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Von Kokosöl und Protein-Shakes: YouTube im Gesundheitswahn

Gesunde Ernährung und Fitness als Ersatzreligion: Auf YouTube werden Bodybuilder zu Gurus und wissenschaftliche Vorträge über Kokosöl zum viralen Hit. Über eines der streitbarsten Social-Media-Themen unserer Zeit…

YouTube

  • Angebot: Videoportal
  • Online seit: 14. Februar 2005
  • Eigentümer: Alphabet Inc. (Google)
  • Urheber: Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim
  • Sprachen: Deutsch und 88 weitere
  • Aktive Nutzer: Über 1,8 Milliarden pro Monat
  • pro Minute werden 400 Stunden neuer Content hochgeladen
  • zweitpopulärste Seite im Internet (laut Alexa.com)
Wenn Menschen aus der Wissenschaft sprechen, dann hört man ihnen gern zu. Experten sind sie ja auf ihrem Gebiet, und ihre Aussagen und Meinungen erwecken den Anschein der Unverrückbarkeit, des Absoluten. Umso mehr, wenn sie vehement und voller Überzeugung von ihrer Sache sprechen.

So geschehen im Sommer 2018, Tatort: ein Hörsaal der Uni Freiburg. Professorin Karin Michels spricht in einer Vorlesung über „Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer“, das Video geht bei YouTube viral. Unter anderem bekräftigt Michels, Kokosöl sei Gift, schlimmer als Schweineschmalz wegen der hohen Menge an gesättigten Fettsäuren. Dabei wird das Produkt von vielen Food- und Fitness-Influencern vor allem im Internet als Trend-Lebensmittel gefeiert. Das Video von Michels Vortrag wurde über 1,3 Millionen Mal aufgerufen, unzählige der genannten Influencer folgten mit ihren eigenen Statements zum kontroversen Kokosöl.

Gesund oder Killer? Nach der riesigen Diskussion im August 2018 war kein Laie schlauer als vorher, höchstens noch verunsicherter. Das hat wohl auch Michels gemerkt, ihr Vortrag ist mittlerweile auf YouTube nicht mehr verfügbar. Stattdessen eine Aussage: „Der Satz ‚Kokosöl ist das reine Gift‘ ist pointiert und zugespitzt. Frau Professor Michels‘ Absicht war nicht, Menschen zu verunsichern, sondern zu informieren. Für die unglückliche Wortwahl möchte sie sich an dieser Stelle entschuldigen.“

Professorin gegen YouTuber – die Debatte zeigt zumindest eines auf: Gesunde Ernährung ist zu einem kontroversen Thema für die breite Gesellschaft geworden. Und in kaum einem anderen Feld ist es so schwer, verlässliche Aussagen über gesund oder ungesund zu treffen – unter anderem, da die Wirkung bestimmter Lebensmittel im menschlichen Körper nur sehr schwer, und mit zahlreichen Auflagen, wissenschaftlich analysierbar ist. Dies führt aber auch dazu, dass es für jede Meinung eine Gegenmeinung gibt. Viele Menschen treiben ein schmutziges Geschäft mit dem Thema. Wer Kokosöl für ungesund hält, findet dazu zahlreiche Artikel im Netz und YouTube-Videos, die seine Meinung bestätigen. Genauso der, der Kokosöl für gesund hält.

Gesunde Ernährung und Fitness sind für viele eine Ersatzreligion. Soziale Medien haben an dieser Entwicklung einen großen Anteil, leben doch Influencer auf YouTube oder Instagram mit schönen Bildern und Videos vor, wie man aussehen könnte, wenn man doch nur wollte. Die Stars der Szene sind Vermarktungs-Experten, sie haben ihre eigenen Fitnessprogramme und Ernährungspläne. Oft arbeiten sie mit Foodshops zusammen und bewerben Trendprodukte. Dies führt zu Hypes wie den um Kokosöl oder auch sogenannte Superfoods wie Quinoa, Chia-Samen oder Acai-Beeren. Wenn diese Produkte wie von Professorin Michels kritisiert werden, ist das natürlich schlecht fürs Geschäft.

Fitness-Trend bei YouTube: Die Stars als Motivatoren


Einer der größten Social-Media-Stars der deutschen Fitness-Szene bei YouTube ist Karl Ess. Rund 400.000 Menschen haben seine Videos zu gesunder Ernährung und Fitness abonniert, Ess vertreibt als Unternehmer unter anderem Säfte und ein Buch über vegane Ernährung. Viele seiner Videos drehen sich um letzteres Thema, beispielsweise in einem Einkauf bei Edeka, wo er seinen Zuschauern gesunde Lebensmittel empfiehlt. Kontroverse Meinungen inklusive, zum Beispiel über Mineralwasser. Viele Influencer wie Karl Ess treten überzeugend auf, ihr Körper und Aussehen vermitteln dem Zuschauer, dass das, was sie tun und essen, ja richtig sein muss. Ähnlich wie bei Professorin Michels erwecken ihre Meinungen den Anschein des Unangreifbaren und Absoluten – nur dass bei den Influencern der tolle Körper als Argument herhält, bei Michels ihre wissenschaftliche Ausbildung.

In beiden Fällen ist es wichtig, kritisch zu bleiben, wie Gesundheitsprofessor Ingo Froböse im Interview mit dem Handelsblatt zusammenfasst: „Es gibt viele Versprechungen im Internet. Der Gesundheitsmarkt lässt leider Tür und Tor offen.“ Er rate daher: „Nie auf einzelne Personen hereinfallen, die sagen: Ich habe das so gemacht und deshalb muss es richtig sein.“ Unter anderem kritisiert der Professor das Trainingsprogramm von YouTube-Influencerin Sophia Thiel, die 900.000 Abonnenten auf YouTube und 1,3 Millionen Follower auf Instagram hat. „Trainingsprogramme wie jenes von Sophia Thiel erfüllen bestimmte wissenschaftliche Rahmenbedingungen überhaupt nicht“, sagt Froböse. „Sie haben keine individualisierte Planung und keine Systematisierung, es sind keine leistungsabhängigen Pausen berücksichtigt, und es fehlen Empfehlungen zur Dosierung.“

Dennoch erkennt auch Froböse an, dass diese Internet-Trainingsprogramme für einige Menschen funktionieren können – denn sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und man darf nicht verkennen, dass Fitness-Stars eine große Motivation bei ihren Fans hervorrufen können, eine vielleicht größere als der Fitnesstrainer um die Ecke oder gar ein Professor, der dröge Vorträge referiert. Die Influencer wissen, dass der Weg zu einem (vermeintlich) gesunden Leben nicht nur über Selbstdisziplin geht, sondern vor allem über Selbstmotivation. Alle Programme, Pläne und Tipps können Anreize sein für den Weg zum „besseren“ Ich – aber sie können niemals ersetzen, dass der gesündeste Weg der ist, den man aus eigener Motivation und kritisch gegenüber anderen Meinungen eingeschlagen hat. Im Zweifelsfall ohne Kokosöl.
13.09.2018 10:27 Uhr Kurz-URL: qmde.de/103738
Jan Schlüter

super
schade


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