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Fehlende Kreativität bei Serien: Wo ist das nächste «Breaking Bad»?

Natürlich, «Game of Thrones» und «The Walking Dead» sind tolle Serien. Aber neu sind die Stoffe nicht, sondern Adaptionen. Wo bleiben die kreativen Hits wie «Breaking Bad», die uns Zuschauer in völlig neue Geschichten eintauchen lassen?

Bei Namen wie «The Sopranos», «Mad Men» oder «Breaking Bad» geht jedem Serienfan das Herz auf. Sicherlich auch bei «Game of Thrones», «The Walking Dead», «Fargo» und «Better Call Saul». Der Unterschied? Erstgenannte Formate sind Originalkreationen, entstanden aus den genialen Einfällen einzelner Autoren, die ein ganzes Serienuniversum schufen. Letztgenannte sind lediglich Adaptionen von Buch- oder Comicvorlagen beziehungsweise bedienen sich einer bestehenden Welt, die nicht komplett neu erfunden wurde. Sie bedienen sich bestehenden Materials.

Der Trend hin zu solchen nicht-originalen Formaten ist offensichtlich; immer mehr wird auf bereits vorhandene Stoffe gesetzt, um nicht die Grundlagen neu entwickeln zu müssen. Dabei sind es nicht mehr nur Buchvorlagen, die genutzt werden, sondern zunehmend auch Filme. So basieren die jüngst gestarteten «12 Monkeys», «Fargo» und «From Dusk Till Dawn» auf Kinovorlagen, aber vor allem stehen viele Konzepte noch in den Startlöchern: Für die kommenden Monate sind unter anderem TV-Adaptionen von «Scream», «Minority Report», «The Mist» von Stephen King, «School of Rock» und «Shutter Island» angekündigt. Die meisten dieser Filmvorlagen sind wiederum Adaptionen von Büchern – es besteht also quasi eine dreifache Verwertungskette, die erfolgversprechend ist. Denn sobald jemand eines der Produkte kennt – ob Buch, Film oder Fernsehserie – ist er mit der jeweiligen Welt und ihren Charakteren vertraut, interessiert sich womöglich eher für die weiteren Adaptionen. Die Kasse klingelt.

Man könnte es auch kürzer auf einen Nenner bringen: Es ist die Franchise-isierung des Film- und Seriengeschäfts. Bestehende Marken werden behutsam aufgebaut und immer wiederverwertet, mit zahlreichen Medien und einer immer größer wachsenden Fangemeinde. So geschehen zum Beispiel bei «Game of Thrones» und «The Walking Dead», die unter anderem Videospiel-Adaptionen und Merchandising-Produkte folgen ließen. Superhelden-Geschichten sind noch immer ein großer Trend, der nicht zu enden scheint. Auch hier gilt das Franchise-Prinzip, das voll ausgekostet wird: von Comics über Filme und Serien bis zu Videospielen und Spielzeug.

Während im Hollywood-Filmbusiness schon längst eine entsprechende Entwicklung eingetreten ist, die kaum mehr auf originalen Storys basiert, schien dies im Seriengeschäft vor einiger Zeit noch anders. Als Anfang bis Mitte der 2000er Jahre der Trend der sogenannten Qualitätsserien aufkam, waren solche andersartigen Formate – eben «The Sopranos», «Breaking Bad» und Co. – das Gesprächsthema. Und vielleicht wurden sie auch gerade deswegen so beliebt: Eben weil sie neue Geschichten lieferten, die genau auf ihr Medium zugeschnitten waren. Weil sie ihren Zuschauern Innovatives brachten. Weil sie das machten, was das Filmgeschäft kaum mehr schaffte: frische, packende Geschichten aus gänzlich neuen Serienwelten zu erzählen, in die man sich fallen lassen konnte. Aber stimmt es wirklich, dass im heutigen Markt der Qualitätsserien weniger originaler Content vorhanden ist als früher?

Serien-Stichprobe

  • Vergleich der Drama-Serien 2010 und 2015 von den Sendern HBO, Showtime, FX und AMC
  • 2010: 20 Serien, darunter 15 originale (75%)
  • 2015: 20 Serien, darunter 12 originale (60%)
  • HBO hatte 2010 vier originale Stoffe, heute noch eines
  • Showtime dagegen stockte von nur einem Originalstoff 2010 auf fünf heute auf
Zur Stichprobenanalyse wird ein Blick auf die vier großen amerikanischen Kabel- und Pay-TV-Sender geworfen, die in der vergangenen Dekade die Etablierung von Qualitätsserien maßgeblich vorangetrieben haben: HBO, Showtime, FX und AMC. Wir vergleichen, wie hoch der Anteil originaler Stoffe am gesamten Portfolio der Drama-Serien bei diesen vier Sendern ist. Als Benchmark dient das Jahr 2010; ein Jahr, das nicht mehr in der Pionierzeit der Qualitätsserien verortet ist, sondern in einer bereits gewachsenen, breit gestreuten Serienlandschaft, aber auch ein Jahr, das schon länger zurückliegt, um einen Vergleich zu rechtfertigen. Verglichen werden die Ergebnisse mit den Drama-Serien, die aktuell bei den vier Sendern ausgestrahlt werden und noch nicht abgesetzt oder beendet wurden.

Überraschend: Sowohl 2010 als auch heute besteht das Drama-Portfolio aus insgesamt 20 Serien. Von den 20 Serien basierten vor fünf Jahren lediglich 5 auf bereits bekannten Stoffen und waren Adaptionen von Buch- oder Comicvorlagen. 15 Serien waren gänzlich original kreiert, damit liegt deren Anteil bei 75 Prozent des Outputs. Die großen Hits damals: «Nip/Tuck», «Entourage», «Justified», «Sons of Anarchy» oder «Mad Men». Anders die heutige Situation: 8 Formate sind adaptiert, nur noch 12 dagegen original. Die Quote sinkt damit auf 60 Prozent – darunter wurden auch diejenigen Serien als Originalstoffe verbucht, die nicht ursprünglich in den USA kreiert wurden, sondern Remakes ausländischer Serien sind. Dies trifft aktuell auf «Shameless» und «Homeland» zu, 2010 auf HBOs «In Treatment». Weitere Originalstoffe aktueller Zeit, die zuletzt heiß diskutiert wurden, sind «True Detective», «The Americans» und «The Affair».

Diese Zahlen sind gewiss nicht repräsentativ, berücksichtigen sie lediglich vier Sender und klammern den wichtiger gewordenen Markt an Comedyserien aus. Sie zeigen auch nicht den anderweitig gewachsenen Serienmarkt mit weiteren TV-Stationen, die eigene gescriptete Stoffe vorantreiben. Oder gar die Streming-Anbieter wie Netflix und Amazon. Aber auch hier befinden sich Adaptionen wie «House of Cards» oder «Marvel's Daredevil», «Bosch» und «Mozart in the Jungle» darunter, neben hervorragenden Originalkreationen wie «Bloodline» und «Transparent». Insgesamt ist die Stichprobe der vier größten Seriensender aber durchaus ein Indikator dafür, dass sich mittlereweile viele Serienstoffe einer Vorlage bedienen, und dass es anscheinend immer weniger frische Geschichten gibt. Was zu der Frage führt: Warum diese Entwicklung? Ist es die fehlende Kreativität der Macher? Das fehlende Risiko?

Grundsätzlich einmal ist die Frage nach originalen Geschichten abgekoppelt von der Qualitätsfrage. Nicht jede Adaption ist schlecht – Beispiele wie «Game of Thrones», «Fargo» und «House of Cards» (im Serienbereich) oder «The Dark Knight», «Das Imperium schlägt zurück» und «Minority Report» (im Filmgeschäft) beweisen das Gegenteil. Dennoch: Wer einmal in solche Welten wie die von «The Sopranos» oder «Breaking Bad» eingetaucht ist, vermisst ihr überraschendes Moment: die völlige Ungewissheit, worauf man sich einlässt; die Spannung, dass jederzeit alles passieren kann; die fehlenden konventionellen Parameter, die innovative Geschichten erzählen lassen. Heute weiß der Zuschauer von Serien wie «Marvel's Daredevil», «Game of Thrones», «The Walking Dead» oder sogar «Better Call Saul» zumindest ungefähr, was auf ihn zukommt. Kurz: Man betritt bereits mehr oder weniger ausgetretene Pfade.

Der Boom des Seriengeschäfts ist mit Sicherheit hauptverantwortlich für die fehlende Kreativität. Nach den großen Erfolgen der Pay-TV-Sender wie HBO und Showtime sowie anschließend der ersten Kabelsender wie AMC wollten andere es nachmachen – viele neue Player stiegen ein und wollten plötzlich eigene Serien produzieren, darunter zuletzt auch genannte Streaming-Anbieter. Diese rasche Expansion kommt einer gestiegenen Nachfrage nach hochqualitativen Stoffen gleich. Denn neben der Einschaltquote, die mal mehr, mal weniger wichtig ist, sind gute Kritiken und Preise die Hauptwährung für Qualitätsserien. Jeder Sender ist auf der Suche nach dem neuen Watercooler-Hit, nach dem Format, über das als nächstes jeder spricht.

Diese gestiegene Nachfrage stößt allerdings auf ein mehr oder weniger gleich gebliebenes Angebot an hervorragenden Creators und Autoren. Prototypen wären hier Vince Gilligan oder David Chase, die «Breaking Bad» und «The Sopranos» erfanden. In dieser Reihe können unter anderem noch Gideon Raff, Ryan Murphy, die Kessler-Brüder und Matthew Weiner genannt werden. Sie sind die kreativen Köpfe hinter dem Serienboom, die gefragtesten Männer im Geschäft. Leider ist in den vergangenen Jahren dieser Kreis großartiger Creators kaum angewachsen, und alle genannten sind aktuell in Projekte involviert – darunter auch Adaptionen wie «Better Call Saul» von Vince Gilligan beispielsweise. Das Angebot also ist im Vergleich zur Nachfrage gering, und so wird die rasche Expansion des Seriengeschäfts eben mit bereits verfügbaren Stoffen – sprich: Buch- oder Filmvorlagen – vorangetrieben. Selbst wenn die dann verfügbaren Showrunner oder Produzenten noch so gut sind: Ihre völlige Kreativität können sie nicht ausleben, sie sind zumindest in Grundzügen an die Vorlage gebunden.

Es ist eine Situation, die Sender wahrscheinlich nicht betrauern, höchstens die Zuschauer. Denn einen originalen Stoff an den Zuschauer zu bringen ist ungleich schwieriger und risikoreicher als bereits bekannte Vorlagen. Ein «Daredevil» hat schlicht größere Erfolgschancen als ein «Tyrant» – die neue Originalserie von «Homeland»-Erfinde Gideon Raff, die allerdings kaum wahrgenommen wird. Erfolg bei Adaptionen stellt sich oft schnell ein, während Originalserien oft Anlaufzeit brauchen, um sich herumzusprechen und Bekanntheit zu erlangen. Dies ist an den steigenden Quoten vieler solcher Serien im Laufe ihrer langjährigen Ausstrahlung zu beobachten, vor allem bei «Breaking Bad». Aber der Mut zum Risiko wird dann auch belohnt: «Breaking Bad» beispielsweise wurde zum unvergleichlichen Hit, zu einem Phänomen, von dem der Sender AMC maximal profitierte. Unter anderem damit, dass man Creator Vince Gilligan auch für dessen nächste Serie an sich binden konnte.

Wir leben weiterhin in einer goldenen Ära des Seriengeschäfts, und wir freuen uns jedes Jahr auf neue Hits, auf neue Entdeckungen und Geschichten. Allein, es wird immer schwieriger solche wirklich neuen Geschichten zu finden. Vielleicht ist es auch nur Meckern auf allerhöchstem Niveau. Aber irgendwie bleibt dieses Gefühl, dass die amerikanische Serienbranche in letzter Zeit ein bisschen erwachsener, ein bisschen langweiliger – eben ein bisschen weniger einfallsreich – geworden ist.
07.05.2015 12:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/78074
Jan Schlüter

super
schade

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Tags

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Familie Tschiep
07.05.2015 17:18 Uhr 1
Bei den meisten Buchadaptionen kannte ein Teil des Publikum das Originals nicht. Es stimmt schon, das hat etwas mit dem Risiko zu tun. GoT hat eben schon Fans, die garantiert einschalten werden. Bei manchen Serien bedeutet Adaption allerdings auch Neukreation, da nimmt man nur die Basisidee und entwickelt daraus etwas Eigenes, bei Minority-Report dürfte es der Fall sein.



Aber die Adaption von Filmen und Büchern und die Neuauflage von Serien hat es immer schon gegeben, meistens war es nicht erfolgreich. Wer aber erinnert sich an Loveboat New Wave?



Bei manchen Serien hätte ich mir nur eine entfernte Inspiration gewünscht, beispielsweise bei Westworld. War es in den Siebzigern bei der langen Western-Tradition verständlich, dass man den Vergnügungspark mit Robotern im Wilden Westen angesiedelt hat, so scheint es mir heute aus Kostengründen nicht so zwingend.
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