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Die Paralympischen Winterspiele 2022: Spiele zweiter Klasse?

Die Paralympics 2022 finden ohne russischen und belarussischen Athleten statt. Doch davor wollte ein Hin und Her der Entscheidungen. Ein kritischer Vorbericht von Veit-Luca Roth.

Dieser Tage über Sport zu schreiben, fällt alles andere als leicht. In der Ukraine marschiert das russische Militär ein und bombardiert unter anderem die Hauptstadt Kiew – ein Angriffskrieg wie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, als Deutschland Polen überfiel. Mindestens symbolischen Charakter hat dabei auch der Bruch Russlands mit dem „Olympischen Frieden“, der sieben Tage vor Beginn der Olympischen Spiele begonnen hat und er erst sieben Tage nach der Schlussfeier der Paralympics endet, also theoretisch erst am 21. März – was nicht bedeuten soll, dass zu jenem Zeitpunkt ein Krieg gerechtfertigter wäre als sonst. Krieg verursacht immer Schaden und Leid. Der Bruch mit dem Olympischen Frieden verdeutlicht aber gewissermaßen, wie es derzeit auch um die Wahrnehmung der Paralympischen Spiele 2022 in Peking steht.

Dass der Sport niemals unpolitisch ist, wird derzeit durch den Krieg in der Ukraine einmal mehr sichtbar, denn der Druck auf die Fußballverbände UEFA und FIFA ist so groß geworden, dass sich sogar diese – ständig in moralischen Grauzonen agierenden – Vereinigungen von Sponsoren wie dem russischen Gasunternehmen Gazprom distanziert haben und Russland an der anstehenden Weltmeisterschaft sowie russische Vereinsmannschaften aus den Wettbewerben verbannt haben. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hatte vom Ausschluss der russischen und belarussischen Sportler zunächst abgesehen, verurteilte am Mittwoch dennoch den Bruch des Olympischen Friedens, nur um keine 24 Stunden später eine Rolle rückwärts zu machen. Das IPC sprach zunächst davon, die „stärksten möglichen Maßnahmen ergriffen“ zu haben. Man habe sich von den Grundprinzipien des IPC leiten lassen, „zu denen die Verpflichtung zu politischer Neutralität und Unparteilichkeit sowie der unerschütterliche Glaube an die transformative Kraft des Sports gehören“, wie es in einer Mitteilung hieß.

Das vielzitierte Argument, ein Ausschluss träfe nur die Falschen, war angewandt worden. Dem im Übrigen auch IOC-Präsident Thomas Bach am Abend zustimmte. „Wir respektieren diese Entscheidung voll und ganz", sagte er bei einer virtuellen Medienrunde. Bach schloss am Mittwoch aus, das Russische Olympische Komitee (ROC) zu suspendieren. Man könne „nur diejenigen zur Verantwortung ziehen, die für diesen Krieg verantwortlich sind. Dies ist die russische Regierung.“ Doch eines sollte klar sein: Die Falschen und Unschuldigen trifft es derzeit ausschließlich in der Ukraine.

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) hielt den Beschluss vom Mittwoch im Übrigen für inakzeptabel und bezeichnete die Entscheidung „in der derzeitigen weltpolitischen Lage als völlig falsches Signal“. „Das ist enttäuschend und mutlos. Angesichts der täglichen Kriegsgräuel in der Ukraine hätten wir einen solchen Beschluss nicht für möglich gehalten. Es hätte eine konsequente Entscheidung gebraucht, jetzt und nicht im Anschluss an die Paralympics“, erklärte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Nun erlag das IPC doch dem Druck der Verbände, die nach der Entscheidung am Mittwoch mit Protesten und Boykott gedroht hatten. „Wir vom IPC sind der festen Überzeugung, dass Sport und Politik sich nicht vermischen sollten", sagte Präsident Andrew Parsons: „Der Krieg ist jedoch ohne unser eigenes Verschulden zu diesen Spielen gekommen, und hinter den Kulissen nehmen viele Regierungen Einfluss auf unsere geschätzte Veranstaltung." Die eskalierende Situation habe das IPC „in eine einzigartige und unmögliche Lage gebracht". Weiter hieß es: „Mehrere Nationale Paralympische Komitees, von denen einige von ihren Regierungen, Teams und Athleten kontaktiert wurden, drohen damit, nicht anzutreten", so Parsons weiter: „Sie haben uns gesagt, dass es schwerwiegende Folgen für die Paralympischen Winterspiele 2022 in Peking haben könnte, wenn wir unsere Entscheidung nicht überdenken." Die Situation in den Athletendörfern sei eskaliert und inzwischen unhaltbar geworden, erklärte Parsons die revidierte Entscheidung. Es gehe nun darum, „die Integrität dieser Spiele und die Sicherheit aller Teilnehmer zu wahren". Interessant ist, dass die am Mittwoch getroffene Entscheidung ein weitaus kleineres Medienecho nach sich zog als die Kehrtwende am Donnerstag. Während am Mittwoch eine der größten deutschen Sportzeitungen (Kicker) nicht darüber berichtete, nahm man die Donnerstag-Meldung in die Berichterstattung auf – im Sinne von: ‚Es hatte sich am Mittwoch nichts geändert, wozu berichten?‘ Ein fatales Signal, was beweist, dass der Paralympische Sport einen kleineren Stellenwert genießt als der Olympische.

Ein weiteres Beispiel ist, dass der oberste Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach anders als zu den Olympischen Spiele vor wenigen Tagen nicht in die chinesische Hauptstadt reisen wird und stattdessen seinen Stellvertreter Ser Miang Ng als IOC-Vertreter nach Peking schickt – ebenfalls ein Bild mit Symbolcharakter. Über die Gründe des Fernbleibens äußerte sich das IOC nicht. Diese Entscheidung war wenige Minuten vor der Abschlussfeier der Winterspiele am 20. Februar bekannt geworden. In seiner Abschlussrede sagte Bach dennoch an die Athleten gerichtet: „Ihr habt euch nicht nur respektiert. Ihr habt euch gegenseitig unterstützt. Ihr habt einander umarmt, auch wenn eure Länder durch Konflikte gespalten sind.“ Genau diese Unterstützung lässt Bach nun vermissen. Insofern sollte man das Fernbleiben des IOC-Präsidenten Thomas Bach von den Paralympischen Spielen 2022 in Peking nicht einfach hinnehmen, es lässt sich mindestens als symbolisches Zeichen interpretieren. Ist der Paralympische Sport nicht so viel Wert wie der Olympische?

Dieses Gefühl könnte man auch im Hinblick auf die Übertragung der ARD und ZDF bekommen. Während es bei den Olympischen Spielen so schien, als würden sich die beiden öffentlich-rechtlichen Sender geradezu um die Übertragung streiten – ARD und ZDF sendeten immer abwechselnd –, wirkt es nun so, als sei die Übertragung der Paralympics eine lästige Aufgabe. Das ZDF wird die Eröffnungsfeier und erste Hälfte senden, während Das Erste den zweiten Teil und die Schlusszeremonie überträgt. Auch der Umfang der Übertragung fällt deutlich geringer aus, was allerdings darin begründet ist, dass das Wettkampfprogramm der Paralympics nicht so umfangreich wie jenes der Olympischen Spiele ist. Medaillen werden in sechs Sportarten und 78 verschiedenen Wettbewerben vergeben. Trotzdem werde Das Erste und das ZDF täglich mehrere Stunden im linearen Fernsehen berichten, wie ein Sprecher des für die ARD federführenden Bayerischen Rundfunks (BR) bestätigte. „Die ARD fokussiert sich dabei diesmal ganz gezielt auf publikumsfreundliche Sendezeiten – die tägliche Berichterstattung im Ersten beginnt zwischen 5.30 Uhr und 9.00 Uhr deutscher Zeit und umfasst zum Teil Highlights bis in den Nachmittag.“

Blickt man in den Sendeplan der blauen Eins stellt man fest, dass an den ersten drei Sendetagen (9. bis 11. März) die «Sportschau» zu den Paralympics ab 9:00 Uhr beginnt. Lediglich am Samstag und Sonntag sendet Das Erste bereits ab 5:30 Uhr. Warum man in der Nacht von Samstag auf Sonntag um 2:25 Uhr lieber den Spielfilm «Alles Verbrecher – Eiskalte Liebe» aus dem Jahr 2014 sendet, bleibt das Geheimnis der Verantwortlichen. Zumal Das Erste in seiner Vorschau auf die Spiele ausdrücklich darauf hinwies, dass die Wettkämpfe „aufgrund der Zeitverschiebung ab 2.30 Uhr deutscher Zeit“ beginnen. Stattdessen werden die Sportfans auf Livestreams auf sportschau.de (Web und App), in der ARD Mediathek und im HbbTV-Angebot von Das Erste verwiesen. Dort soll es bis zu drei parallele Kanäle mit den Entscheidungen von deutschen Athleten geben.

Wie erwähnt werde man die Wettbewerbe bis in den Nachmittag senden, davon kann aber allenfalls am Samstag, 12. März, die Rede sein. Während man zu Beginn des Tages zwischen 5:30 Uhr und 9:15 Uhr ausschließlich über die Paralympics berichten will, sendet man ab 9:20 Uhr dann auch verschiedene Weltcup-Wettbewerbe wie den Riesenslalom der Männer aus Kranjska Gora oder den 15 km Massenstart Männer vom Biathlon aus Otepää gegen 12:50 Uhr. Ach ja, Paralympics. Die gibt es immerhin um zirka 11:55 Uhr mit dem Curling Finale, das bis etwa 12:30 übertragen werden soll. Übrigens: Die deutschen Nationalmannschaften Para Eishockey und Rollstuhlcurling haben die Qualifikation für die Paralympics verpasst. Der Snowboardcross-Weltcup aus Reiteralm scheint wichtiger zu sein. Den munteren Mix aus Paralympics und Weltcup begründet der BR damit, dass die Ansetzung der Wettbewerbe eine „Entscheidung der jeweiligen Wintersportverbände“ sei. „Da Wintersport beim Publikum sehr populär ist, verzichten ARD und ZDF natürlich nicht auf dies attraktive Angebot und integrieren die Paralympics-Berichterstattung an diesen Tagen in die gewohnten langen Wintersport-Strecken“, erklärt ein BR-Sprecher dieser Redaktion. Das Konzept sei dabei keineswegs neu, sondern sei auch schon bei vergangenen Paralympischen Spielen so gehandhabt worden. „Negative Rückmeldungen aus dem Publikum hat es dazu übrigens bisher nicht gegeben. Im Gegenteil: Durch die Zugkraft der langen Wintersportstrecken bekommen die Paralympics eine noch größere Aufmerksamkeit“, heißt es in dem Statement weiter.

Ähnlich verfährt auch das ZDF, das am Freitag die Eröffnungsfeier – kommentiert von Hermann Valkyser – ab 12:50 Uhr überträgt, gegen 14:30 Uhr dann aber auch die Weltcups der verschiedenen Wintersportarten umschwenkt. Am 1. Wettkampftag startet die Übertragung um 8:30 Uhr wird aber bereits um 9:30 Uhr von den Wettkämpfen der Weltcups abgelöst, ehe um 15:05 Uhr eine 20-minütige Zusammenfassung aus Peking folgen soll. Während der Übertragung kommt das bewährte ZDF-Paralympics-Team zum Einsatz: Moderator Yorck Polus und Experte Matthias Berg führen durch die Sendungen aus dem mit der ARD gemeinsam genutzten Paralympics-Studio in Mainz. Moderatorin Stephanie Müller-Spirra ist für Das Erste im Einsatz. An ihrer Seite ist Expertin Anna Schaffelhuber dabei, die die mit sieben Paralympics-Goldmedaillen und elf WM-Siegen zu den erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen zählt. Reporter sind Thomas Braml, Florian Eckl, Eik Galley und Julian Wiegmann. Für das ZDF sind Michael Kreutz (Ski alpin/Snowboard), Marc Windgassen (Ski nordisch/Biathlon), Alexander von der Groeben (Curling) und Norbert Galeske (Schlitteneishockey) im Einsatz. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender legen ihren Fokus bei der überschaubaren Anzahl an Wettbewerben auf Ski alpin, Langlauf und Biathlon.

Doch auch die übrigen Sportarten sollen ihren Platz im Programm finden. Neben den TV-Übertragungen steht an den Paralympics-Sendetagen im ZDF zwischen etwa 3:00 Uhr und 7:30 Uhr ein Livestream-Angebot für die Sportarten Ski alpin und Ski nordisch bereit. Die ARD verspricht bis zu drei parallele Kanäle und ein Gesamtvolumen von über 50 Stunden. Zum Vergleich: Während der Olympischen Winterspiele vor knapp zwei Wochen betrug das Gesamtvolumen rund 500 Stunden, also zehnmal so viel. Bei Olympia gab es insgesamt 109 Wettbewerbe, bei den Paralympics sind es wie erwähnt 78 – diese Rechnung geht nicht wirklich auf.

Was bislang noch nicht erwähnt wurde, ist die Berichterstattung von Eurosport. Der Grund: Die Paralympics sind im linearen Programm sowohl von Eurosport 1 als auch Eurosport 2 schlicht nicht vorgesehen. Es ist schade, dass das größte Sportereignis für Para-Athleten medial doch so hintenansteht. Dabei ist mehr denn je die Rede von Diversität sowohl hinter als auch vor der Kamera. Vergangenen Freitag lieferte der Para-Athlet Mathias Mester bei «Let’s Dance» die am besten bewertete Tanzvorstellung ab und trug sicherlich auch dazu bei, dass RTL an jenem Freitag alleiniger Marktführer in der Zielgruppe wurde. Es ist nur schwer verständlich, warum die Paralympischen Winterspiele 2022 so wenig Aufmerksamkeit bekommen.
03.03.2022 13:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/132854
Veit-Luca Roth

super
schade


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Tags

Alles Verbrecher – Eiskalte Liebe Let’s Dance Sportschau

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
klaus.foisner
04.03.2022 09:07 Uhr 2
"Die Paralympics sind im linearen Programm sowohl von Eurosport 1 als auch Eurosport 2 schlicht nicht vorgesehen."



ARD und ZDF haben doch Exklusivrechte, vermutlich aus diesem Grund werden die Paralympics nicht bei Eurosport zu sehen sein.
Stargamer
04.03.2022 09:46 Uhr 3
Recherchiert wurde schon, der Artikel handelt ja von dem ganzen hin und her im Endeffekt. Nur die Unterüberschrift hatte man nicht aktualisiert.
tommy.sträubchen
04.03.2022 12:41 Uhr 4
Aus sportlicher Sicht sind die Spiele genauso viel Wert. Es ist erstaunlich was dort von den Sportlern geleistet wird aber leider aus der Erfahrung der letzten Jahre sind die Quoten im Vergleich relativ schwach ...Aber Menschen werden nicht nach Quoten gemessen deswegen finde ich es schonmal sehr gut das größerflächig Berichtet wird. Wenn auch diesmal wie auch die Jahre davor nur auf ARD und ZDF
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