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«Wir sind die Welle» – Aus Alt mach Neu in (ähnlich) gut

Die neueste Netflix-Original-Produktion aus Deutschland punktet vor allem mit ihrem starken Hauptcast.

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Cast & Crew

  • Darsteller: Luise Befort, Ludwig Simon, Michelle Barthel, Daniel Friedl, Mohamed Issa u. a.
  • Ausführende Produzenten: Dennis Gansel, Peter Thorwarth und Jan Berger
  • Regie: Anca Miruna Lazarescu und Mark Monheim
  • Head-Autor: Jan Berger
  • Produktion: Rat Pack Filmproduktion und Sony Pictures Film und Fernseh Produktions GmbH
Hätte «Wir sind die Welle» einen anderen Titel und wäre das innerhalb der ersten Staffel verständlicherweise so präsente Tag, wie Graffitikünstler ihre zumeist originellen (Geheim-)Signaturen nennen, nicht derart einprägsam, würde es sicher sehr lange dauern, bis die ersten einen Vergleich zu dem Film «Die Welle» anstellen würden. Und das ist eine der größten Stärken des Formats. Denn in einer Zeit, in der die Welt der Fiktion (gefühlt) von Neuauflagen dominiert wird, ist es wohltuend, zu sehen, wenn Kreative im Prinzip nur ausgewählte Elemente, eigentlich sogar nur die Kernidee eines Stoffes nehmen und daraus etwas vollkommen Neues entwickeln.

Die bewusste Entscheidung der inhaltlich Verantwortlichen, ebendiesen Weg zu gehen, ist auch deshalb sehr begrüßenswert, weil es sich bei diesem Projekt schließlich genau genommen um ihre zweite Adaption (wobei Regisseur Dennis Gansel diesen Begriff bereits 2008 aufgrund der von ihm vorgenommenen gravierenden Änderungen als unpassend empfand) ein und desselben Werkes handelt. 1981 verfasste der US-Amerikaner Morton Rhue, der eigentlich Todd Strasser heißt, das Jugendbuch ‚The Wave‘, das wiederum auf einem veröffentlichten Bericht des Lehrers Ron Jones basiert, der tatsächlich einige Jahre zuvor mit seiner Klasse das ‚The Third Wave‘-Experiment durchgeführt hat, von dem man mittlerweile auf der ganzen Welt weiß. Insbesondere in Deutschland ist ‚Die Welle: Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging‘ seit vielen Jahren fest im Schulkanon verankert, weshalb eine weitere, in der damaligen Jetztzeit spielende Verfilmung im Prinzip nur eine Frage der Zeit war.

Kinostart war der 13. März 2008 und der Cast konnte sich (besonders aus heutiger Sicht) absolut sehen lassen: Neben den schon damals sehr bekannten Darstellern Jürgen Vogel und Christiane Paul waren nämlich auch einige Jungstars, die mittlerweile echte Publikumslieblinge sind wie Elyas M’Barek, Frederick Lau, Max Riemelt oder Tim Oliver Schultz Teil des Ensembles. Viel spannender ist es jedoch, einen Blick auf das Team hinter der Kamera zu werfen. Denn als Regisseur fungierte Dennis Gansel, der darüber hinaus noch gemeinsam mit Peter Thorwarth das Drehbuch verfasste. Auf dieses Duo wiederum geht nun auch «Wir sind die Welle» zurück. Bei der Realisierung des Netflix Originals wurden die beiden von Jan Berger unterstützt, der mit Gansel bereits bei «Wir sind die Nacht» zusammenarbeitete.

Normalerweise wären also die idealen Voraussetzungen für ein klassisches Reboot gegeben gewesen. Aber weit gefehlt: Man setzte nicht nur auf neue Gesichter, sondern veränderte nahezu alles: Neue Rollen, neue Geschichte, neue Konflikte und eine vollkommen andere Herangehensweise. Dennoch dürften nicht wenige, die sowohl die alte als auch die neue «Welle» kennen, Parallelen ausmachen: Es wird in beiden Fällen beispielsweise sehr eindringlich erzählt. Außerdem wird gekonnt gezeigt, wie Gruppendynamiken entstehen, wie viel man als Gruppe erreichen kann, jedoch auch, wie instabil Gruppen sein können.



Interessanterweise ist der Ausgangspunkt allerdings ein vollkommen anderer: Die Buch- wie auch die deutsche Filmversion (die laut Ron Jones, der Gansel und seinem Team seinerzeit beratend zur Seite stand, seinen gemachten Erfahrungen trotz der durch den Settingwechsel oder die Aktualisierung nötig gewordenen Veränderungen viel näher kommt als Rhues Novelle) stellen das schon angesprochene Experiment in den Mittelpunkt: Ist es wirklich so leicht, Menschen zu manipulieren und ihnen zu suggerieren, dass es für sie besser ist, Teil von etwas zu sein, das nach Anpassung verlangt und dem unhinterfragten Befolgen von Regeln, die eine Person aufstellt – unabhängig von den Folgen für den Einzelnen – oder ist dies – vor allem hierzulande – nach den Erfahrungen des Dritten Reiches undenkbar?

Die Serie konzentriert sich auf einige wenige Schülerinnen und Schüler, die mit gezielten Aktionen gegen jene vorgehen, die für all das in der Welt stehen, was ihnen ein Dorn im Auge ist: etwa Ausländerfeindlichkeit, Umweltverschmutzung, die Waffenindustrie oder Massentierhaltung. Die Bewegung geht zwar auch hier von einem Einzelnen (dem „Neuen“) aus, aber eben von einem aus ihrer Mitte und nicht von einem Lehrer. Deswegen wäre es auch falsch, hier von einem Experiment zu sprechen, weil es nicht darum geht, neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern um das Einstehen für die eigenen Überzeugungen und das Setzen von Zeichen. Das Problem dabei ist nur, dass man mit jedem geglückten Coup ein wenig mehr glaubt, sich noch mehr zutrauen zu können, was auch gleichzeitig bedeutet, dass die Truppe immer häufiger gegen das Gesetz verstößt.

So gesehen findet hier eigentlich doch ein Experiment statt, jedoch eines, das nur der Außenstehende als ein ebensolches erkennen kann. Denn der Zuschauer sieht, wie die „Welle" entsteht, er weiß am meisten über ihre Mitglieder, erfährt nach und nach mehr über deren Stärken und Schwächen und wird in gewisser Weise sogar ebenfalls indirekt zum Beteiligten. Schließlich weiß sie oder er sehr genau, dass Sachbeschädigung ebenso strafbar ist wie Einbruch und trotzdem dürfte die Mehrheit mit den Teenagern sympathisieren. Dies geht so weit, dass das Publikum sich selbstverständlich irgendwann die Frage stellen (lassen) muss, wie weit es gehen würde. In welcher Figur erkennt man sich selbst am ehesten und handelt es sich dann auch um diejenige, die man selbst gern wäre? Das ist ein Grund, weshalb «Wir sind die Welle» auf einer anderen Ebene ein ähnlich Sogwirkung zu entfalten vermag wie die Vorlage.

Ein weiterer sind die Darsteller: Man ist versucht, sie wegen ihres Alters noch Jungschauspieler oder Shootingstars zu nennen, damit würde man ihnen aber längst nicht mehr gerecht. Die Performances des Hauptcasts sind wirklich beeindruckend. In erster Linie sind sie allerdings ein weiteres Indiz dafür, dass die lange vorherrschenden Vorurteile deutschen Produktionen im Allgemeinen gegenüber, die zugegebenermaßen nicht immer unbegründet waren, immer schwieriger aufrechtzuerhalten sind. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass hinter der Kamera in den letzten Jahren spürbar mehr Wert auf ein möglichst natürliches Spiel gelegt wird und andererseits damit, dass eine neue Generation an Akteurinnen und Akteuren heranwächst, an die dieser Wunsch praktisch seit Beginn ihrer Karriere wieder und wieder herangetragen worden ist. Daher fällt es vielen von ihnen mittlerweile auch erstaunlich leicht, ebendiesen zu bedienen.

Auf die Darstellerinnen und Darsteller, die die Gründungsmitglieder der neuesten „Welle“ verkörpern, trifft dies in jedem Fall zu. Und weil dem so ist, kommt die Serie ungemein modern daher. Thematisch ist «Wir sind die Welle», wie bereits angedeutet, ohnehin sehr nah am Puls der Zeit und wirft Fragen auf, die viele aktuell umtreiben und wohl noch lange umtreiben werden. Dieses Quintett an unterschiedlichen Charakteren verleiht jedoch dem Dargebotenen erst die nötige Glaubhaftigkeit. Das liegt einerseits daran, wie die Rollen angelegt sind und andererseits natürlich daran, wie sie mit Leben gefüllt werden. Selten passte wohl das geflügelte Wort „Die Mischung macht’s“ so gut wie hier. Denn so sehr sich die Protagonisten auch unterscheiden, sie ergänzen sich dennoch gleichzeitig ungemein gut, und das ist stets ein Beleg dafür, dass die Caster einen tollen Job gemacht haben.

Ludwig Simon spielt Tristan, den „Neuen“, der schon an seinem ersten Tag an der neuen Schule bei seinen Mitschülern einen bleibenden Eindruck hinterlässt, und nicht anders ergeht es denjenigen, die diese Szenerie von der Couch aus verfolgen. Eine solche Figur kann ganz leicht wahnsinnig plakativ wirken: Schlabberlook, Kapuze auf, zunächst eher wortkarg und selbstverständlich ein wenig mysteriös, und zack: Fertig ist der Provokateur, der Aufmüpfige und Unangepasste. Und ja, dem ersten Anschein nach wäre Tristan, der außerdem Freigänger ist, auf diese Weise durchaus treffend beschrieben. Jedoch dienen Stereotype hier lediglich dazu, um als ebensolche entlarvt zu werden.

Die Drehbücher ermöglichen Simon genau das: Er darf laut sein, er darf aber ebenso nachdenkliche Töne anschlagen. Gelegentlich darf er sich sogar von seiner verletzlichen Seite zeigen, er darf zweifeln, einfühlsam sein, lieben, mit sich ringen und manchmal auch in Ansätzen den Bezug zur Realität verlieren. Das Entscheidende dabei: Man hat nie das Gefühl, einem Schauspieler zuzusehen, der brav seinen Text abspult und dabei darauf achtet, dass die Zuschauer möglichst jede Regieanweisung erahnen können. Vielmehr vergisst man umgekehrt eher, dass man eine fiktive Person vor sich hat, und das hat primär mit seinem facettenreichen Spiel zu tun.

Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass Ludwig Simons Eltern (Devid Striesow und Maria Simon) beide vom Fach sind. Dass dies bei Weitem nicht ausreicht, um sich nachhaltig in der Branche zu etablieren, sollte längst jedem klar sein. Ein solcher Umstand mag einem gerade im Kindesalter den Einstieg erleichtern, ab dann wird man allerdings eher besonders kritisch beäugt. Bestehen kann nur, wer Leistung erbringt, und zwar nicht nur punktuell. Simon tat dies beispielsweise in vielen Fernsehfilmen oder zuletzt in «Beat».

Erfahren Sie auf der nächsten Seite alles über die vier weiteren Mitglieder des Hauptcasts.

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31.10.2019 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/113302
Florian Kaiser

super
schade

67 %
33 %

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