Die Influencerin MagicMom stirbt auf rätselhafte Weise. Gestorben ist sie nämlich an einem anaphylaktischen Schock. Aber nach ihrem Tod hat sie jemand erhängt. Was hat es mit dieser Inszenierung auf sich?
Stab
BESETZUNG: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, ChrisTine Urspruch, Mechthild Grossmann, Björn Meyer, Claus D. Clausnitzer, Golo Euler, Laura Luise Garde, Agndes Decker, Monika Oschek
REGIE: Michaela Kezele
BUCH: Regine Bielefeldt
MUSIK: Kerim König, Christian Biegai
KAMERA: Felix Novo de Oliviera
Boerne und Thiel sind zurück und kalauern sich gut gelaunt durch einen «Tatort», der seinen öffentlich-rechtlichen Anspruch, das sozial-relevante Thema der Woche zu besprechen, recht launig umsetzt. Das relevante Thema, das ist die Welt der Influencer und des schönen Scheins. Eine solche Influencerin war besagte MagicMom. Evita Vogt, so ihr richtiger Name, wurde von Hunderttausenden Followern geliebt. Von den meisten zumindest. Mit selbstironischen Videos postete sie Situationen ihres Alltags als Mutter zweier kleiner Kinder. Situationen, die sie stets zu meistern verstand. MagicMom war eine immer bestens gelaunte Mutter. Und Geschäftsfrau.
Sie hat mit ihren Auftritten auf jeden Fall ordentlich Geld verdient, denn als Werbende für Produkte rund um die Haushaltsführung, Kinderversorgung, Kindermöbel und anderes mehr – war sie für die Werbeindustrie Gold wert. Und nun ist so tot. Ihr Leichnam wird in ihrem geräumigen Vorstadthäuschen entdeckt. Erhängt hat sich die erfolgreiche Influencerin. Professor Boerne braucht jedoch nur einen Blick um zu erkennen, dass es sich bei dem Leichenfund um eine Inszenierung handelt und die Influencerin definitiv keinen Selbstmord begangen hat. Der zweite Blick jedoch macht den Professor ratlos, zur Freude von Thiel, der sein Glück kaum fassen kann, einmal erleben zu dürfen, dass der Herr Professor nicht weiter weiß. Aber Boerne kann beim besten Willen kein Fremdverschulden für MagicMoms Ableben feststellen. Die Frau hat auf etwas allergisch reagiert. Diese Reaktion hat einen anaphylaktischen Schock hervorgerufen. An dem ist sie gestorben. Natürlich ist es möglich, dass jemand diesen Schock absichtlich herbeigefürt hat. Aber dafür gibt es kein Indiz. Ja, es existiert sogar ein Video von ihrem Tod. Die Verstorbene hat nämlich im Augenblick ihres Todes ein Video produziert. Ein Video, auf dem ihr Tod zwar nicht zu sehen ist (da er außerhalb des Bildes geschieht) – allerdings ist er in seiner Grausamkeit zu hören. Und im Moment ihres Todes war sie definitiv alleine im Haus. Warum also diese Inszenierung?
Nach einigen weniger gelungenen Auftritten der «Tatort»-Urgesteine, werfen sich Jan Josef Liefers und Axel Prahl in diesem Spielfilm die Bälle endlich wieder in alter Manier zu. Liefers ist gewohnt arrogant und von sich eingenommen, während Thiel dieses Mal gar nicht so unglücklich darüber ist, dass sich Boerne in die Ermittlungen einmischt, denn dieses Mal mischt er sich nicht ein, nur um seine eigene Genialität zu beweisen. Boerne fühlt sich vielmehr in seiner Ehre gekränkt, nicht herausfinden zu können, ob ein Mord vorliegt oder ein trauriger Unfall. Wenn er mit Thiel auf Augenhöhe agieren muss, um diese Schmach zu beseitigen – muss der gute Professor eben über seinen Schatten springen. Und siehe da: In dieser Position kann er sogar einiges direkt zur Aufklärung des Falles beitragen. Gut, das kann der Professor eigentlich immer, nur normalerweise kann er dies nicht ohne die Zelebrierung seiner Großartigkeit – die er Thiel nur zu gerne spüren lässt. Nein, diesmal ist er fast zum Teamplay gezwungen. Was natürlich am guten Herrn Professor nagt. Mit diesem Spielfilm wird auch die Figur des Mirko Schrader (Björn Meyer) fest ins Ensemble integriert, indem auch er mit Thiel – fast – auf Augenhöhe agiert. Die Interaktion der beiden verläuft in diesem Kriminalspiel jedoch fast ausschließlich auf der Ebene des Humors und kreiert ein Team, das seinerseits Buddy-Movie-Qualitäten an den Tag legt. Autorin Regine Bielefeldt ist allerdings schlau genug, Thiels und Schraders Momente nie in den Vordergrund zu spielen. Es sind vielmehr genau das: Momente, die zum Schmunzeln Anlass geben. Der Fokus - der liegt natürlich ganz und gar auf Thiel und Boerne.
Der Kriminalfall als solcher erfüllt seinen Zweck, 90 Minuten Spielzeit mit einer durchaus nicht ganz unoriginellen Handlung zu füllen. Da gibt es zum Beispiel die Influencerin BusyBine, die ganz ähnliche Videos wie MagicMom dreht, ebenfalls in Münster lebt und die MagicMom in zumindest einem Tweet indirekt den Tod gewünscht hat. Doch war dieser Tweet echt – oder eine Absprache zwischen zwei Frauen, die wissen beziehungsweise wussten, wie man Aufmerksamkeit generiert? Ein felsenfestes Alibi hat derweil der Ehemann. Der aber scheint seiner Frau in letzter Zeit immer öfter aus dem Weg gegangen zu sein. Vielleicht, weil seine Ehefrau gar nicht die Heilige war, als die sie sich dargestellt hat? Und dann ist da die Nachbarin, die MagicMom als Heuchlerin bezeichnet, hat diese doch ihr so wunderbares, stets aufgeräumtes Haus, in Wahrheit von professionellen Reinigungskräften stets auf Vordermann bringen lassen! Abgesehen davon, dass die Verstorbene wohl auch mit harten Bandagen spielen konnte, denn Videoaufzeichnungen deuten darauf hin, dass die Verstorbene jemanden erpresst hat. Worum es bei dieser Erpressung ging?
Allzu viel Tiefe bezüglich der Welt der Influencer und dem Geschäft hinter dem schönen Schein, sollte man in diesem «Tatort» nicht erwarten. Die Inszenierung (Regie: Michaela Kezele) bleibt oberflächlich, was aber kein Manko darstellt. «MagicMom» ist kein Film, der mit dem Brechhammer bildungsbürgerlicher Betroffenheitsdramatik das Thema Influencing in eine bestimmte Richtung zu schieben versucht, um ein (konsum-)kritisches Weltbild zu kreieren, wie dies in vielen anderen «Tatort»en der Fall wäre. «MagicMom» ist diesbezüglich bodenständig. Die Story erkennt an, dass es dieses Geschäft gibt. Ein Geschäft, das einen schönen Schein kreiert, der nicht unbedingt mit der Wirklichkeit außerhalb der digitalen Welt übereinstimmt. Wie man nun als Zuschauerin oder Zuschauer mit dieser Welt umgeht? Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Interessant dürften die Twitter-Reaktionen zu diesem «Tatort» werden. Im sozialen Netzwerk des Elon Musk ist es seit Jahren Tradition, jeden «Tatort» live zu kommentieren. Und es ist durchaus vorhersehbar, dass zu diesem «Tatort» Stichwörter wie „Boomerhumor“ durch das soziale Netzwerk geistern werden. Warum? In einer Nebenhandlung sucht Staatsanwältin Klemm Sensibilitätsbeauftragte für die Polizei- und Staatsanwaltschaft; Menschen, die ordentlich gendern, die keine sexistischen Witze reißen, die kultursensibel agieren. «MagicMom» hat auf jeden Fall Spaß daran, diese Thematik durch die Humorbrille zu betrachten, wenn es angebracht ist. Dabei lässt sich leicht übersehen, dass der «Tatort» im Grunde in diesen Momenten nur dazu aufruft, hin und wieder durch die Hose zu atmen und die Welt nicht zu verbissen zu betrachten.
Sicher mag es in der Vergangenheit durchaus bessere Thiel/Boerne-Kriminalspiele gegeben haben, das Ermittlerduo hat mit diesem Film jedoch definitiv seine Lockerheit wiedergefunden.
Am Sonntag, 5. Märt 2023, 2015 Uhr, Das Erste
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