Mädchen – die beide den Filmemacher repräsentieren in ihren unterschiedlichen Denkweisen. Und da kann Found Footage durchaus hilfreich sein.
Shyamalan wurde von den Journalisten ja auch wirklich fix und fertig gemacht. Bei ihm war es ja fast schon ein Sport, zu schauen, wer ihn noch mehr beleidigen und fertig machen kann. Mein Hauptproblem bei Kritikern ist einfach, wenn da Häme mitspielt. Wenn der Kritiker wirklich ganz sachlich sagt, was warum an einem Film eventuell nicht funktioniert hat, dann ist das aushaltbar für den Regisseur. Und da sagt ein Regisseur vielleicht dann auch mal, dass der Kritiker hier und da durchaus Recht gehabt hat. Nur manchmal ist das eben leichter gesagt als getan. Aber wenn dann so eine Häme in die Kritik reinkommt, wo man als Leser merkt, der Schreiber will sich persönlich an einem abreagieren und erfreut sich auch richtig daran, dass er dich fertig machen kann, dann sagt das für mich mehr über den Kritiker aus als über den Film. Und ich versteh das dann auch nicht. Die Verweise von Shyamalan an die Kritiker sind mir beim Schauen auch aufgefallen und ich bin mir sicher, du hast Recht, dass das für ihn durchaus auch ein Anliegen war. Denn keinem wurde in den letzten zehn Jahren so übel und zu Unrecht übel mitgespielt. Natürlich ist ihm nach seinen ersten Erfolgen nicht alles gelungen. Aber das ist absolut kein Grund, den Typen so fertig zu machen.

Man darf einfach nicht alles am größten Erfolg messen. Jeder Filmemacher hat nun mal einen größten Erfolg, an dem er gemessen wird. Aber eigentlich wollten wir ja über «Unfriend» reden und nicht so viel über «The Visit»…
«The Visit» ist aber ein gutes Beispiel für diese Thematik. Es ist eine gelungene Mischung aus einer modernen Stilistik und einem eigentlich recht altmodischen, fast schon märchenhaften Thema. Man geht in das Haus der bösen Großeltern – das hat fast etwas „Hänsel und Gretel“-mäßiges.

Nun haben wir darüber gesprochen, weshalb du nicht in Found Footage gedreht hast…
Ich bin natürlich auch ein Kind der Siebzigerjahre, das darf man auch nicht vergessen. Ich bin jemand, der bei den Sachen, die ich toll fand, an Filme mit großen Bildern denkt. Im Horrorgenre denke ich da zum Beispiel an «Das Omen». Da ist man natürlich auch immer von geprägt.

Du hast ja schon über deine Recherchen gesprochen. Darüber, dass Du bei Facebook und gerade auch bei Tumblr rumgeklickt hast. Was glaubst Du denn, wie nah dieser Film abgesehen von den teilweise surrealistischen Elementen an der Realität ist? «Unknown User» hatte ja auch eine interessante Message, was das Thema Mobbing angeht. Was glaubst Du: Wenn ein Teenie ins Kino geht und «Unfriend» anschaut, wird er was daraus mitnehmen?
Ich denke, er wird mitnehmen, was man mitnehmen kann. Ich glaube auch gar nicht, dass «Unknown User» eine Message haben wollte. Aber man kann auf jeden Fall ein da herauslesen. Bei uns könnte man eher sagen, dass es um diese Vielzahl von Freunden geht. Es geht nicht so sehr um Mobbing. Natürlich ist es wahr, dass Facebook Stalker anzieht, dass man Menschen anzieht, die sich in ein Profil hineinsteigern können. Dass die plötzlich denken, es sei eine echte Freundschaft, eine tiefe Freundschaft, obwohl da eigentlich gar nichts ist, außer eines Klicks. Das ist eine Gefahr auf Facebook, dass man sich wirklich in einen anderen Menschen hineinsteigern kann. Das hatte man natürlich früher nicht so. (lacht) Es ist auch eine kulturelle Veränderung des Wortes „Freund“. Das fanden wir sehr kurios, dass man heutzutage davon spricht, dass man 700 Freunde hat, oder keine Ahnung, wie viele Facebook-Freunde die Kids von heute so im Durchschnitt haben. Und das ist auch fast schon eine Art Sammelsucht bei manchen Menschen vorhanden. Dadurch wird der Begriff Freund auch entwertet. Man muss differenzieren zwischen richtigen Freunden und Facebook-Freunden. Aber wenn man diese Differenzierung eben nicht macht, wenn das jemand auf der anderen Seite ernst nimmt, dann wird es gefährlich. Stell Dir vor, du befreundest Dich mit jemandem bei Facebook und für Dich ist das halt ein Facebook-Friend. Und diejenige oder derjenige sieht das aber anders und dem bedeutet das wirklich viel. Da können natürlich auch ungemeine Enttäuschungen und böse Dinge entstehen.

Das erinnert mich an einen Satz aus einer Romantic Comedy, in der es heißt: Wenn man heutzutage eine Abfuhr bekommt, dann bekommt man die nicht – wie früher – nur im Real Life, sondern man wird auch noch bei Facebook entfreundet, bei Twitter entfolgt, ne SMS bekommt man am besten auch noch. Das ist ja durchaus vergleichbar.
Wenn Du jemandem 'ne Abfuhr im Real Life gibst, weil Du merkst, Du hast nicht das Interesse an ihm, kann derjenige trotzdem, wenn Ihr Facebook-Freunde bleibt, sich anhand deines Profils aufladen. Er nimmt an deinem Leben teil, sieht vielleicht auch mal, wenn Du Dich mit einem anderen Mann fotografierst oder so und die Potenziale, die sich da entladen können, sind natürlich unglaublich groß und dunkel. Damit spielt der Film ja auch. Der Film spielt mit diesem Begriff des „Unfrienden“.

Das gab es ja früher auch nicht. Man hat sich ja nicht entfreundet. Man hat irgendwann einfach nicht mehr miteinander gesprochen.
Genau. Aber heute muss man offiziell auf einen Knopf drücken, wenn man das will. Und das ist dann natürlich auch schon ein ganz schöner Akt. Und es kann immer sein, dass es für den anderen eine sehr schlechte, sehr schmerzhafte Bedeutung hat, die sich dann wiederum gegen dich wenden kann.

Wie handhabst Du das selbst als Person, die in der Öffentlichkeit steht? Bist Du tatsächlich auch irgendwie bei Facebook und nutzt das abseits der Öffentlichkeitsarbeit, die man damit betreibt? Oder hat sich das durch den Film vielleicht sogar geändert?
Ich hab mich da beruflich sehr zurückgenommen. Beruflich habe ich kein Facebook-Profil. Ich hatte mal eine Fanpage, die ich dann aber auch habe herunternehmen lassen. Ich muss es jetzt vielleicht irgendwann mal machen. Aber ich selbst bin nicht der obsessive Facebooker. Ich poste selbst wenig. Ich lass mich davon anregen. Ich klicke gerne darauf, was andere Leute posten. Aber ich bin da selbst sehr zurückhaltend. Ich finde Vorsicht ist bei Facebook sehr wichtig. Wenn man empfänglich ist für okkulte Dinge oder abergläubisch ist, dann finde ich es umso förderlicher, dass man auch bei Facebook eine gewisse Skepsis hat. Man stellt seine Fotos online: Wenn eine Hexe dich früher hätte verfluchen wollen, dann hätte sie damals vielleicht deine Haarlocke genommen. Aber heute reicht da vielleicht ne Facebook-Connection. Vielleicht könnte sie heute durch dein Foto direkt in deine Seele gucken, mithilfe deines Profils. Für mich ist das System des World Wide Webs nicht technisch, sondern organisch. Das sind Gedanken, das sind Ströme von Impulsen, das ist Energie von Millionen von Menschen, Milliarden von Menschen, deren Träume da drinstecken. Und ich finde, gerade wenn man an Okkultismus interessiert ist, dann darf man nicht sagen, dass das ja alles nur rein technisch, rein materialistisch ist. Es ist ein Kreislauf und ein energetisches System, das sehr wohl auch Okkultismus in sich bergen kann. Rein faktisch ist das natürlich Quatsch, was ich da sage. Aber gefühlt - als Horrorfan - stehe ich diesem des Webs hier so gegenüber, wie einem großen dunklen Wald.

Die Kommunikation hat sich über die sozialen Medien ja auch grundlegend verändert…
Eigentlich sind wir überhaupt nicht ready, diese Technologien gesund zu benutzen. Wir können nicht mit Facebook gesund umgehen und wir können auch nicht mit dem Handy gesund umgehen. Wir müssen immer wieder schauen, was hat sich getan in den Netzwerken. Es ist einfach immer noch etwas so Reizvolles und Neues, dass wir alle noch in einem Zustand sind wie ein Kind, das nicht genug vom Zucker kriegen kann. Und so gehen wir auch damit um. Es hat sich noch nicht so richtig eingependelt, wie wir gesund mit all den Gefahren umgehen. Wir werden einfach überrollt.

"Unfriend“ ist ein feiner Horrorfilm, der ein Thema beleuchtet, das uns alle angeht. Die unendlichen Weiten des Internets könnten gruseliger nicht sein – vermutlich hätte sich das gruselige Brunnenmädchen Samara heute genau so ihren Weg in unser Leben gebahnt. Absolut sehenswert!
Unser Fazit zu 'Unfriend'
Eben, denn wäre es normal, dann würden wir ja eben nicht alle fünf Minuten auf unser Handy gucken und nachsehen, ob sich etwas getan hat. Denn wenn man mal ehrlich darüber nachdenkt, sind das ja schon fast krankhafte Züge, die man da an den Tag legt.
Aber wir sind alle krank, das ist das Tröstliche daran (lacht), Aber vielleicht hat sich das in zwanzig Jahren schon wieder entspannt, wenn Kinder da so natürlich mit aufwachsen, wie es mein Sohn gerade tut.

Dann nun nochmal zum Abschluss: Ich hab aus dem Gespräch herausgehört, dass Du selbst auch Horrorfan bist, sonst hättest Du ja die ganzen Sachen nicht gesehen…
Horrorfilme und Komödien waren immer auch schon als Kind das, was ich mir am liebsten angeschaut hab. Beide Genres sind auch ähnlich. Beides sind überhöhte Realitäten. Beide haben eben auch viel mit Timing zu tun: Wann delivert man eine Pointe oder einen Jump-Scare? Ich glaube, es gibt schon eine Menge Leute, die beide Genres gerne mögen.

Beide Genres ziehen am meisten auf das subjektive Empfinden des Zuschauers ab. Dramastoffe berühren ab einem gewissen Grad alle Leute. Aber worüber man lacht oder wovor man sich erschrickt, das ist ja sehr subjektiv. Daher kann ich das nachvollziehen. War denn deine erste Regiearbeit jetzt so, dass du schon absehen kannst, dass du da erstmal bleiben willst?
Nein, ich bereite jetzt gerade eine Komödie vor, die sich mit einem aktuellen Thema befasst. Dann habe ich tatsächlich auch ein anderes Horrordrehbuch in Entwicklung mit Amerikanern zusammen, ich habe einen Coming-of-Age-Film – man weiß ja auch nie so wirklich, was man finanziert bekommt. Aber ich bin sicherlich jemand, der sich überhaupt nie festlegen lassen würde. Schauen wir mal, wie es weitergeht!

Vielen Dank an Simon Verhoeven für dieses sehr sympathische Gespräch!
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03.01.2016 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/82836
Antje Wessels

super
schade


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