Für viele Menschen ist es der große Traum vom Familienidyll: Die Person fürs Leben finden, sich im Vorort niederlassen, ein Eigenheim kaufen, ein Kind in die Welt setzen, ein Elternteil bleibt zuhause und der andere geht einer geregelten, sicheren, keine unvorhergesehenen Aufregungen zulassenden Arbeit nach. Und sie waren harmonisch bis an ihr Lebensende …
Doch wie gestaltet sich die klassische Vorstellung des trauten Heimes für jene, die keine Schwäche für die althergebrachte Einfamilienromantik haben? Der irische Regisseur Lorcan Finnegan schafft mit «Vivarium» einen verstörend-poetischen, bewusst plakativen und prägnanten Einblick darin, wie die Vorstellung des Daseins als Vorstadtfamilie zuweilen auf jene wirkt, die dem nicht sehnsuchtsvoll entgegenfiebern:
Regisseur Finnegan und Drehbuchautor Garret Shanley erzählen von der Grundschullehrerin Gemma (Imogen Poots) und dem Hausmeister/Gärtner Tom (Jesse Eisenberg), deren Beziehung ernst genug geworden ist, dass sie spontan beschließen, aus Jux ein Haus in der akribisch gepflegten und detailgenau geplanten Bausiedlung Yonder zu besichtigen. Ihr beunruhigend-sonderbarer, steifer Makler Martin (Jonathan Aris) lässt sie für einen kurzen Augenblick allein in dem säuberlich, akkurat und unpersönlich eingerichteten Einfamilienhaus – und schon sind Gemma und Tom völlig verloren. In mehrfachem Wortsinne, denn nicht nur, dass sie sich in dieser befremdlich-nichtssagenden Umgebung völlig deplatziert fühlen – sie verlieren auch ihren Orientierungssinn. Und das ist fatal, denn urplötzlich ist Martin verschwunden, so dass das junge Paar allein ist auf weiter, verlassener, geistloser Flur …
In dem Moment, in dem Gemma und Tom Yonder betreten, wird das zuvor in gräulichen, ungeschliffenen Bildern eingefangene Geschehen geordnet, ruhig … und subtil bizarr: Der Himmel über Yonder ist in ein Babyblau gehalten, auf dem symmetrisch die immergleichen, statischen, dezent an die ikonische Tapete aus dem «Toy Story»-Vorspann erinnernden Wolken platziert sind. Hauswände sind in einem sanften, zugleich giftig-unnatürlichen Minzgrün gehalten und einfach alles in dieser Umgebung, durch die ein klinisch-gedämpfter Grundton hallt, ist schmerzlich-akkurat arrangiert, als wären Gemma und Tom in ein Wirklichkeit gewordenes, uraltes Werbeprospekt mit kühlen, pseudo-utopischen Kleinstadtvorstellungen getreten.
Und die kahlgeschlagene, freudlose Prospektwelt zeigt alsbald ihre Auswirkung auf Gemma und Tom: Einmal nicht richtig aufgepasst, da wird aus dem sich schnippisch neckenden, jungen Pärchen, das verspielt miteinander umgeht und eine gewisse Prise Ironie in seinen Gesprächen hegt, eine Vorstadtfamilie nach konservativem Vorbild: Raspelkurzer Rasen, aufgeräumter Garten, spießiger Zaun, der sie von den (nicht vorhandenen) Nachbarn abgrenzt und eine seelenlose Einrichtung, so dass das eigene Fertighaus nicht nur außen, sondern auch innen nicht von den umliegenden zu unterscheiden ist.
Obendrein verschwindet jegliches Zeitgefühl: Der Tag-Nacht-Zyklus in Yonder ist genauso undurchsichtig wie Nachbarschaft und Tagesablauf eintönig sind – Tage und Wochen verschwimmen für dieses unbeabsichtigt an die Spießigkeit verlorene Paar, was Finnegan und Cutter Tony Cranstoun auf filmischer Ebene durch einen bildlich assoziativen, inhaltliche Orientierungspunkte auflösenden Schnitt verdeutlichen. Tom und Gemma mögen zwar zunächst bis zum (fast) letzten Atem darum ringen, den Ausweg aus Yonder zu finden, dennoch sifft Yonders konservative Heile-Welt-Ödnis in ihr Inneres, ohne dass sie sich rechtzeitig dagegen wehren und ihren anfänglichen Rapport miteinander bewahren könnten.
Eben noch scherzten Tom und Gemma unverbindlich über ihre Zukunftspläne, schlagartig haben sie ein Kind. Und spätestens damit verschieben sich, ohne dass sich das Paar bewusst und selbstkritisch damit auseinandersetzen würde, in der pedantischen, gestrigen Welt der Vorstadtsiedlung Yonder ihre Rollendynamiken: Zu Beginn des Films lernen wir Gemma als engagierte, liebevolle Lehrerin kennen, während Tom die Grünanlagen ihrer Schule pflegt. Beide haben also seriöse, handfeste Berufe, bei denen wohl niemand über mangelnde, dauerhafte Perspektiven mäkeln würde. Doch es steht ebenso wenig außer Frage, dass Gemmas Tätigkeit gesellschaftlich stärker geachtet ist – Lehrkörper stehen auf der sozialen Hackordnung gemeinhin über den Hausmeistern und Gärtnern, die Schulen in Schuss halten.
Dass sich Gemma, sobald sie und Tom im sterilen Labyrinth namens Yonder gefangen sind, seufzend, doch ohne größeres Zaudern bereiterklärt, das unverhofft erhaltene Kind zu hegen, pflegen und zu erziehen, ist brillant-ökonomisches Erzählen seitens Finnegan und Shanley: Es ist geradezu intuitiv, so plausibel ist es, dass sich die fürsorgende Lehrerin für diese Aufgabe aufopfert, während ihr Lebensgefährte Tom, der schon seit jeher mit den Händen arbeitet und im Dreck wühlt, beschließt, tagtäglich vor die Tür zu gehen, um dort zu ackern und zu ackern.
Aber genauso vermeintlich selbstredend, wie sich speziell in diesem Fall Lehrerin Gemma in die Rolle der Hausfrau drängen lässt, und der handwerklich begabte Tom vollauf die Position des körperlich arbeitenden, abends erschöpft und genervt heimkehrenden Ehemanns und Arbeiters einnimmt, dient dieser Wandel als gleißender, thematischer Argumentationspunkt: Kaum verändern sich die Vorzeichen, unter denen das Protagonisten-Pärchen in «Vivarium» seinen Tätigkeiten nachgeht, verschieben sich auch die Wertigkeiten.
Als ich erstmals diesen Trailer gesehen habe, dachte ich echt, ich hätte sowas schon mal gesehen.....ein Pärchen, die aus ihrem Kaff nicht mehr rauskommen...
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
11.06.2020 09:28 Uhr 1