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Tilo Jung: ,Interessante Interviews brauchen schlicht und einfach Zeit'

Im großen Interview mit Quotenmeter.de spricht Tilo Jung über Politikverdrossenheit in den Medien, Highlights aus seiner Karriere bei "Jung und Naiv" und Interviews mit AfD-Politikern. Warum sich Angela Merkel seinen naiven Fragen noch nicht gestellt hat und ob er seine Zukunft im TV sieht, lesen Sie hier.

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Angela Merkel gibt generell wenige Interviews. Wenn es in ihr Kalkül passt und sie darauf Lust hat, kann sie sich die Zeitung, die Sendung oder das Onlineformat praktisch aussuchen. Jede Redaktion hofft auf eines der seltenen Interviews mit der Kanzlerin im Jahr. Ein offenes Format wie unseres wird als heikel angesehen, bei uns wird nicht geschnitten - und man kann Aussagen nachträglich nicht ändern wie etwa bei einem "Spiegel"-Interview, das noch redigiert wird.
Tilo Jung
Gibt es Gespräche aus den vergangenen Jahren, die Dir - positiv wie negativ - in besonderer Erinnerung geblieben sind?
Ich habe jetzt schon über 400 Gespräche geführt. Über die schlechten rede ich nicht, denn von denen gibt es aus meiner Sicht auch nur wenige. Einige hätte ich mir sparen können, andere kamen zu früh. Das erste Karriere-Highlight war für mich Peer Steinbrück, den ich im ersten Jahr unserer Existenz interviewte. Damals waren wir noch bei Joiz, Steinbrück war quasi meine erste TV-Sendung, ich hatte den SPD-Kanzlerkandidaten vor mir und wir führten ein geiles Gespräch. Damals arbeiteten wir noch mit kleinen Kameras, teilweise mit GoPros. Als es los gehen sollte, fragte mich Peer Steinbrück: ,Wann bauen Sie auf? Wo sind denn hier die Kameras?‘. Dann erklärten wir ihm, dass alles längst aufgebaut war. Er meinte, dass er in die GoPros ja gar nicht reinpasse. Vielleicht bezog er das aber auch nur auf sein Ego. Wenn die Politiker nicht riesengroße Kameras sehen, nehmen sie dich oftmals nicht ernst. Dann denken sie, das hier ist Studentenfernsehen und reden freier. Diesen Vorteil habe ich mittlerweile nicht mehr so, weil uns viele inzwischen kennen.

Und abseits von Peer Steinbrück?
Auf unsere Folgen im Ausland bin ich immer wieder stolz. Mir haben zum Beispiel die Folgen in Afghanistan sehr viel Spaß gemacht, wir waren unter anderem bei der Bundeswehr und haben mit Leuten vor Ort gesprochen. Wir waren dort im Büro des Präsidenten, wo wir rumgeführt wurden, der hat erstaunlich viele Berater mit eigenen biografischen Beziehungen zu Deutschland. Ein weiteres persönliches Highlight für mich war das Gespräch mit dem Philosophen Noam Chomsky - damit habe ich mir einen kleinen Traum erfüllt und wir hatten beide auch viel Spaß an dem Gespräch.

Woran liegt es, dass ihr Angela Merkel bis heute nicht vor Eure Kamera bekommen habt?
Angela Merkel gibt generell wenige Interviews. Wenn es in ihr Kalkül passt und sie darauf Lust hat, kann sie sich die Zeitung, die Sendung oder das Onlineformat praktisch aussuchen. Jede Redaktion hofft auf eines der seltenen Interviews mit der Kanzlerin im Jahr. Ein offenes Format wie unseres wird als heikel angesehen, bei uns wird nicht geschnitten - und man kann Aussagen nachträglich nicht ändern wie etwa bei einem Spiegel-Interview, das noch redigiert wird. Vielleicht würde sie auch das Duzen stören, aber das ist, glaub ich, nicht der Knackpunkt. Politisch bin ich nicht der größte Fan von GroKo-Politik und habe einige Themen angesammelt, die ihr unangenehm sein würden. Auf der anderen Seite gebe ich die Hoffnung nicht auf. Denn eines muss man ihr lassen: Sie kann das und ich glaube, das wäre auch ein spannendes Gespräch.

Wir sind auf die Spenden unserer Zuschauer angewiesen. Das ist uns wichtig, weil wir dadurch nicht kommerziell sind und so die Freiheit haben, nicht nur Themen zu beackern, die hohe Klicks und damit Geld generieren. Wir können machen, was wir wollen und zwar mit Leuten und Themen, bei denen ich unter kommerziellen Gesichtspunkten ansonsten von vorn herein befürchten müsste, das könnte jetzt vielleicht gar keinen interessieren.
Tilo Jung
Kritik an den Medien üben immer wieder Vertreter der AfD. Du hast schon Interviews mit Vertretern der Partei, unter anderem Alexander Gauland und Frauke Petry, geführt. Was für Feedback hast Du von ihnen dazu bekommen?
Gar nichts. Von Alexander Gauland nichts. Im Gespräch selbst hat er mich eine Stunde lang nicht angeguckt, das ist mir sehr aufgefallen. Er schien auf den ganzen Kram eigentlich keine Lust zu haben, aber wollte es wegen Wahlkampf machen. Das Gespräch mit der damaligen AfD-Parteivorsitzenden Frauke Petry fand ich sehr gut gelungen. Ich hatte mit ihr über alles außer Flüchtlinge, Muslime und Einwanderung gesprochen. Zum Beispiel über ihre Sicht auf die Medien: sie fand den öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheiße und mochte keine Gebühren zahlen. Zwei Minuten später erklärte sie dann, dass sie im Fernsehen aber gerne die ZDF-Dokus schaue. Als Toxikolin hatte sie von Drogen keine Ahnung. An den menschengemachten Klimawandel glaubte sie nicht.

Bei YouTube kann sich jeder kostenlos Eure Videos anschauen. Wie finanziert Ihr Euch?
Wir sind auf die Spenden unserer Zuschauer angewiesen. Das ist uns wichtig, weil wir dadurch nicht kommerziell sind und so die Freiheit haben, nicht nur Themen zu beackern, die hohe Klicks und damit Geld generieren. Wir können machen, was wir wollen und zwar mit Leuten und Themen, bei denen ich unter kommerziellen Gesichtspunkten ansonsten von vorn herein befürchten müsste, das könnte jetzt vielleicht gar keinen interessieren. Meine Aufgabe ist nicht, zu schauen, was das Publikum will und ihm das zu geben. Meine Aufgabe ist, zu zeigen, was uns interessiert, was wir wichtig finden und was Euch interessieren sollte oder Euch vielleicht demnächst interessieren wird. Das ist unser Angebot. Darum versuche ich, meine Interviews auch immer zeitlos zu führen, so dass man sie sich auch noch in einigen Monaten oder einem Jahr schauen oder hören kann. Tagesaktuelle Politik spielt in ihnen kaum eine Rolle.

Bei ZDFneo erhielt Deine pilotierte Sendung «Richtig & Wichtig» keine Fortsetzung spendiert. Wo siehst Du Deine Zukunft mittel- bis langfristig: Im Netz oder hoffst Du doch auf den Sprung ins Fernsehen?
Ich muss nicht mehr ins Fernsehen, wir haben damals ja auch unsere Preise & Nominierungen bekommen. Wir haben den Zenit also schon längst überschritten (schmunzelt).

Das sind aber keine rosigen Aussichten für die Zukunft! (lacht)
Nee, ich würde natürlich, wenn sich die Gelegenheit bietet. Es ist ja nicht so, dass ich keine Chance hätte, ins TV zu kommen. So alle zwei Monate wird mir irgendeine Sendung vorgeschlagen von verschiedenen Seiten, die was mit mir machen wollen. Das wären aber Sendungen, in denen ich lediglich das Gesicht wäre - der Moderator, eine Sprechpuppe. Mein eigenes Team könnte ich auch nicht mitbringen. Darauf habe ich keine Lust. Ich bin jung und unabhängig genug, um zu solchen Projekten Nein sagen zu können. Nach meiner Überzeugung sollte ich nur das machen, worauf ich Lust habe, worüber ich Kontrolle habe, wofür ich mitverantwortlich bin. Anders kennt das unser Publikum auch nicht - und bei «Richtig & Wichtig» war das eben so der Fall. Das hat mir sehr gut gefallen.

Welche Vorteile könnte ein passende TV-Format für dich haben?
Ich bekomme bei YouTube die junge Generation, aber kaum die ältere. Wenn man bedenkt, dass wir in Deutschland eine Population haben, in der es dreimal mehr ältere Wähler gibt als junge, dann habe ich als politischer Journalist natürlich auch das Interesse, diese älteren Wähler zu erreichen. Die sind letztlich wahlentscheidend. Da müssen dann aber halt die Rahmenbedingungen stimmen.

Tilo, vielen Dank für Deine Zeit und das spannende Gespräch.
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03.05.2019 12:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/109047
David Grzeschik

super
schade

94 %
6 %

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Richtig & Wichtig

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