Der «Totenfieber»-Regisseur verrät, weshalb Quoten einer der Gründe sind, dass er so wenig Fernsehen macht. Außerdem diskutiert er mit Quotenmeter.de über Kunstfreiheit und kindertaugliche «Tatort»-Ausgaben.
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Zur Person
Der 1966 in Münster geborene Drehbuchautor und Regisseur Titus Selge fing am Theater an und absolvierte die Filmakademie Baden-Württemberg. Nach einer langen Reihe an Auftragsarbeiten und mehreren «Tatort»- sowie «Polizeiruf 110»-Ausgaben widmete er sich dem unkonventionelleren Fernsehfilm. So verantwortete er den 2018 veröffentlichten, satirischen Film «Unterwerfung» über die Furcht vor dem Islam. Filmemacher Titus Selge zu interviewen, ist ein rares Vergnügen: Der Drehbuchautor und Regisseur spricht offen und direkt an, was ihn am Fernsehen stört – und dennoch behält er durchweg eine mitreißende Passion für seinen Job. Daher kann das Interview-Transkript nur einen Teil des Gesprächs vermitteln, in dem Selge seine Aussagen in einer freundlich-frohen, gewitzten Art vermittelt. Wir wünschen also trotz Verlust des ehrlich-amüsanten Tonfall Selges viel Spaß beim Lesen!
Ich habe gehört, Sie filmen viel lieber, als danach über die Filme zu sprechen …
Ja, das stimmt schon. Aber mein Klagen hält sich in Grenzen – ich muss ja nur ein- zweimal im Jahr solch eine Pressephase durchmachen, um einen Film zu bewerben. Dennoch ist es eine seltsame Situation, wenn Journalisten von mir wollen, dass ich meine Arbeit erkläre. Ich hoffe eigentlich immer, dass ein Film aus sich heraus verständlich ist.
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Mit Kunst hat das Fernsehen – leider – wenig zu tun.
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Titus Selge
Wobei es ja schon Künstler gibt, die am liebsten auch nur sich in der Position sehen wollen, ihre Arbeit zu interpretieren ...
Ja, aber mit Kunst hat das Fernsehen – leider – wenig zu tun. (lacht) Also, würde man einem Redakteur sagen "Ich möchte Kunst machen", dann würde einem der Auftrag sofort entzogen. (lacht) Kunst ist in diesem Medium schon fast ein Schimpfwort.
Gibt es deshalb so viele formelhafte Filme weil es so verlangt wird, oder ist es vorauseilender Gehorsam der Filmschaffenden?
Ich vermute, dass beides stimmt – jedenfalls meiner Erfahrung nach. Es wird Marktforschung betrieben, die sucht nach dem Geschmack der Mehrheit des Publikums. Und die bevorzugt es, eine Handvoll Darstellerinnen und Darstellern in einer kleinen Auswahl an Rollen mit mäßiger Variation zu sehen. Fernsehsender werden nicht wie Theater betrieben, wo ein Intendant mit einer künstlerischen Vision versucht, diese umzusetzen. Fernsehsender werden wie Behörden geführt. Steuergelder werden verwaltet und so verteilt, dass sich möglichst wenige Leute beschweren. Dadurch entsteht einerseits ein vorhersehbares Angebot mit beachtlicher Reichweite, es führt aber andererseits dazu, dass sich immer mehr Leute langweilen und zu alternativen Anbietern abwandern. Um dem entgegen zu wirken werden die sogenannten "Leuchttürme" produziert – die besonderen Filme, die belegen sollen, dass man nicht dauernd das gleiche macht.
Privatsender und Streaminganbieter buhlen auf andere Weise um Aufmerksamkeit. Aber ich habe halt zumeist für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gearbeitet und meiner Beobachtung nach passieren die besonderen Filme in diesem System eher ausnahmsweise. Weil zufällig Geld da war, das man noch ausgeben musste, weil noch ein Programmplatz gefüllt werden musste oder weil ein anderes Projekt geplatzt ist. Dann wird ein Drehbuch rausgekramt, das im Archiv vergammelte. Und das ist eine Chance für mich: Man bietet mir so etwas an, fragt mich, ob ich damit was anfangen kann – und ich mach dann mein Ding draus. (lacht) Ich habe anfangs in meiner Laufbahn ja auch das normale Programm bedient, weil ich einfach Erfahrung sammeln und Rechnungen bezahlen musste – doch dann habe ich beschlossen, nur noch das zu drehen, was mich interessiert. Seither arbeite ich viel seltener. (lacht)
Mein Beileid.
Ach, irgendwann hat es mir einfach gereicht, harmlose Familienkomödien zu drehen oder den x-ten Teil einer Reihe. Also habe ich diesen Entschluss gefasst und zum Beispiel sehr lang an «Unterwerfung» gearbeitet. Da steckt viel Mühe drin und ich war sehr erstaunt, dass der Film es überhaupt ins Fernsehen geschafft hat. Das wäre übrigens ohne die Unterstützung von Einzelkämpferinnen, die es auch im öffentlich-rechtlichen System gibt, nicht möglich gewesen. Aber seit der lief, ruft praktisch niemand mehr bei mir an. Da hat die Branche offenbar erkannt: Oh, der will Kunst machen, den können wir nicht gebrauchen. (lacht)
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Eines Tages wurde bei der ARD Degeto eine Lücke frei – und zwar für einen Neunzigminüter. So kam man auf die Idee, aus dem Kinohammer, der eine Reihe werden sollte, einen Fernsehfilm zu machen – und der Produzent hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ist schon kurios, nicht?
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Titus Selge
Und wie ist dann «Totenfieber» zustande gekommen? War das besagtes Drehbuch, das in der Ecke vergammelte, bei dem Das Erste dachte "Joah, das muss weg, rufen wir den Selge an"?
Nicht Das Erste hat mich angerufen, sondern der Produzent Clemens Schaeffer. Mein Mitstreiter aus der Zeit von «Unterwerfung» ist der Einzige, der mich noch kennt. (lacht)
Die Entstehungsgeschichte von «Totenfieber» reicht weit zurück, Ursprünglich sollte es wohl mal ein mindestens vierstündiger Kinohammer werden, in den der Autor Volker Führer alles reingepackt hat, was er bei seinen Voodoo-Recherchen ans Licht gebracht hatte. Und das wurde ein – und das meine ich nicht negativ – schwer verfilmbares Drehbuch, das er seinem Agenten gegeben hat. Und der Agent ist mit dem Produzenten unseres Films zur Schule gegangen.
Lange bevor ich dazu kam, wurde beschlossen, das Drehbuch zu einer Reihe umzubauen. Man musste den Drehort wegen der Finanzierung ändern und das klingt jetzt alles absurd, doch das ist der normale Werdegang eines Drehbuchs. Eines Tages wurde bei der ARD Degeto eine Lücke frei – und zwar für einen Neunzigminüter. So kam man auf die Idee, aus dem Kinohammer, der eine Reihe werden sollte, einen Fernsehfilm zu machen – und der Produzent hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ist schon kurios, nicht? Es gab erst die Gelegenheit eines Sendeplatzes und dann wurde ein Stoff auf diesen Sendeplatz hin adaptiert. Aber ich mag solche Herausforderungen.
Wurde bei diesen ständigen Neuentwicklungen eigentlich weiter der Autor in Kenntnis gesetzt?
Ja! Ich bin ja selbst Autor und weiß, wie das ist, wenn man rausgekickt wird. Ich hatte mal den Fall, dass eines meiner Bücher an einen anderen Autor weitergegeben, massiv verändert und verfilmt wurde – und ich wusste nichts davon. Auf einmal wurde ich zur Premiere eingeladen! (lacht) Dank Kontrakt 18 geht sowas ja zum Glück nicht mehr – diese Selbstverpflichtung deutscher Autoren besagt ja, dass man kein Drehbuch eines Anderen verändern und weiterentwickeln darf, ohne dass man dessen Einverständnis hat. Dabei sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Im Fall von «Totenfieber» war die größte Schwierigkeit tatsächlich der Umfang. Beim Fernsehen hat man erstens Laufzeiten einzuhalten und zweitens Budgetgrenzen – da kann man nicht eben mal einen Prolog in Kuala Lumpur spielen lassen und vor Ort drehen.
Das wäre eine Herausforderung. Man könnte das mit Greenscreen und CG auf dem Niveau eines SYFY-Original-Movies zusammenzimmern …
Hat Volker auch gesagt! Aber ich meinte: "Ja, kann man machen – sieht aber scheiße aus!" Und dann hatte er ein Einsehen. (lacht)
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Man ist ja oft jahrelang mit der Entwicklung manchmal mehrerer Projekte beschäftigt und bekommt nur vielleicht irgendwann einmal eine Gage.
Wenn man das auf die Zeit umrechnet, die man zwischen zwei Gagen gearbeitet hat, dann ist das nicht mehr witzig. Die meisten Filmemacher müssen daher andere Berufe nebenher verfolgen, um zu überleben.
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Titus Selge
Nun sind wir ein bisschen von einem Punkt abgekommen, der mich sehr interessieren würde: Sie meinten, nach Jahren der Standardfilme beschlossen zu haben, nur noch Projekte zu machen, die Sie interessieren. Gab es für diesen Sinneswandel einen Auslöser?
Bei Ihnen klingt das so hehr. (lacht) In Wahrheit lief es viel profaner ab. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und habe gesagt: "Ab 50 mache ich nur noch, was ich wichtig finde." Ich wollte einfach mal gucken, was passiert, wenn ich nur noch Projekte mache, die meinen Interessen entsprechen. Und was passiert ist, war: Ich habe lange Zeit nichts verdient. Es ging zwischenzeitlich wirklich hart an die Grenze dessen, was ich mit meinem Ersparten aussitzen konnte. Diese Haltung "Ich mache nur, was mich interessiert" ist ein finanzielles Risiko. Das muss man sich leisten können – oder leisten wollen.
Ich unterscheide – und bitte: ich meine mit diesen Begriffen grundsätzlich immer Frauen und Männer – zwischen "Regisseuren", die für Produzenten im Auftrag Filme realisieren und "Filmemachern". Das ist ein anderer Beruf – das Verwirklichen von Filmen ohne Auftrag von außen. Und leider ist das ein Beruf, von dem man in Deutschland nicht leben kann – im Grunde können sich den fast ausschließlich Kinder reicher Familien leisten. Oder Leute, die andere Gründe haben, weshalb sie kein Geld verdienen müssen. Oder aber sie arbeiten nicht ausschließlich als Filmemacher. Denn man ist ja oft jahrelang mit der Entwicklung manchmal mehrerer Projekte beschäftigt und bekommt nur vielleicht irgendwann einmal eine Gage.
Wenn man das auf die Zeit umrechnet, die man zwischen zwei Gagen gearbeitet hat, dann ist das nicht mehr witzig. Die meisten Filmemacher müssen daher andere Berufe nebenher verfolgen, um zu überleben. Sie drehen Werbung, oder sie unterrichten, oder … keine Ahnung, was sie alles machen. Jedenfalls: Vom Filmemachen allein kann man in Deutschland keine Familie ernähren.
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Bei einem «Tatort» den ich gemacht habe, hat die zuständige Redakteurin bei der Abnahme gesagt: "Das ist zu hart. Das ist nicht kindertauglich. Das musst du verändern." Also musste ich bestimmte Szenen entschärfen, weil die Redakteurin das so wollte.
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Titus Selge
Was das Durchschnittspublikum kaum glauben dürfte – schließlich wird sich gerne Mal über die «Tatort»-Kosten oder über ähnliches gewundert.
Ich habe ja selber auch schon ein paar «Tatort»-Folgen gemacht, und so ehrlich muss man sein: Das hat mit Filmemachen nicht viel zu tun. Das ist ein Auftragsformat, das seit über 40 Jahren wahnsinnig erfolgreich läuft und ein Stammpublikum erreicht. Es ist aber auch ein Format, wo man manche Dinge einfach nicht machen darf. Und so lange die kreative Freiheit so eingeschränkt ist, ist das halt kein Filmemachen, sondern eine spezifische Ausübung des Regieberufs nach den Regeln eines bestimmten Auftrags. Zum Beispiel: Bei einem «Tatort» den ich gemacht habe, hat die zuständige Redakteurin bei der Abnahme gesagt: "Das ist zu hart. Das ist nicht kindertauglich. Das musst du verändern." Also musste ich bestimmte Szenen entschärfen, weil die Redakteurin das so wollte.
Moment – der «Tatort» war nicht kindertauglich genug?
Ja. Die Redakteurin meinte zu mir, dass die Marktforschung ergeben hat, dass immer mehr Kinder vor dem «Tatort» sitzen, und dem müsse man Rechnung tragen. Das war natürlich nur die Ansicht
einer Redakteurin die für
einen Sender verantwortlich ist. Ich weiß, dass man sich zum Beispiel beim Hessischen Rundfunk viel mehr traut. Da wäre dieser «Tatort» vermutlich als pillepalle durchgegangen. Aber es zeigt: Einen «Tatort» zu drehen, ist keine künstlerische Situation, sondern eine Auftragssituation – das weiß man vorher und damit kann man natürlich umgehen, dennoch ist ein freies Erzählen in diesem System nicht möglich – und dabei zählt der «Tatort» zu den Formaten in Deutschland, wo man sicher die größten Freiheiten hat. Wie viele genau, hängt von dem Menschen ab, der am Ende seinen Haken drunter machen und im Zweifel für eine schlechte Quote den Kopf hinhalten muss.
Es gibt 9 Kommentare zum Artikel
09.10.2019 12:12 Uhr 7
09.10.2019 16:35 Uhr 8
09.10.2019 17:19 Uhr 9
Das war ja auch nur ein aus einem konkreten Grund genanntes Beispiel.