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«Jojo Rabbit»: Es ist keine gute Zeit, ein Nazi zu sein

Der Regisseur und Autor Taika Waititi gibt in «Jojo Rabbit» Intoleranz der Lächerlichkeit preis und weist dennoch deutlich auf die erschreckenden Folgen hasserfüllter Weltanschauungen hin.

Filmfacts «Jojo Rabbit»

  • Regie: Taika Waititi
  • Produktion: Carthew Neal, Taika Waititi, Chelsea Winstanley
  • Drehbuch: Taika Waititi, basierend auf "Caging Skies" von Christine Leunens
  • Cast: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Taika Waititi, Rebel Wilson, Stephen Merchant, Alfie Allen, Sam Rockwell, Scarlett Johansson
  • Musik: Michael Giacchino
  • Kamera: Mihai Mălaimare Jr.
  • Schnitt: Tom Eagles
  • FSK: ab 12 Jahren
  • Laufzeit: 108 Minuten
Die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus wird in der Filmkunst Jahr für Jahr in zahlreichen Werken behandelt. Doch viel zu häufig müssen sich diese Werke einen drastischen Kritikpunkt gefallen lassen: Dass sie als seicht-gefühlsduselige Dramen weder das Elend angebracht behandeln, in das die rechte Ideologie Millionen von Menschen gestürzt hat, noch die Mechanismen dieser menschenverachtenden Weltanschauung effektiv zersetzen. Filme wie «Der Junge im gestreiften Pyjama», «Der Vorleser», «Der Untergang», «Suite Française – Melodie der Liebe» und unzählige deutsche Fernsehproduktionen lassen sich bei aller Dramatik noch immer gefällig anschauen. So gefällig, dass das Publikum ein erleichtertes "Na, Gott sei es gedankt, dass das vorbei ist" murmelnd zur Chipstüte greifen und nach dem Film in aller Seelenruhe anschauen kann, wie bei «Hart aber fair» irgendein Hampel von der AfD die Würde des Menschen antastet und zudem wie selbstverständlich vorschlägt, man müsse mal aufhören, im Geschichtsunterricht über den Holocaust zu reden.

Will man nicht vollauf dabei scheitern, dieses extrem finstere, unmöglich zu verzeihende Kapitel der Weltgeschichte in Filmform zu pressen, so muss man fast schon ins Extreme übergehen. Ins extrem Desolate und Drastische, wie im kargen, hoffnungslosen Drama «Son of Saul» von László Nemes. Ins extrem Bereuende, Trauernde, Verletzliche, das Steven Spielbergs «Schindlers Liste» ausmacht. Oder ins extrem Wütende, Kompromisslose und Revisionistische, das Quentin Tarantinos «Inglourious Basterds» auslebt. Oder aber man geht ins andere Extrem und nutzt die Macht des Kinos, um die Handwerkszeuge der hasserfüllten Demagogen, der intoleranten Populisten und der verabscheuungswürdigen Rechtsextremen zu zersetzen. Also ihre Propaganda, ihre Ästhetik, ihre vereinfachte Argumentationsschiene, die dem denkfaulen Menschen schnelle, schlichte "Antworten" vor die Füße kotzt, die letztlich nur aus Fingerzeigen, Prügelknabenfinden und das Erzeugen von noch größerem Leid bestehen. Denn trifft man die Faschisten dort, verdirbt man deren Köder.

Charlie Chaplin tat dies in «Der große Diktator», indem er die Sprache der Nazis auf wütend-grummelndes Kauderwelsch reduzierte, den in NS-Propaganda stets als beeindruckend groß und mächtig dargestellten Hitler durch einen lächerlichen Zwerg ersetzte und die NS-Symbolik zum austauschbaren, allgegenwärtigen visuellen Abfall aufbauschte. Jack Kinney schlug in «Der Fuehrer's Face» in eine ähnliche Kerbe: Er ließ Nazis ein eingängiges Lied trällern, dessen oberflächlicher Stolz in sich zusammenfällt, sobald man auch nur eine Sekunde nachdenkt. Der Film ist so sehr mit Hakenkreuzen zugemüllt, dass es wenigstens für die Dauer dieses Cartoons jegliche einschüchternde Macht verliert, die es für seine Gegner haben soll. Und der ach-so-erfreuliche Dienst am Führer wird zügig als völliger, stupider Blödsinn enttarnt. Mel Brooks wiederum raubte Hitler in «Frühling für Hitler» jegliche Führerqualitäten, die ihm die NS-Propaganda andichtet und Ernst Lubitsch ätzt in «Sein oder Nichtsein» alles hinfort, was irgendjemand am ungefragten Hinterherrennen finden könnte, auf dem der Faschismus fußt.

So ähnlich verfährt Taika Waititi in «Jojo Rabbit»: Der neuseeländische Regisseur mit dem spritzigen Humor beginnt seine während des Zweiten Weltkrieges spielende Nazi-Satire damit, uns tief, tief in die Weltsicht eines Teenagers zu versetzen, der voll und ganz der Nazi-Ideologie verfallen ist. Der Vorspann zeigt daher Aufnahmen von Hitler und Menschen, die ihn bejubeln, und unterlegt sie mit dem Song "Komm, gib mir deine Hand" eines späteren, deutlich angenehmeren Massenphänomens – der Beatles.

Und die Szene, in der wir den Protagonisten des Films kennenlernen, zeigt den zehnjährigen Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), wie er nervös in seinem Zimmer steht, ängstlich, nicht akzeptiert zu werden, woraufhin ihm sein imaginärer Freund erscheint. Ein sanft säuselnder, fast schon lispelnder, bemutternd lächelnder Adolf Hitler (Taika Waititi), der Johannes einredet, er müsste nur zu sich stehen und an seinem "Heil, Hitler!" arbeiten, woraufhin sich die Beiden gegenseitig immer hektischer, lauter, energischer mit "Heil, Hitler!" anbrüllen. Und schon hat «Jojo Rabbit» seinen nächsten Schritt getätigt, die Rekrutierungswerkzeuge von Faschisten zu unterminieren. Denn wer, der meint, mit Grußworten einer vermeintlichen Herrenrasse huldigen zu müssen, fühlt sich schon dadurch bestärkt, wenn er dabei an ein aufgescheuchtes, hibbeliges Kind, einen lieb säuselnden Schnauzbartträger und alte Popmusik denkt?

Nach diesem formidablen Auftakt zieht Waititi weiter alles durch den Kakao, was einst als einzige Lösung für ein schädlich verwirrtes, einer grauenvollen Ideologie verfallendes Volk verkauft wurde: Die Hitlerjugend, die kampfwillige, von jeglicher Individualität befreite Soldaten großziehen sollte, ist hier ein Versager-Sommercamp (als sei Wes Andersons «Moonrise Kingdom» in einen Topf brauner Politsoße gefallen), in dem Knirpse leichtfertig mit Sprengkörpern hantieren und grässlich-bescheuerte Lügenmärchen über Juden erzählen. Der Bund Deutscher Mädel sieht in jungen Frauen nichts weiteres als künftige Gebärmaschinen (die Differenz zwischen Waititis Satire und der historischen Realität ist erschreckend schmal). Und der diese ganze hasserfüllte, behämmerte Weltsicht genüsslich aufsaugende Johannes stellt sich als dummer Junge heraus, der seinem friedliebenden Herzen nicht mehr folgt, weil er einfach irgendwo dazugehören will und aus mangelnden Alternativen (sowie eingangs aus mangelnder Kapazität, selber nachzudenken) halt diesen hochgefährlichen Deppen nachrennt.

Und gerade das macht «Jojo Rabbit» zu einer vortrefflichen und leider auch hochaktuellen Faschismus-Satire, laufen derzeit doch schon wieder Unmengen von Leuten intoleranten, pöbelnden, menschenfeindlichen Ansichten in die Arme. Da sie einfache Antworten bieten (Hohe Mieten? Der Ausländer war's! Unsichere Rente? Der Ausländer war's! Du findest keine Frau? Der Ausländer war's!), so tun, als sei einem die Dazugehörigkeit zu einem Elite-Club angeboren worden (Weiß und hetero? Willkommen bei den Gewinnern, nun lasst uns die Verlierer fertig machen, ehe sie auch was vom Kuchen abhaben wollen!) und die Illusion bieten, man dürfe sein kritisches Denken abstellen, denn wozu sollte man seine Mühen mit so etwas wie Reflexion verschwenden? Wem bringt es denn schon, seinen Horizont zu erweitern? Einem breiten Publikum ins Gesicht zu brüllen, wie bescheuert solche Ansichten sind und alle möglichen Propagandamittel bis zur Unfähigkeit lächerlich zu machen, ist nahezu das Beste, was sich in diesen Zeiten als Annäherung an dieses Thema bietet.



Natürlich wäre es leichtsinnig, die NS-Zeit ausschließlich der Lächerlichkeit preis zu geben, bestünde dann doch die Gefahr, dass die Frage aufkommt: "Na, gut, die Nazis waren scheiße, aber so schlimm offenbar dann auch wieder nicht, oder?" Aber Waititi lässt es gar nicht erst so weit kommen. Was in «Jojo Rabbit» damit beginnt, dass selbst die titelgebende Hauptfigur all ihrer Begeisterung für rechten Gedenkenschrott zum Trotz Ziel der Häme anderer Nazis wird, steigert sich sukzessive von diesen Luxusproblemen eines Milchbubis, der nicht ernstlich was zu befürchten hat, hin zu den wahren Schrecken dieser Ideologie. Waititi verharmlost nicht die Auswirkungen des Faschismus, sondern strickt parallel zu seiner Satire auf deren Argumentationsmittel ein mitreißendes, todtrauriges, menschliches Drama über Kummer und die Folgen, die Hass nach sich zieht. Und zwar, indem er seine Titelfigur gegen die Grenzen ihrer von Propaganda geprägten Welt rennen lässt, bis sie Risse erhält.

Und je mehr Risse die verblendete Weltsicht des "Jojo" genannten Jungen erlangt, umso galliger und widerlicher wird Waititis imaginärer Hitler. Umso trostloser wird die zunächst kunterbunte (Propaganda-)Märchenbuchwelt des Films. Umso verletzlicher wird die als quirlig-verspielte Mutter eingeführte Scarlett Johansson. Und umso liebenswert-menschlicher wird Thomasin McKenzie als Jüdin, die bei ihrer ersten Begegnung mit Jojo noch wie ein Horrorfilmmonster inszeniert die Bühne betritt. Bis zum Schluss von «Jojo Rabbit» also nicht nur die Propaganda und Ideologie im Satire-Kakao versinkt, sondern obendrein unmissverständlich klar wird, dass niemand, wirklich niemand bei klarem Verstand sich wünschen darf, dass solche Despoten jemals wieder das Sagen haben, bei all der Tragik und Zerstörung, die sie für jeden (sich selbst, ihre Anhänger und ihre Ziele) verursachen.

«Jojo Rabbit» ist ab dem 23. Januar 2020 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
21.01.2020 13:24 Uhr Kurz-URL: qmde.de/115208
Sidney Schering

super
schade


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