Es war ein bewegtes und bewegendes Fernsehjahr mit vielen Höhen und Tiefen, Abschieden und Neuerungen. Unsere TV-Überraschungen 2015…
Böhmermann knackt den YouTube-Code
Auch im Jahr 2015 gilt YouTube als Konkurrenz zum Fernsehen, das es kaum schafft, sich die ungeschriebenen Gesetze des Streaming-Anbieters anzueignen und auch dort Erfolg zu haben. Prominentestes Flop-Beispiel ist der groß beworbene und teuer produzierte Kanal #3sechzich vom WDR, der in seiner bisherigen Form eingestellt wurde. Dass aber auch Fernsehmacher Erfolg bei YouTube haben können, zeigte Jan Böhmermann 2015 gleich mehrmals. Über acht Millionen Klicks hat sein „Polizistensohn“-Video mittlerweile, seine Videos werden zum Gesprächsthema.
Raab hört auf
Eigentlich war Stefan Raab mit seinen Shows schon über den Punkt hinaus, an dem es Kritik hagelt. Er hatte sich so langsam mit «TV Total» zu einer Institution entwickelt, die nicht mehr hinterfragt wurde – anders als in den Vorjahren. Gerade daher kam es überraschend, dass er Mitte 2015 das Ende seiner Fernsehkarriere verkündete, trotz ordentlicher Quoten und Rückendeckung von ProSieben. Weniger überraschend dann sein tatsächlicher Abgang: mit viel Musik, ein paar Tränen und bei «Schlag den Raab» mit einem großen Knall. Danke, Stefan.
USA Network steigt zum Top-Serienmacher auf
Ausgerechnet der amerikanische Sender, der kaum für hochqualitative Dramaserien bekannt war, schaffte 2015 einen der großen Hits überhaupt: «Mr. Robot» wurde von Kritikern und Publikum gefiert, seit kurzer Zeit kommen auch deutsche Zuschauer über Amazon Video in den Genuss des Hacker-Thrillers. Eine Serie, die aus dem Nichts kam, von einem Sender, der vorher im Nichts schwamm. Wir dürfen gespannt sein darauf, ob USA Network im nächsten Jahr nachlegen kann.
Nachrichten, anders serviert
Es ist noch nicht einmal das andere Auftreten in anderen Klamotten im anderen Studio, das «heute+» von den konventionellen Nachrichtensendungen abhebt. Sondern die kluge, abwechslungsreiche Auswahl der Themen und ihrer Perspektive, die überrascht. Oft hat man als netz-aufgeklärter Zuschauer das Gefühl, dass man bei Privatsender-News oder auch den großen Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen nur unzureichend, da einseitig, informiert wird – während die interessanteren Fakten und Statistiken auf Blogs von Zeit.de, über Twitter und andere Quellen erscheinen. «heute+» schwimmt nicht im Strom des Populismus und der Voreingenommenheit, man will anders sein. Diese Aufgabe meistert «heute+» derzeit mit Bravour.
Netflix startet durch
2013 war das Jahr von «House of Cards» und «Orange is the New Black», und danach kam lange Zeit erstmal wenig. Es war die Ruhe vor dem Sturm, wie sich in den letzten Monaten herausstellen sollte. Netflix begeisterte uns mit vielen großartigen Serien, von denen die meisten zurecht auch bei Kritikern und bei Awards hochbegehrt sind. Ob der Familien-Thriller «Bloodline» in erfrischendem Setting, die Neujustierung des Superhelden-Genres mit «Daredevil» und «Jessica Jones», das künstlerische Meisterwerk «Sense8» oder zuletzt die geniale Generation-Y-Comedy «Master of None»: Immer wieder übertrumpfte Netflix sich selbst. 2016 will man noch mehr eigenproduzierte Serien starten – hoffentlich dann wieder unter dem Motto „Masse und Klasse“.
Endlich deutsche Qualitätsserien
Zugegeben: Nur einer der beiden großen Privatsender-Starts funktionierte, beide aber bewegten sich auf einem extrem hohen erzählerischen Niveau. Dass «Der Club der roten Bänder» bei VOX so einschlug, ist eine der ganz großen TV-Überraschungen 2015 – aber ebenso verwunderlich ist der Quotensturz von «Deutschland 83», das überall in der Welt gefeiert wird und auch hierzulande viele Premierenzuschauer hatte. Unabhängig davon ist es toll zu beobachten, dass sich etwas tut im deutschen Serienmarkt. Vor einem Jahr hätte man diesen Sprung in die Relevanz sicher noch nicht für möglich gehalten.
Xavier Naidoo singt (nicht) für Deutschland
Es war eine Posse, wie sie besser nicht im Buche stehen könnte: Erst präsentierte der NDR völlig überraschend, dass man sich den nächsten Vorentscheid für den «Eurovision Song Contest» spart und direkt Xavier Naidoo in den Ring schickt. Ein paar Tage und gleich mehrere Shitstorms später machte man einen Rückzieher. „Die laufenden Diskussionen könnten dem ESC ernsthaft schaden. Aus diesem Grund wird Xavier Naidoo nicht für Deutschland starten. So schnell wie möglich werden wir entscheiden, wie der deutsche Beitrag für den ESC in Stockholm gefunden wird“, ließ der NDR verlauten. Es war ein PR-Desaster, das fast noch peinlicher war als die schlechten deutschen ESC-Auftritte der letzten Jahre.
Rechte-Poker im Sport
Gleich mehrere Überraschungen bot das Jahr 2015 in Sachen Sportrechte. Der US-Konzern Discovery sicherte sich die gesamten europäischen Rechte an den Olympischen Spielen bis 2024, ARD und ZDF wurden als deutsche Partner ausgestochen. Die Vergabe zeigt, dass neue Player mitmischen im wichtiger werdenden Sport-Rechtegeschäft – und dass der deutsche Markt immer attraktiver wird für internationale Medienriesen. Erst kürzlich hatte Sky die Rechte an der englischen Premier League verloren, an die Sportrechtefirma Perform Group, die hierzulande nun einen On-Demand-Dienst aufbauen will. „Der Kampf um Sportrechte hat eine neue Dimension“, sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky im Sommer 2015. Ein Omen für das nächste Frühjahr? Dann findet die Ausschreibung der Bundesliga-Rechte statt. Nicht auszuschließen, dass auch hier überraschende Weichen gestellt werden.
Quizfieber im Ersten
Dass sich das «Quizduell» nach missratenem Start 2014 noch zu einem solchen Erfolg aufschwingen würde, ist so überraschend wie verdient. Die Zuschauer honorieren das erfrischende Mitmach-Konzept und bescheren der ARD ihre besten Quoten seit langer Zeit in der sogenannten Todeszone Vorabend. Noch überraschender war der Erfolg des Formats «Gefragt – gejagt» mit Alexander Bommes, das selbst im Sommer viele Zuschauer zum Miträtseln animierte und gute Marktanteile einfuhr. Gleiches gilt für Kai Pflaumes «Wer weiß denn sowas?». Die drei erfolgreichen Quizshows haben die Absetzung des Dauerbrenners «Verbotene Liebe» schnell vergessen lassen.
Die Raketenbohnen heben ab
Es ist kein lineares TV im klassischen Sinne – aber die Macher von Rocket Beans TV stammen aus dem traditionellen Fernsehgeschäft um das damalige NBC Giga und zuletzt «Game One». Anfang 2015 startete man seinen eigenen Internet-Fernsehsender ohne Investoren, ohne Finanzierung durch TV-Sender. Sondern mit der Hilfe der riesigen Community, die die Nerds weiter auf dem Bildschirm feiern will. Das Projekt wird deutlich erfolgreicher als gedacht, schnell vergrößert man das Team, bringt neue Konzepte und Shows – auch abseits des Gamings – an den Start. „Es ist wirklicher Luxus, eine Idee zu haben und diese umsetzen zu können, ohne einen Chef, der die Idee vielleicht nicht versteht, um Erlaubnis fragen zu müssen“, erklärte Moderator Etienne Gardé kürzlich. Wir sind gespannt, welche Ideen und Überraschungen uns die Raketenbohnen 2016 für uns bereithalten.