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Die Kritiker: «45 Min: Mythos FC St. Pauli»

Inhalt


Der Verein mit dem Totenkopf - weltbekannt, links-alternativ und „etwas anders“. Wie konnte aus einem unbedeutenden Stadtteilclub ein solcher Mythos werden? «45 Min.» geht auf Spurensuche in der Geschichte des Fußball-Vereins. Patrick Gensing und Kristopher Sell präsentieren in ihrem Film „Mythos FC St. Pauli“ in der NDR-Reihe «45 Min» Ausschnitte von legendären Spielen des Clubs aus den vergangenen 100 Jahren und lassen zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen. Augenzeugen wie der ehemalige Bundesminister und langjährige St.-Pauli-Fan Hans Apel denken in der NDR-Dokumentation auch mit gemischten Gefühlen an die ersten Begegnungen mit den neuen Fans aus der links-alternativen Szene zurück: „Die kamen mit wilden Parolen aus einem wilden Quartier.“ Erzählt wird die Geschichte des ungewöhnlichsten Fußballvereins in Deutschland. Die Autoren haben unter anderem den „Vater“ der Totenkopf-Fahne aus seinem Bauwagen in Hamburg-Altona vor die Kamera geholt, die aktuelle Mannschaft des FC St. Pauli bei ihrem Besuch in der „Ritze“ und in die Fankneipe Jolly Roger begleitet. Bayern-Präsident Uli Hoeneß haben sie in die Gegengerade am Millerntor gesetzt - an den Ort, von dem er einst mit Pfennigen beworfen wurde.

Die Dokumentation „Mythos FC St. Pauli“ zeigt, wie der kleine Verein aus dem Hamburger „Schmuddelviertel“ die Herzen von Zehntausenden Fans in ganz Europa erobert hat - selten mit sportlichen Erfolgen, oft am Rande des wirtschaftlichen Ruins. Denn die Geschichte des FC St. Pauli ist in den ersten sieben Jahrzehnten nach der Gründung im Jahr 1910 alles andere als kultverdächtig. Der biedere Stadtteilverein kann nur einmal ganz große sportliche Erfolge feiern: Direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges heuern die besten Spieler Deutschlands am Millerntor an - denn hier gibt es in Zeiten von Lebensmittelmarken und Rationierungen „ordentlich Fleisch“. Doch dann kommt der Verein über Jahrzehnte nicht über das Mittelmaß hinaus, versinkt immer wieder im Chaos. Bis ausgerechnet die als „Chaoten“ verschrienen Hausbesetzer aus der Hafenstraße den Anstoß für etwas Neues geben. Sie verhelfen dem Club zu seinem Markenzeichen, dem Totenkopf.

Kritik


Jeder Fußballfan, seien es Anhänger der Vereine im Amateurbereich oder die treusten Fans der Proficlubs in der Bundesliga, begegnet der Fankultur des FC St. Pauli mit viel Respekt. Denn nicht anhaltender sportlicher Erfolg, sondern die Mentalität der Fangemeinde und deren unkonventionellen Aktionen haben dem Verein seinen Namen gemacht. Man spricht von dem Mythos St. Pauli, doch um zu verstehen, was das eigentlich bedeutet, bedarf es eines genauen Befassens mit der Thematik rund um den Verein im Hamburger Stadtteil. Dies haben die Autoren der NDR-Dokumentation «45 Min: Mythos FC St. Pauli» getan. Absolut lobenswert ist es für Patrick Gensing und Kristopher Sell, dass sie zahlreiche Protagonisten der Geschichte um den Stadtteilklub vor die Kamera bekommen konnten. Denn die Erzählungen der Augenzeugen sind allemal interessant.

Darüber hinaus lässt sich ein Bild von jenen Menschen zeichnen, die im Hintergrund das Markenzeichen des FC St. Pauli geschaffen haben. Auch den langen Prozess der Reife der neuartigen Strukturen, die mit den neuen Anhängern aus der links-alternativen Szene kamen zu einer Zeit als Fremdenfeindlichkeit und Töne der Gewalt in Fußballstadien an der Tagesordnung waren. In diesem Zusammenhang verpasst es die Dokumentation aber dieses Novum in der Fußball-Fanszene deutlicher herauszustellen. Zwar widmet man sich der neuen links-alternativen Gruppierung in der St. Pauli-Fanszene in einer längeren Sequenz, doch ein wenig mehr hätte man hier ins Detail gehen können. Denn das interessiert die Fußball-Fans, die in der Zuschauer-Zielgruppe bei dieser Dokumentation ganz oben auf der Liste stehen dürften. Die Augenzeugen aus jener Zeit sprechen ohnehin vor der Kamera offen über die Vergangenheit des Vereins. Eine tiefgründigere Fragestellung hätte durchaus noch spannendere Details ans Licht befördern können. Doch um einen Grundriss der ereignisreichen Geschichte des FC St. Pauli zu erstellen reicht dies völlig aus, denn der Zuschauer erhält einen vielfältigen Eindruck von diesem Stadtteilverein.

Dabei haben die Autoren versucht chronologisch vorzugehen. Angefangen mit dem Besuch der aktuellen Mannschaft in der „Ritze“ tritt man die Reise in die Vergangenheit des Vereins an. Doch die Chronologie ist dabei nicht immer schlüssig. Zeitspannen werden zusammengefasst, nur die wenigen Erfolge herausgestrichen. Vermutlich hätten 45 Minuten sicherlich nicht ausgereicht, will man all die interessanten und spannenden Geschichten dieses Vereins zeichnen. Insofern haben die Autoren aufgrund dieser schwierigen Konstellation keine schlechte Auswahl getroffen. Wobei es aus subjektiver Sicht zu dem einen Thema ein wenig mehr hätte sein können, zu einem anderen Thema etwas weniger. Insgesamt jedoch bringt die Spurensuche von «45 Min» in der Vergangenheit des FC St. Pauli genügend Aufschlüsse mit, so dass von einer durchweg interessanten Fußball-Dokumentation gesprochen werden kann.

Der NDR zeigt «45 Min: Mythos FC St. Pauli» am Dienstag, den 18. Mai 2010 um 22.30 Uhr.
17.05.2010 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/42002
Jürgen Kirsch

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NDR Die Kritiker 45 Min

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