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«Vivarium»: Der Hirnwindungen zersetzende Horror namens Häuslichkeit

Unerwartet häuslich geworden: In «Vivarium» betreten Imogen Poots und Jesse Eisenberg eine Plansiedlung, die sie nicht mehr loslässt.

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Im vermeintlich behüteten Idyll des Daseins als altbackene Modellfamilie übt Gemma nicht weiter eine selbstgewählte, sie erfüllende Aufgabe aus, sondern lässt sich eine Pflicht auferlegen, gegen die sie aufgrund einer humanistischen Ader nur spärlich rebelliert. Tom derweil, der einst konstruktiv ein Grundstück instand gehalten hat, geht nunmehr stumpf und repetitiv einer ermattenden Tätigkeit nach – und hält sich für den wichtigeren, größere Opfer bringenden Teil in diesem Familienkonstrukt. Weil er ja "wirklich" was machen würde, muss er dafür doch das Haus verlassen, mit Werkzeug hantieren und seine Muskeln strapazieren …

Das verinnerlichen Tom und Gemma dermaßen, dass sich ihr Miteinander gemeinhin zu einem nicht weiter engagierten, disharmonischen Nebeneinander verschiebt, in dem Toms Flamme für Gemma erlischt, er sie nicht weiter auf Augenhöhe betrachtet, und Gemma Tom nur noch zähneknirschend hinnimmt. Eisenberg und Poots spielen dieses schleichende Entschwinden der Individualität ihrer Figuren und das Erkalten sowie Erhärten des Umgangs zwischen Tom und Gemma auf fesselnde, erschaudernde Weise – es erzeugt riesiges Unbehagen, wie diese Zwei an Vitalität verlieren und auf ihre Funktion reduziert werden.

Allein schon durch die überdeutliche, beiläufig-unheimliche Stilisierung und mysteriös-soghafte Inszenierung unterstreicht Finnegan, dass «Vivarium» nicht jedermanns Alltag abbildet. Von der überzogen-allegorischen Handlung ganz zu schweigen. Selbstredend muss es nicht bei allen Paaren so verlaufen wie hier abgebildet – wohl aber skizziert «Vivarium», wie schnell gewisse Mechanismen greifen und den Menschen als Individuum verschlingen können. Und eben dieser hier sezierte, in seiner Belanglosigkeit so verstörende Entwurf des geordneten Familienlebens dient als Abbildung dessen, wie sich das Idyll mancher zum zermürbenden Albtraum jener verzerrt, die nicht danach streben. Oder auch, was mit manchen geschieht, die sich kopflos in dieses Familienleben stürzen …


Die am stärksten treibende Kraft dahinter, wie Tom und Gemma ihre Persönlichkeit verlieren sowie ihre individuelle Antriebskraft, ist jedoch nicht ihre monotone Umgebung, das abgeschottete Leben ohne Freunde oder ihr immer gleicher Tagesablauf, sondern das bereits erwähnte Kind: Ein unerwünscht vor ihrem Haus abgelegter Junge, den sie wie ihren eigenen Spross großziehen sollen, damit sie befreit werden, und der sich als ihnen alsbald (sinnbildlich wie wortwörtlich) über den Kopf wachsende Plage erweist.

Zunächst von Senan Jennings, später von Eanna Hardwicke markerschütternd gespielt, ist der Junge arrogant, neunmalklug, stets entweder ohrenbetäubend laut oder unheilvoll leise, und selbstredend unersättlich. Er ist irritierend fremdartig oder schauerlich akkurat darin, seine Eltern zu imitieren – aber er fühlt sich nie "richtig" an, so dass die fürchterliche Frage im Raum steht, ob Tom und Gemma etwas falsch gemacht haben oder der Junge von Natur aus unverbesserlich ist.

Mutmaßlich völlig unschuldig an der Misere, so treibt er die ungewollten Eltern dennoch unentwegt zur Verzweiflung. Sei es, indem er Medien konsumiert, die sich ihnen auf verstörende Weise nicht erschließen, sich quälend lang gegen jegliche Lektion wehrt, Anstand zu lernen, oder seine Eltern durch einen abrupten, zu diesem Zeitpunkt nicht weiter erhofften Abnabelungsprozess und ihre somit verbundene Unklarheit verängstigt.

All dies mündet in ein psychedelisch-psychotisches Finale, in dem die nüchternen, konturlosen Bilder von Kameramann MacGregor verzerren, die antiseptischen Pastelltöne verdrecken und die aufdringlich-banale Musik von Kristian Eidnes Andersen (Sound-Verantwortlicher bei «Dancer in the Dark») schlagartig ins Schmerzvoll-Verlorene umkippt. Anders gesagt: Der wahre Albtraum in «Vivarium» wartet, wenn sich der zuvor gezeigte, nervenaufreibende Schrecken dem vermeintlichen Ende entgegen neigt und sich offenbart, wie wenig danach folgt.

Zurück bleibt dennoch eine nagende Frage. Die Frage danach, wozu wir das alles überhaupt machen. Und die Feststellung, dass die manch eine Person beruhigende Antwort, dass wir leben, damit wir arbeiten und einen anderen Menschen versorgen können, der später dieselbe Funktion in diesem Kreislauf übernimmt, manch andere Seele nachhaltig zu deprimieren versteht. Was denen eine beruhigende, bestimmte Aufgabe, ist jenen eine demoralisierende, Selbstverwirklichung zersetzende Ziellosigkeit. «Vivarium»: Ein Kreislauf als Irrgarten voller Sackgassen.

«Vivarium» ist ab dem 12. Juni 2020 auf DVD und Blu-ray sowie als digitaler Bezahltitel erhältlich.
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10.06.2020 17:17 Uhr Kurz-URL: qmde.de/118973
Sidney Schering

super
schade


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Toy Story Dancer in the Dark Vivarium

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
11.06.2020 09:28 Uhr 1
Als ich erstmals diesen Trailer gesehen habe, dachte ich echt, ich hätte sowas schon mal gesehen.....ein Pärchen, die aus ihrem Kaff nicht mehr rauskommen...
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