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‚Die Prostituierten haben leider keine echte Lobby‘

Die Autoren Eva Zahn und Volker A. Zahn sprechen im Interview über den neuen Kölner «Tatort» „Siebte Etage“, der in der Prostitution verankert ist. Die Zahns erklären, sie wollen die Sexarbeiterin sichtbar machen.

Wie hat sich Ihre Herangehensweise beim Schreiben des Drehbuchs für „Siebte Etage“ im Vergleich zu früheren Projekten entwickelt?
Volker A. Zahn:
Grundsätzlich gehen wir erst mal alle Themen, die sich für eine spannende und emotionale Geschichte eignen, auf gleiche Weise an: Wir recherchieren ausgiebig das Sujet, suchen nach Gesprächspartner*innen, lassen uns beraten, sammeln Eindrücke – und hoffen, dabei auf Geschichten und Schicksale zu stoßen, die erzählenswert sind und fiktionalisiert werden können. Dabei stehen für uns immer die Menschen im Vordergrund, wir erzählen natürlich einen – hoffentlich – aufregenden Krimiplot, aber die wichtigste Zutat für einen guten Film sind glaubwürdige und spannende Charaktere. In der „Siebten Etage“ erzählen wir von drei Frauen, die wir hinter dem Etikett „Sexarbeiterin“ sichtbar machen wollen: Ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Alltagsnöte, ihre kleinen Fluchten, ihre Suche nach dem Glück… im Schatten eines Jobs, der sie seelisch und körperlich zu ruinieren droht.

Welche besonderen Herausforderungen sind Ihnen bei der Recherche zu einem so sensiblen Thema wie Prostitution begegnet und wie hat das Ihre Sichtweise beeinflusst?
Volker A. Zahn:
Wer von der Prostitution lebt, redet nicht gern über das, was sich in dieser Branche abspielt. Und die Freier gehen sowieso lieber auf Tauchstation, lassen dafür aber in ihren internen Foren tief blicken. Es gab allerdings auch Geschäftsführer größerer Etablissements, die relativ offen über ihre Jobs gesprochen haben, da war dann mit Blick auf die Prostituierten auch mal von „Material“ die Rede, oder von Freiern, die sich „nicht benehmen können“ – gemeint waren Kunden, die Frauen schwer misshandelt haben! Echte Empathie war in diesen Gesprächen kaum vernehmbar.

Wie haben Sie die Charaktere gestaltet, um die Vielschichtigkeit ihrer Beziehungen und Lebensumstände authentisch darzustellen?
Eva Zahn:
Ganz wichtig war uns, nicht in die Klischeefalle zu stolpern. Klischee heißt: Frau wird von bösem Zuhälter gezwungen, anschaffen zu gehen, sie wird geschlagen, vergewaltigt und auf ihr Opfersein reduziert. Wir haben uns dafür entschieden, drei Frauencharaktere zu zeigen, die relativ selbstbestimmt und angstfrei anschaffen. Und jede versucht dabei auf ihre Art, mit der täglichen Entwürdigung klarzukommen. Aber wie lange kann es eine Frau ertragen, dass täglich fünf, zehn oder fünfzehn Männer in sie eindringen, ihre Körperöffnungen penetrieren, auf ihr schwitzen, stöhnen, ejakulieren? Ist für diese Frauen ein normales Leben überhaupt denkbar? Vielleicht sogar mit Kindern? Mit Freunden und Familie? Können sie das, was sie erleben, dauerhaft verdrängen, können sie noch unbeschwert Spaß haben, oder spielen die Psyche und der Körper irgendwann nicht mehr mit?

Welche Reaktionen der Zuschauer erhoffen Sie sich auf das Thema des Films, und wie soll dies die gesellschaftliche Diskussion bereichern?
Eva Zahn:
Unser Film soll die Zuschauer*innen in erster Linie unterhalten und ihnen einen spannenden Krimiabend bescheren. Und im zweiten Schritt wäre es großartig, wenn dieser Tatort die Zuschauer zum Nachdenken bringen würde, wenn Männer und Frauen über das Thema diskutieren würden. Und die Krönung wäre natürlich, wenn sich der ein oder andere Freier Gedanken darüber machen würde, was er da eigentlich anrichtet.

Glauben Sie, dass „Siebte Etage“ das Bewusstsein für die Realität der Prostitution verändern kann? Wenn ja, auf welche Weise?
Volker A. Zahn:
Wir wären dankbar, wenn wir ein wenig mehr Empathie und Verständnis für Frauen generieren könnten, die anschaffen. Uns war vor der Recherche auch nicht klar, wie traumatisierend dieser Job für die Frauen ist. Und auch die gesellschaftliche Ächtung ist extrem belastend. Wir hatten beim Kölner «Tatort» zuletzt mehr als 10 Millionen Zuschauer. Vielleicht hilft unser Film ja, den Blick auf die Frauen und ihre Nöte ein bisschen zu schärfen.

Was hat Sie persönlich dazu motiviert, Prostitution als zentrales Thema für diesen Film zu wählen? Gab es spezielle Erlebnisse, die Sie dabei inspiriert haben?
Eva Zahn:
In Köln steht einer der größten Puffs Europas. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland pro Jahr durch Frauenhandel und Prostitution 15 Milliarden Euro Gewinn gemacht wird. Da lohnt sich doch mal die Frage, wer sind eigentlich die Menschen, die solche Summen mit ihrem Körper erwirtschaften, ohne selbst nennenswert etwas davon zu haben – außer psychische und physische Schäden.

Volker A. Zahn: Die Prostituierten haben leider keine echte Lobby, sie sind, wie es im Polizeisprech heißt, eine Personengruppe ohne große „Beschwerdemacht“. Die Berufsorganisationen, die es gibt, vertreten lautstark nur eine Minderheit halbwegs privilegierter Frauen. Aber die Masse der so genannten „Sexarbeiterinnen“ bleibt ungehört – und das in einem Business, in dem auf dem Rücken der Prostituierten das ganz große Geld gemacht wird. Es hat uns gereizt, diesen Frauen eine Stimme und ein Gesicht zu geben.

Welche Emotionen möchten Sie beim Publikum hervorrufen und wie schaffen Sie es, diese durch das Drehbuch zu transportieren?
Eva Zahn:
Jedes Drehbuch lebt davon, dass die Charaktere den Zuschauer auf eine Reise mitnehmen, vielleicht in eine ihm fremde Welt. Welche Emotionen dabei hervorgerufen werden, hängt natürlich von jedem einzelnen Betrachter ab: Von Mitgefühl bis Wut ist alles denkbar. Aber wichtig ist, dass es dem Film überhaupt gelingt, Emotionen zu erzeugen. Wenn nicht, haben wir etwas falsch gemacht. Aber wir sind optimistisch, denn wir hatten Hüseyin Tabak als Regisseur, der für diesen Stoff brannte und ihn sehr realistisch und gleichzeitig kunstvoll inszeniert hat. Außerdem sind die Episoden-Hauptrollen mit Antonia Bill, Maddy Forst und Senita Huskić herausragend besetzt. Die drei Schauspielerinnen haben uns mit ihrem einfühlsamen Spiel sehr berührt.

Gibt es weitere Themen oder Geschichten, die Sie in zukünftigen Projekten behandeln möchten, die häufig im Verborgenen bleiben?
Volker A. Zahn:
Ja, es gibt ein Thema, das uns ganz besonders am Herzen liegt: Der Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Wir haben in enger Zusammenarbeit mit der „Besonderen Aufbauorganisation Berg“, die unter Federführung der Kölner Kripo im so genannten „Missbrauchskomplex Bergisch-Gladbach“ ermittelt hat, eine sechsteilige Serie entwickelt. Arbeitstitel: «EG Hoffnung». Wir erzählen von Polizist*innen einer Ermittlungsgruppe (EG), die Tag für Tag bei der Auswertung unvorstellbarer Mengen pädokriminellen Datenmaterials die Grenzen des Ertragbaren überschreiten, von Männern und Frauen, die ihre Gesundheit riskieren, um Kinder aus den Fängen ihrer Peiniger zu retten. Für uns ist das eine echte Heldengeschichte.

Spannend… Gab es während Ihrer Tatort-Recherche ein Ereignis, das Sie emotional besonders bewegt hat oder Ihre Sicht auf die Gesellschaft verändert hat?
Eva Zahn:
Ja, das war das Lesen in den Freier-Foren im Internet. Das ist ein Blick in männliche Abgründe, wirklich abstoßend und ekelerregend. Es sind mit Sicherheit nicht alle Freier dermaßen stumpf wie die, die sich dort äußern, aber jedem Freier sollte bewusst sein, dass es keinen „guten“ Freier gibt. Wer den weiblichen Körper als Ware missbraucht, übt sexuelle Gewalt aus.

Volker A. Zahn: Es ist absolut widersinnig: Da wird auf vielen gesellschaftlichen Ebenen endlich über die von Männern gemachten Strukturen diskutiert, die Machtmissbrauch und Gewalt gegen Frauen ermöglichen oder begünstigen, und gleichzeitig darf Mann sich mit größter Selbstverständlichkeit und politischer Rückendeckung in diesen Paysex-Freiräumen beinahe ungehemmt und unbehelligt austoben.

Eva Zahn: Wir leben in einer Gesellschaft, die erlaubt und akzeptiert, dass Männer ihre sexuellen Bedürfnisse ungehindert ausleben dürfen, egal ob Frauen dabei seelisch und körperlich gebrochen werden. Zahlreiche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass das Risiko für Prostituierte, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, höher liegt als bei Kriegsveteranen.

Was kann man Ihrer Meinung nach konkret tun, um das Leben von Prostituierten zu verbessern und ihnen zu helfen, aus der Sexarbeit auszusteigen?
Eva Zahn:
Das konkret zu sagen, ist schwierig, denn das Thema ist äußerst komplex und die Formen der Prostitution sind sehr vielfältig, von selbstbestimmten Dominas bis zu Zwangsprostitution und Drogenstrich. Das Nordische Modell – also Entkriminalisierung der Prostituierten, Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber, sowie Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für die Frauen – ist sicher kein Allheilmittel, aber es würde sich mit Sicherheit lohnen, es auszuprobieren.

Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, diesen Film zu sehen, und was können die Zuschauer daraus mitnehmen?
Eva Zahn:
Erstens ist dieser Film ein toller «Tatort», hervorragend inszeniert und gespielt. Und zweitens behandelt er ein spannendes Thema auf eine, wie wir finden, ganz besondere Weise. Also einschalten und schauen, was passiert!

Der «Tatort» „Siebte Etage“ am Sonntag, den 24. November 2024, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
22.11.2024 11:26 Uhr Kurz-URL: qmde.de/156475
Fabian Riedner

super
schade


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Tatort EG Hoffnung

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