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360 Grad: Sweet Jesus

Die Causa Kebekus offenbart tieferliegende Probleme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Kommentar von Julian Miller.

Dass die Kirchen in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das noch viel größere Problem als die Vertreter der Parteien sind, sagte vor ein paar Monaten Oliver Welke im Studio D.

Carolin Kebekus kriegt das gerade zum zweiten Mal zu spüren. Ende Februar wollte bereits ein Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz darauf hinwirken, einen Beitrag der «heute show» nicht zu zeigen, in dem sie sich als Päpstin bewarb. Er wurde trotzdem gesendet.

Bei einem Einspieler in Kebekus' neuer Sendung bei EinsFestival zog der WDR nun die Reißleine, da der Beitrag religiöse Gefühle verletze. Kebekus tritt dort als rappende Nonne auf, sagt Sätze über Jesus wie „ich geb mich nur ihm hin, weil ich seine Bitch bin, ich bin seine Bank, für ihn zieh ich blank“, leckt am Kreuz.

Noch am Dienstag hieß es von Seite des WDR, es sei eine Entscheidung der Redaktion gewesen, den Beitrag aus der fertigen Sendung zu entfernen. Dieser Darstellung widersprachen Kebekus und eine eMail, die die Redaktion von DWDL erreichte. Laut ihnen sei hier eine Zensur seitens des WDR im Gange. Dort wehrte man sich jedoch bereits am nächsten Tag in einer Mitteilung gegen die aufgekommenen Vorwürfe: „Der WDR steht für Liberalität und Toleranz. Das bedeutet auch, die religiösen Überzeugungen der Bevölkerung zu achten und die Verunglimpfung religiöser Symbole in seinen Sendungen nicht zuzulassen. Dazu gibt es klare Regelungen im WDR-Gesetz.“

Natürlich ist das dann Zensur. Auch wenn einem das Wort nicht passt oder man sich sogar dazu verpflichtet sieht. Dass die Abnahme der Sendung samt dem nun umstrittenen Beitrag schon vor Wochen erfolgte und dieser erst einen Tag vor der Ausstrahlung entfernt wurde, erhärtet die These, dass hier einer Künstlerin ihre Meinungsäußerung auf dem Sender unmöglich gemacht wird, weil sie mit ihren Anschauungen nicht d'accord mit dem antizipierten Publikum oder den Verantwortlichen ist. Es lässt sogar den Verdacht aufkommen, dass kurzfristig noch ein Kirchenvertreter auf die entsprechenden Stellen des WDR eingewirkt hat. Der plötzliche Sinneswandel wäre sonst nur schwer zu erklären. Und wenn das nicht Zensur ist, was dann?

Der WDR macht es sich einfach: Er zitiert sein WDR-Gesetz, kann damit sagen, dass ihm ohnehin die Hände gebunden sind, – und steht gleich unter viel weniger Druck, seine kuriose Abwägung zwischen freier Meinungsäußerung und der Wahrung religiöser Gefühle zu rechtfertigen.

Verletzt Kebekus' Video religiöse Gefühle? Sicherlich. Ist es geschmacklos? Bestimmt. Doch in einer Demokratie, die die Freiheit der Meinung als eines ihrer höchsten Güter hegt, dürfte das eine Anstalt des öffentlichen Rechts eigentlich nicht interessieren. Kirchenvertreter als Mitglieder in Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? In den USA wäre das verfassungswidrig und undenkbar.

Hier offenbart sich gleichsam ein tieferliegendes Problem. Denn Deutschland ist, anders als etwa Frankreich, kein laizistischer Staat – will sagen: Die (christlichen) Kirchen haben in der Bundesrepublik Deutschland durchaus eine Rolle zu spielen. Aus diesem Grund sitzen auch Vertreter der Kirchen in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Trennung von Kirche und Staat, my ass, wird da der Laizist sagen. Warum trotz der massiven demographischen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte bis heute kein Vertreter des Zentralrats der Muslime in Deutschland oder des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland in diesen Gremien sitzt? Die Antworten darauf würden wohl auf ein schwammiges, substanzloses Gefasel über das christliche Abendland hinauslaufen.

Insbesondere die katholische Kirche ist aufgrund ihrer Strukturen und ihrer anhaltenden Negativpresse natürlich nicht vor Kritik und Polemik gefeit. Dass man sie als „Kinderfickersekte“ bezeichnen darf, haben mittlerweile Richter entschieden. Unzweifelhaft, dass das die religiösen Gefühle mancher Mitbürger verletzen wird. Aber es ist zulässig. Und jede Unterscheidung zwischen guter und böser Satire führt eine Demokratie mit Meinungsfreiheit diesbezüglich schnell an den Rand des Abgrunds. Da helfen auch all die Vergleiche mit den Mohammed-Karikaturen und den damit einhergehenden Ausschreitungen in der arabischen Welt nichts. Denn wenn sich die Öffentlichkeit der Bundesrepublik diesbezüglich mit mehr oder weniger totalitären Theokratien im arabischen Raum vergleichen muss, dann gute Nacht.

Der WDR hätte durch die Ausstrahlung dieses Videos in seiner neuen Sendung mit Carolin Kebekus Mut zeigen können. Edginess, auch wenn sie von vielen als Geschmacklosigkeit abgetan werden würde. Die Chance hat man nun verspielt und Kebekus vergrault. RTL wird’s freuen – und da Privatsender keine Rundfunkräte haben, in die man Kirchenvertreter setzen könnte, wird man ihr dort wohl auch deutlich weniger Steine in den Weg legen.
07.06.2013 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/64176
Julian Miller

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360 Grad heute show

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