Die Kino-Kritiker: «Eine Frau mit berauschenden Talenten»
Eine zierliche Dame gegen mächtige Machos.
Das kennen mittlerweile ganz schön viele: man hat zwar Arbeit, ist fleißig und engagiert, und trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht mehr. Dabei geht’s oft gar nicht mehr darum, sich etwas leisten zu wollen, sondern schlichtweg die Grundbedürfnisse mit Essen und Wohnen für sich und seine Angehörigen befriedigen zu können. Schlecht bezahlte Jobs haben auch in den westlichen Industrieländern erschreckend zugenommen.
Manche kompensieren das Defizit mit Zweitjobs oder Pfandflaschensammeln, andere geraten gar auf die kriminelle Schiene, weil dort die finanziellen Möglichkeiten verlockender sind. So wie auch Isabelle Huppert in ihrem neuen Film «Die Frau mit berauschenden Talenten». Eine feine Krimikomödie aus Frankreich, die durchaus noch etwas böser hätte ausfallen dürfen.
So sieht echte Teamarbeit aus. Patience (Isabelle Huppert) und ihr neuer Mitbewohner DNA sind einfach schneller als die Polizei erlaubt.
Das Doppelleben einer Dolmetscherin
Patience Portefeux (Isabelle Huppert) arbeitet als Dolmetscherin für arabische Sprachen beim französischen Drogendezernat. Sie wird sehr geschätzt, besonders von Philippe (Hippolyte Girardot), dem Leiter des Dezernats, mit dem sie ein Techtelmechtel hat.
Nichtsdestotrotz wird sie vom Staat so schlecht bezahlt, dass die Unterbringung ihrer Mutter in einem teuren Altersheim bald nicht mehr gewährleistet ist. Bei einer Abhöraktion erfährt sie, dass ausgerechnet der Sohn der liebenswerten Pflegerin ihrer Mutter bei einer Drogenlieferung involviert ist. Sie warnt ihn und plötzlich weiß sie als einzige, wo sich das Rauschgift befindet. Sie fackelt nicht lange, reißt sich die Lieferung unter den Nagel und verkleidet sich als arabisch aussehende Dealerin, um das Zeug gegen Cash wieder loszuwerden. ‚Die Alte‘, wie sie fortan von Kleinganoven genannt wird, gerät schon bald ins Visier des Drogenkartells und der Polizei. Ihre Tarnung droht aufzufliegen.
Eine zierliche Frau legt sich mit den mächtigen Machos von Polizei und Gangstern an – das bietet Potential für eine leichte Krimikomödie. Nebenbei wird auch noch tüchtig Sozialkritik ausgeteilt wird. Der Schritt in die Kriminalität ist klein, wenn soziale Ungerechtigkeiten zu groß werden, und dennoch weiß man bis zum Schluss nicht, wie viel Sympathien man der Frau mit den berauschenden Talenten eigentlich schenken soll.
Einerseits ist es berührend, wie sehr sie um sozial Schwächere besorgt ist, andererseits betreibt sie Drogengeschäfte mit großen Maß, was alles andere als nachahmenswert wert ist, ja, eigentlich sogar widerlich ist. Daraus Humor zu ziehen, mag den einen oder anderen gar bitter aufstoßen, doch aus dieser Ambivalenz bezüglich der Antiheldin entsteht aber auch eine interessante Dynamik, weil man unbedingt wissen will, wie das Ganze ausgeht.
Isabelle Huppert in einer ihrer stärksten Rollen
Gelingen tut das nur mit einer Schauspielerin, die tatsächlich schauspielerisches Talent haben sollte, um eine solche Geschichte quasi allein tragen zu können. Das gelingt Isabelle Huppert natürlich ganz grandios. Man folgt der 67-jährigen Pariserin, die ihre Karriere 1971 begann und es mit Erfolgen wie «Die Ausgebufften» und «Die Spitzenklöpplerin» bis nach Hollywood schaffte, wo sie mit dem Spätwestern «Heaven’s Gate» jedoch eine Niederlage erfahren musste, nur zu gern bei ihrem perfiden Doppelspiel, und wenn man dann hofft, sie möge damit durchkommen, hat sie einen wohl auch ‚rumgekriegt‘.
Fazit: Dank Isabelle Huppert bekommt man zwei berauschende Kinostunden und ist gewillt, moralische Bedenken beiseite zu schieben.
«Eine Frau mit berauschenden Talenten» ist seit Donnerstag, den 8. Oktober 2020, in den deutschen Kinos zu sehen.
10.10.2020 11:23 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/121857
Markus Tschiedert
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