TV goes Online: Wie Fernsehsender Twitter für sich nutzen. Ein Bericht über Zusatznutzen für den User, unverblümte Eigenwerbung und unkritische PR.
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Mediennutzung der Deutschen
- Verweildauer Internet pro Tag (Gesamt): 166 Minuten
- Verweildauer Internet pro Tag (14-29): 248 Minuten
- Second Screen: 38,3% wöchentlich, 15,0% täglich
- Nutzungsdauer Fernsehen pro Tag (Gesamt): 240 Minuten
ARD/ZDF-Onlinestudie 2014
166 Minuten pro Tag. So lange verweilt jeder Deutsche durchschnittlich im Internet. Die Mediennutzung der Menschen verlagert sich zusehends von den „klassischen“ Medien wie Print, Radio und TV auf die vielfältigen Angebote im Netz. Die Fernsehsender haben auf diesen Trend schon vor längerer Zeit reagiert, unter anderem mit dem Aufbau eigener Social Media-Präsenzen wie bei Twitter. Aus diesem Grund haben wir uns die Twitter-Accounts der großen TV-Sender hinsichtlich der Inhalte und der User-Interaktion mal genauer angesehen. Wie viel Werbung steckt in den Tweets? Bekommt der Nutzer zusätzliche Informationen? Wer brilliert bei der Interaktion mit seinen Usern? Wer schöpft die Möglichkeiten der Plattform voll aus? Und wo ist der Haken an der ganzen Sache?
Der Branchenprimus: @ProSieben
1,3 Millionen Follower, über 40.000 Tweets, 10-20 Posts am Tag. Der Account des Unterföhringer Senders
@ProSieben ist ein Allrounder: Hier werden nicht nur eigene Inhalte beworben und verbreitet, sondern auch Kommentare zum Alltagsgeschehen (#Grexit) oder gar Eilmeldungen. Das geschieht im Vergleich zur Eigenwerbung natürlich recht selten, dennoch lockern solche Einschübe PR-lastige Accounts durchaus auf. Zwischen der ganzen Promotion für den eigenen Sender gehört bei Social Media natürlich auch die Interaktion mit den eigenen Followern zu den Gütekriterien. Fragen zum Programm werden bei @ProSieben adäquat beantwortet und Tweets anderer User in die eigene Timeline eingebunden, selbst wenn die Inhalte an und für sich nichts mit ProSieben zu tun haben. Man merkt schnell, dass die Verantwortlichen wissen, wie man Twitter gezielt für sich nutzt und gleichzeitig den Usern Freude bereitet. Doch an dem einen oder anderen Ende hakt es auch. Backstage-Informationen, die dem Nutzer abseits des TV-Programms einen zusätzlichen Nutzen versprechen, gibt es bei @ProSieben kaum. Darüber hinaus wird dem Zuschauer in aller Regel kein Live-Kommentar zum gerade laufenden Programm geboten (was jedoch zumeist von den Twitter-Accounts der Sendungen (z.B. @halligalli) übernommen wird).
Die Verfolger: @ZDF und @rtl2
Nach @ProSieben scheint lange nichts zu kommen, zumindest was die Followerzahlen angeht. Das
@ZDF steht hierbei mit 630.000 auf dem zweiten Platz und belegt auch in seiner Twitter-Arbeit einen der vorderen Ränge. Man bekommt inhaltlich die volle Bandbreite an Bildern, Videos, Links und Texten geliefert, ohne dass man sich belästigt fühlt. Die Second Screen-Begleitung gehört zwar nicht zum Alltag des Senders, jedoch brillierte man bei der royalen Hochzeit in Schweden am vergangenen Wochenende, nutzte selbst kreierte Hashtags, platzierte eine Mischung aus Zusatzinformationen und Bildern zum Ereignis und lieferte Backstage-Material. @ZDF interagiert sehr stark mit seinen Nutzern, beantwortet Fragen und geht in eigener Initiative auf Kommentare ein, die das eigene Programm betreffen.
Aber auch
@rtl2 muss sich nicht verstecken. Der kleine Bruder von RTL nutzt bei seiner Twitter-Präsenz vor allem Bilder. Sehr viele Bilder. Im Gegensatz zu den meisten Sendern setzt @rtl2 vor allem auf das Bewerben der eigenen Formate des Tages, ohne den Nutzer mithilfe von Links auf die Homepage zu locken. Das ist eine willkommene Abwechslung, da man als Nutzer meistens nicht dazu geneigt ist, jeden einzelnen Link aufzurufen. Die Interaktion mit den Usern ist sehr vertraut, Fragen werden angemessen beantwortet und bestimmte Tweets anderer Nutzer sogar humorvoll, natürlich in Verbindung mit Werbung für eigene Formate, kommentiert. Insgesamt macht @rtl2 viel richtig, auch wenn man eigene Hashtag-Kreationen wie #RTL2TeenWolf eher lassen sollte, da der geneigte Nutzer dann doch eher unter #TeenWolf twittert.
Followerzahlen
- @ProSieben: 1,3 Mio.
- @ZDF: 631 Tsd.
- @RTLde: 416 Tsd.
- @sat1: 332 Tsd.
- @DasErste: 190 Tsd.
- @rtl2: 180 Tsd.
- @VOXde: 130 Tsd.
- @kabeleins: 86 Tsd.
Stand: Mitte Juni 2015
Luft nach oben: @DasErste, @sat1, @kabeleins und @VOXde
Tweets nach dem Schema X: Text-Link-Hashtags. Der Link führt zu einem sendereigenen Angebot, der Text ist von der Seite kopiert und die Hashtags sind gerne mal nichtssagend. So twittert
@DasErste. Das mag zwar dem Kriterium der Einheitlichkeit entsprechen, ist aber auch mächtig langweilig. Fehlplatzierte Hashtags sind dabei noch eines der kleineren Probleme. Darüber hinaus nimmt die Belanglosigkeit mancher Hashtags zuweilen kuriose Züge an: Eine zuletzt ausgestrahlte Sendung mit Tim Mälzer zum Thema Fleischprodukte erhielt den Hashtag #Wurst. Anrechnen muss man den Autoren, dass sie als einziger Sender unter den großen Acht in letzter Zeit direkt auf Kritik eingegangen sind und Verbesserung versprochen haben. Die Aktivität auf dem Account ist zweifelsfrei hoch, wenn auch ohne Second Screen-Kommentierung – der Wert der Tweets ist jedoch streckenweise zweifelhaft.
@sat1 und
@kabeleins machen derweil keine schwerwiegenden Fehler, kommen aber nicht an das Niveau ihres Schwestersenders @ProSieben heran. Die Herangehensweise an Twitter ist in der Senderfamilie sehr ähnlich. Eigene Inhalte, aktuelles Geschehen, Interaktion mit den Usern oder die richtige Nutzung des Mediums: Alles ist auf ordentlichem, aber nicht gutem Niveau. Größtes Manko @sat1 und @kabeleins sind deutlich inaktiver als die Konkurrenz. Eine starke Live-Begleitung im Second Screen bietet
@VOXde, wenn auch nur ein Mal pro Woche bei #SingMeinenSong. Man fragt User nach ihren Lieblingssongs und geht auf deren Frage und Kommentare ein. Abseits dieser Sendung sieht es dann doch recht düster aus. @VOXde wirkt eher wie ein Twitter-Account für #SingMeinenSong. Es wird eifrig angekündigt, live begleitet und am Folgetag Quoten verkündet, sofern diese natürlich positiv sind. Abseits der Sendung ist es auf dem Account dann doch eher ruhig.
Das Schlusslicht: @RTLde
Auch wenn die meisten Sender ihre Social Media-Arbeit recht ordentlich machen, gibt es immer wieder ernüchternde Momente. Darunter fällt der Twitter-Account von
@RTLde. An guten Tagen kommt der Kölner Sender auf genau einen Tweet – und dieser macht dann auch noch alles falsch, was er falsch machen kann. Ein typisches Beispiel: „‘Bones‘ bei RTL NOW: Als die Stromversorgung der Stadt lahmgelegt wird, muss sich die Mannschaft einiges... fb.me/1AHPR5yks“. Der Text ist unvollständig und Hashtags werden komplett ignoriert. Man merkt, dass der Tweet nur mithilfe einer Teilen-Funktion auf Facebook entstanden sein kann. Die ganze Timeline von @RTLde ist mit solchen Tweets überschwemmt. Der Mehrwert für den Nutzer ist hierbei nicht gegeben. User-Interaktion ist dementsprechend ebenfalls ein Fremdwort. In mehr als nur seltenen Fällen geht das Team auf Fragen seitens der Nutzer ein. Nun könnte man argumentieren, dass sich @RTLde nur auf die Homepage des Senders bezieht, nicht auf das TV-Programm. Doch dann gäbe es überhaupt keine Präsenz des Fernsehsenders auf Twitter. Dabei wäre sogar Steigerungspotential vorhanden: @Presse_RTL, wenn auch nicht das Gelbe vom Ei, macht es besser als @RTLde und geht sogar live auf das laufende Programm ein, hat aber lediglich knapp 3500 Follower. RTL – im Fernsehen der Branchenprimus, bei Twitter das Schlusslicht.
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