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Die Kino-Kritiker: «Eine Weihnachtsgeschichte»
Ab sofort gibt es jede Woche eine Kino-Kritik auf Quotenmeter.de. Heute bewertet Sidney Schering Disneys «Eine Weihnachtsgeschichte».
Die Augen sind tot. Damit wollen wir anfangen.
Denn bei einer neuen Verfilmung von Charles Dickens‘ Weihnachtsklassiker interessiert den potentiellen Kinogänger nicht weiter, was denn im Film geschieht, sondern wie es umgesetzt wurde. Und jeder, der sich bereits die letzten zwei Filme von Regisseur Robert Zemeckis ansah („Der Polarexpress“ und „Die Legende von Beowulf“), möchte wissen, ob sich die auch in „Eine Weihnachtsgeschichte“ verwendete Motion-Capturing-Technik weiterentwickelte.
Tatsächlich lassen sich Fortschritte ausfindig machen. Besonders in dunklen Szenen vermag es der von Jim Carrey gespielte (und anschließend mittels Computer in eine animierte Figur verwandelte) Ebenezer Scrooge, gut auszusehen. Diese Figur aus dem Computer ist weiterhin kein makelloses Abbild eines Menschen, aber sie ist auch nicht so abschreckend wie die Menschen aus „Der Polarexpress“ oder „Beowulf“. Mimik, Gesichtszüge, feine Details wie unreine Poren und Falten sind beeindruckend gelungen, die Körperbewegung ist immerhin akzeptabel. Sobald sich Scrooge jedoch ins Licht begibt, fällt die wachsartige Haut auf und in seinen Augen erblickt der Betrachter ein Vakuum. Ein Vakuum, das den Zuschauer anstarrt und in ihm ein unkomfortables Gefühl auslöst.
Glücklicherweise spielt Zemeckis‘ Weihanchtsgeschichte zum Großteil im Dunkeln.
Unglücklicherweise sind die Augen des alten Geizhalses Scrooge nicht das ärgste Problem dieses Films.
Dabei hätte alles so schön sein können: Als Robert Zemeckis, der Regisseur von „Forrest Gump“ und „Cast Away“ ankündigte, Dickens‘ Weihnachtsgeschichte zu verfilmen, schwärmte er vom wandlungsfähigen, ausdrucksstarken Mimen Jim Carrey, der einen perfekten griesgrämigen Scrooge abgebe und betonte, wie sehr er sich eine wirklich gruselige Adaption wünsche, die den Geistergeschichten-Aspekt der Vorlage wieder zum Vorschein bringt. Zemeckis bildete in Interviews Luftschlösser von einem detaillierten London des 19. Jahrhunderts, von opulenten Produktionswerten, die eine intime Geschichte ausschmücken.
Es hätte tatsächlich ein visuell erstaunlicher Film werden können. Wäre da nicht diese verflixte Motion-Capturing-Technik, mit der Zemeckis nicht bloß den untoten Marley und die Geister der Weihnacht umsetzte, sondern den kompletten Film.
Zwar geriet das computeranimierte London erstaunlich detailliert und in den besten Szenen sieht Ebenezer Scorroge überragend aus, auf der Gegenseite stehen jedoch zahlreiche andere Charaktere, die von den Animatoren nicht das selbe Maß an Aufmerksamkeit erhielten. Die besten unter ihnen sehen wie mittelprächtige Wachsfiguren aus, während die schlechtesten menschlichen Charaktere in „Eine Weihnachtsgeschichte“ die Oberflächenstruktur einer Barbie-Puppe haben.
Darunter befinden sich die Charaktere von Bob Hoskins, Robin Wright Penn und Colin Firth, welcher als Scrooges Neffe Fred mit seinem Puppengesicht besonders negativ auffällt.
Über den von Gary Oldman („The Dark Knight“) gespielten Bob Cratchit werden Kinogänger sicherlich stundenlang diskutieren können. Manche werden diese Deformation Oldmans zu einem kleinen, pausbackigen, instabilen Kerlchen an den besseren Momenten messen und als gelungen betrachten, andere dagegen werden diese Figur nicht ernst nehmen, da sie aus einigen Kamerawinkeln betrachtet wie ein debil grinsendes Backenhörnchen wirkt.
Wenn es neben Ebenezer Scrooge Charaktere gibt, die optisch überzeugen, dann sind es die drei Geister der Weihnacht (allesamt gespielt von Jim Carrey). Eine gelungenere künstlerische Gestaltung der drei Geister gab es bis dato nicht zu sehen („Die Geister, die ich rief“ sei vielleicht ausgenommen), und hier nutzt Zemeckis die Errungenschaften der Technik beispielhaft aus.
Doch gerade das ist der springende Punkt: Nur diese Charaktere eignen sich zur Verwendung der Motion-Capturing-Technologie.
Für die geschätzt 175 Millionen, die „Eine Weihnachtsgeschichte“ gekostet haben soll, hätte man das viktorianische London mittels Bühnenbauten und Kostümen zweifelsfrei genauso gut wieder aufleben lassen wie mit Hilfe des Computers, und wie überzeugend Jim Carrey mit Alters-Make-Up aussieht, sah man bereits in „Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse“. Man füge die animierten Geister hinzu, und man hätte den visuell gelungensten Weihnachtsfilm.
Stattdessen schoss sich Zemeckis bereits bei der Wahl des Mediums ins Bein. Was an seinem neusten Werk letztlich jedoch mehr stört, ist nicht die zwischen bahnbrechenden und schmerzlichen Leistungen wankende technische Performance, sondern die beinahe schizophrene Dramaturgie.
Zwei Seelen wohnen in dieser Kinoproduktion:
Zirka drei Viertel dieser Weihnachtsgeschichte überraschen den Zuschauer durch eine unerwartete Werktreue. Der Dialog orientiert sich nah an der klassischen Vorlage und Zemeckis baut eine deprimierende Grundstimmung auf. Anders als die meisten Umsetzungen des Stoffes bemüht diese sich wirklich, ihn als Geistergeschichte umzusetzen. Während andere Verfilmungen zum moralischen Lehrstück mit erhobenem Zeigefinger werden und den zynischen Zuschauer daran zweifeln lassen, ob ein eingefleischter Geizkragen wie Scrooge sich dadurch bekehren ließe, stürzt sich Zemeckis genussvoll auf die schaurige Seite des Geisterbesuches. Diese Geister sind keine wohlgesinnten Schatten, die Scrooge eine kleine Lehrstunde in Menschlichkeit erteilen, Scrooges Begegnung mit dem Übernatürlichem ist eine äußerst unangenehme und strapaziöse Erfahrung.
In diesen Phasen gelangt „Eine Weihnachtsgeschichte“ zu einer gelungenen, wenngleich etwas langwierigen, dramatischen Schauermär.
Leider verlässt Zemeckis im Laufe der etwas mehr als neunzig Minuten mehrmals den eingeschlagenen Pfad und zündet ein selbstverliebtes Technik-Feuerwerk ab, das von Geisterbesuch zu Geisterbesuch nicht nur länger, sondern zugleich immer überflüssiger wird. Da fliegt Scrooge mit Affenzahn in den Londoner Nachthimmel, wird auf Mäusegröße geschrumpft und schlittert durch Abwasserkanäle, während es in jedem Winkel der Leinwand vor lauter Details nur so surrt und flirrt.
Diese hektischen sowie effekthascherischen Momente stehen somit im absoluten Gegensatz zum minimalistischen, dramatischen Rest der Produktion, in der ruhige Kamerabewegungen den Takt angeben und die Schnitte auf das Wenigste reduziert werden.
Was nimmt der Kinobesucher also nach dem Kinobesuch von „Eine Weihnachtsgeschichte“ mit nach Hause?
Zumindest keine Herzenswärme. Sowohl die Technik als auch Zemeckis' Erzählweise distanzieren den Zuschauer vom Geschehen. So sehr man die 3D-Effekte bewundern und sich in der dunklen Atmosphäre des Films verlieren kann: Es ist nahezu unmöglich, mit Ebenezer Scrooge mitzuleiden, der eigentlich warmherzige Schluss lässt einen völlig kalt.
Fazit: „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Robert Zemeckis hat erstaunliche 3D-Effekte, eine bedrückende Stimmung sowie eine von filmischen Achterbahnfahrten unterbrochene, bedachtvolle Erzählweise. Nur das Herz blieb – passend zu den seelenlosen Augen der Charaktere – auf der Strecke.
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Tags
• Kino-Kritiker
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