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Christian Hardinghaus: ‚Der Erste Weltkrieg bildet eine Zäsur‘

In seinem Buch „Wie man Kriegspropaganda und Medienmanipulation entlarvt“ schreibt der Autor unter anderem von der politischen Inszenierung von Ukraine-Präsident Selenskyj.

Hallo Herr Hardinghaus. In Ihrem neuen Buch „Wie man Kriegspropaganda und Medienmanipulation entlarvt“ beschäftigen Sie sich mit dem Thema Propaganda in Krisenzeiten. Seit wann sind wir mit diesem Thema konfrontiert?
Kriegspropaganda hat es in allen Kriegen gegeben. Sie war immer schon eine der wichtigsten Waffen für die Kriegsführung, denn mittels ihrer Methoden lassen sich Kriege entfesseln und bis zum bitteren Ende am Laufen halten. Darüber hinaus ist ein fester Bestandteil der Definition von Propaganda ihre Abhängigkeit von Medien. Auch das ist immer so gewesen. In der Antike waren geprägte Münzen Propagandamittel, in der Frühen Neuzeit Flugblätter, später Bücher und Zeitungen. Der Erste Weltkrieg bildet eine Zäsur. Wir sprechen vom ersten Medienkrieg der Geschichte. Neue Medien wie Fotografie und Film konnten gezielt zur Manipulation von Massen eingesetzt werden. Seither haben sich Medien und ihre technischen Möglichkeiten kontinuierlich und immer schneller weiterentwickelt. Heute sind wir im Zeitalter von Informationskriegen angelangt. Die mediale Vernetzung ist so weit fortgeschritten, dass nicht mehr nur die verfeindeten Länder gegeneinander Krieg führen, sondern die ganze Welt ins Zentrum von Kriegspropaganda gerückt wird.

Auch die Nationalsozialisten waren bekannt für Propaganda und Fake News. Gibt es Regime, die das noch übertroffen haben?
Die Nationalsozialisten stellten zu ihrer Zeit viele „Superlative“ auf. Die Wehrmacht war die schlagkräftigste Armee, die Hitlerjugend die größte Jugendorganisation der Welt und der Holocaust das schlimmste Verbrechen europäischer Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem sich deutsche Propaganda als vergleichsweise harmlos herausgestellt hatte und mitverantwortlich für die Kriegsniederlage gemacht worden war, wollten die Nazis alles besser machen und richteten nach Machtergreifung ein eigenes Ministerium für Propaganda ein. Die Methoden, denen sich ihr Leiter Joseph Goebbels bediente, waren nicht neu und sie finden auch heute noch in allen Kriegen und auch in Friedenszeiten Anwendung. Einzigartig war sicherlich die staatliche Organisation von NS-Propaganda, deren Ideologeme alle Lebensbereiche der Menschen durchdringen konnten. Ich würde sagen, das ist zum Glück unübertroffen.

Wie funktioniert Propaganda? Gibt es logische Schritte, die man befolgen muss, um Fake News zu verbreiten?
Anleitungen zur Verbreitung von Fake News gebe ich nicht, gerne aber Tipps, wie man sie entlarven kann. Ich habe in meinem Buch über 100 gängige Propagandaformen aufgeschlüsselt. Im Wesentlichen setzen sie alle auf Trugschlüsse und Täuschungen. Propagandisten setzen rhetorische, psychologische und medientechnologische Methoden ein, um Menschen im besten Falle von etwas zu überzeugen. Wenn das nicht klappt, versuchen sie zu überreden, und ist auch das nicht erfolgreich, so muss das Mittel der Täuschung, die Opfer dazu bringen, sich entsprechend der Propaganda zu verhalten. Fake News sind eine extreme Form der Täuschung, denn hier steht eine bewusste Lüge im Mittelpunkt.

Während der Corona-Pandemie wurden Menschen, die vor einer Impfpflicht warnten, schnell als Querdenker abgestempelt. Tatsächlich hat die deutsche Regierung über einen solchen Schritt nachgedacht. Fehlt uns auch hier die Aufklärung, dass wir die Impfung als eine Art heiligen Gral wahrgenommen haben?
Es ist schade, dass der Begriff Querdenker - wie viele andere einst positiv besetzte Worte auch - zu einem Dysphemismus verkommen ist. Ursprünglich beschrieb man damit einen originell und kritisch denkenden Menschen, also eher jemanden, der sich nicht so leicht manipulieren lässt. Anhand der Corona-Politik der Bundesregierung und ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander ließe sich sicherlich ein eigenes Propagandalehrbuch schreiben. Ein Zwang allerdings ist nicht mehr Propaganda, sondern die Konsequenz daraus, wenn sich Propaganda als nicht zielführend erwiesen hat. In einer Diktatur folgt auf Propaganda Zwang, der dann durch immer schärfere Sanktionen potenziert wird, bis letztendlich nur noch Gewalt als letztes Mittel bleibt.

Apropos Corona-Impfung: Wie beschreiben Sie das Vorgehen der Regierung, Menschen mit 2G+ aus dem öffentlichen Leben zu drängen - bis Sie sich eben impfen lassen?
Das ist dann kein direkter Zwang, aber eine Form von Erpressung, die gleich mehrere Grundrechte beschneidet. Begründet wurde das alles mit einer Ausnahmesituation, der alles andere untergeordnet werden sollte. Da wurden eine ganze Menge Propagandamethoden angewandt: Gebot der besonderen Rücksichtnahme, Bandwaggon („Alle machen mit, sei auch du dabei!“) Infantilisierung („Wer hat sich seinen kleinen Piks schon geholt?“) und jede Menge Trugschluss-Appelle: Ad ignorantiam („Die Impfungen sind nebenwirkungsfrei“), ad metum („Jeden Tag sterben mehr Leute durch Corona als durch einen Flugzeugabsturz“), ad necessitatem („Es gibt keine Alternative zu unseren Maßnahmen“). Propaganda kann im Übrigen auch gut gemeint sein, das sagt aber nichts über ihre Richtigkeit aus.

Die Bundesregierung unterhält die Deutsche Welle, die Bürger im Ausland informieren soll. Geht es bei diesem Sender wirklich um Information, oder geht es nur darum, die deutsche Sicht der Dinge weltweit zu verbreiten? Dafür braucht die Deutsche Welle doch nicht unzählige Sprachversionen, oder?
Sollte die Bundesregierung direkten Einfluss auf die Inhalte nehmen, die von DW produziert und gesendet werden, dann wären solche Formate nicht mehr neutral. Der Grat zwischen politischer Kommunikation und Propaganda kann oft schmal sein und Verdachtsfälle müssen im Einzelfall journalistisch geprüft werden. Ziel von DW ist nach eigenem Selbstverständnis, dem Ausland deutsche Kultur und Sprache näher zu bringen und kulturellen Austausch zu fördern. Da die meisten Menschen kein Deutsch sprechen, ist die Übersetzung der Inhalte in andere Sprachen natürlich zielführend. In der Hinsicht sehe ich keine Propaganda.

Sie stellen in Ihrem Sachbuch die sieben Grundformen von Propaganda dar. Welche halten Sie für die problematischste?
Ob Propaganda gefährlich ist, kann man nicht allein von der Methode abhängig machen, sondern eher von der Verhaltensweise, die sie zu welchem Zwecke und welchem Preis verändern will. Es gibt viele Propagandatechniken, die sehr leicht unters Volk zu mischen sind: Stereotypisierungen, Schüren von kognitiver Dissonanz, Scapegoating (Sündenböcke präsentieren), Beschönigungen, Card Stacking (Nur positive Aspekte vermitteln) und allgemein das Arbeiten mit Ängsten im Besonderen. Methoden, die der in Deutschland nach dem Grundgesetz verbotenen Zensur nahekommen, finde ich sehr bedenklich. Aus ästhetischen Gründen dürfen journalistische Beiträge nämlich geschnitten werden. Und man hat oft das Gefühl, das hier verschleiert durchaus auch aus politischer Motivation heraus fragmentiert und montiert wird.

Der russische Regierungschef Putin führt Krieg gegen die Ukraine. Werden die Bürger in Russland über die wahren Umstände getäuscht? Wie gelingt es Putin, die Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen?
Putin ist es wichtig, dass alle an einem Strang ziehen. Je nach Zielgruppe greift er auf unterschiedliche Methoden und Narrative zurück. Seine Propaganda ist erfolgreich. Über 20 Prozent der Russen glauben nach unabhängigen Befragungen mit aktuellem Stand, dass Russland Krieg führe, um die Ukraine von Nazis zu befreien. Etwa 45 Prozent sind überzeugt davon, dass es darum geht, unterdrückte ethnische Russen zu schützen. Lediglich drei Prozent hingegen glauben, dass Russland territoriale Ansprüche auf die Ukraine oder Teile von ihr hege. (Vgl. Buch, FN 71) Gerechte Kriege, die nur dem Wohle der Menschen dienen, sind eine Illusion. Hinter nahezu allen militärischen Konflikten stecken wirtschaftliche und geostrategische Interessen. Demnach müssten nach dieser Umfrage also 97 Prozent der Russen getäuscht werden. Interessant ist dazu die Auswertung einer aktuellen deutschen Studie, der nach nur vier Prozent deutscher Journalisten der USA und NATO eine Mitschuld am Konflikt geben, so also wirtschaftliche und geostrategische Interessen aus dieser Richtung ausklammern. (Vgl. Buch, FN 91) Es erstaunt mich, dass man dies nach den Erfahrungen vergangener Kriege noch glauben mag.

Der Kreml hat mit RT einen Nachrichtensender, der die russische Sicht der Dinge verbreitet. Sollte man solche Sender verbieten?
Ich bin selbstverständlich gegen jede Form von Zensur, die heute sowieso nicht nur kaum mehr etwas bringt, sondern im Gegenteil, Propaganda erst recht Wirkung verschafft. Putin behauptet ständig, westliche Medien würden doch auch zensieren, obwohl hier Gegenteiliges behauptet wird. Immer mehr Menschen in diesem Land haben überdies tatsächlich das Gefühl, dass ihnen bestimmte Informationen und Perspektiven vorenthalten werden. Sie fühlen sich in einem solchen Aktionismus, Sender einfach zu verbieten, genau darin bestätigt. Dann konsultieren sie die geschassten Sender auf der Suche nach Wahrheit doch erst recht. Es ist völlig naiv Zu glauben, wenn man eine Internetseite sperrt, wäre auch der Sender dahinter verschwunden, ist schon ziemlich naiv gedacht. Gerade junge Leute, die besonders anfällig sind für Propaganda, sind in Telegramkanälen vernetzt, wo sie weiterhin alles das sehen können, was sie wollen oder nicht mehr sollen. Verbotenes hatte immer einen ganz besonderen Reiz, das weiß auch die Propaganda.

Sie schreiben, der ukrainische Präsident Selenskyj inszeniere sich als David, der gegen einen übermächtigen Goliath kämpft. Sind wir deshalb Fans, weil Ereignisse wie die Französische Revolution oder der Fall der Berliner Mauer zeigen, dass eine Macht gestoppt werden kann?
Die wichtigste Propagandastrategie der Ukraine ist es, Europa so weit wie möglich mit in den Krieg hineinzuziehen - als Finanzier und Waffenlieferant, am liebsten als militärischen Partner. Kiew darf den Westen nicht vergraulen, sonst ist der Krieg für die Ukraine verloren. Selenskyj hat deshalb das Narrativ aufgebaut, dass der Krieg um die Ukraine einer sei, an dem sich die Zukunft Europas entscheide. Natürlich appelliert er dann bei seinen Auftritten vor Europäischen Parlamenten und in Interviews an die vorgeblich gemeinsamen Werte und Traditionen und verweist auf wunde Punkte der Geschichte der jeweiligen Länder. Er spielt natürlich eine Rolle und die ist nach dem Konzept ukrainischer Propaganda geformt die des tapferen Underdogs, der für sein Volk und die Welt gegen den Schurken Putin kämpft, für die Freiheit und Gerechtigkeit aller. Es sind klassische Schemata von Gut und Böse, nach denen auch jeder Film funktioniert.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit!
10.07.2023 12:41 Uhr Kurz-URL: qmde.de/143431
Fabian Riedner

super
schade


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