Moderne ambitionierte Serien nehmen sich lange Zeit, bis sie inhaltlich richtig loslegen. Das funktioniert nicht immer. «Lodge 49» ist dafür ein neues Paradebeispiel.
Cast & Crew
Schöpfer: Jim Gavin
Darsteller: Wyatt Russell, Brent Jennings, Sonya Cassidy, Linda Emond, David Pasquesi, Eric Allan Kramer u.v.m.
Executive Producer: Jim Gavin und Peter OckoAn vielen hochwertig produzierten und erzählten horizontalen Serien der letzten Jahre wird oft ein Aspekt kritisiert: Der Umstand, dass sie sich als televisionäre Romane mit opulentem Figurenpersonal und langer Laufzeit umfangreichen Milieustudien hingeben, teilweise über viele Staffeln lang, führe zwangsläufig dazu, dass sie an narrativer Prägnanz einbüßen. Überspitzt gesagt, aber im Kern nicht völlig unzutreffend, vergehen mittlerweile viele Pilotepisoden mit Überlänge, ohne dass an ihrem Schluss überhaupt klar wäre, worum es in der Serie inhaltlich wie thematisch überhaupt gehen wird.
Ein Paradebeispiel für dieses Phänomen dürfte die neue AMC-Serie «Lodge 49» sein. Vorgestellt werden uns zunächst zwei Charaktere samt ihrem jeweiligen Umfeld und der jeweiligen Bredouille, die ihr Leben bestimmt: Zunächst Sean Dudley (Wyatt Russell), ein junger, hochgewachsener, bärtiger Mann, der mit offenbar sehr viel Freizeit in Südkalifornien vor sich hin dödelt. Er hat keinen Job und strebt auch erst mal keinen an. Eine schmerzhafte Verletzung am Bein setzt ihm nicht nur körperlich zu. Mit seinem uralten, auseinanderfallenden Auto fährt er hin und wieder zu einem kleinen Haus in einem Vorort, von dem ihn die Eigentümer dann wutschnaubend vertreiben. Ständig unternimmt er katastrophal zum Scheitern verurteilte Versuche, von einem phlegmatischen Pfandleiher eine goldene Uhr wiederzubekommen. Am liebsten verbringt er seine Tage jedoch im Donutshop einer Freundin, wo er davon philosophiert, dass das Leben mehr bieten muss als den grauen, tristen geschäftigen Alltag der meisten Menschen, auch wenn seine eigene Lebensführung vielleicht der bitterste Gegenbeweis ist.
Doch Dudley ist – trotz allem – ein Optimist, und bald ergibt sich ihm ein neuer Anlass, um Hoffnung zu schöpfen: Am Strand findet er einen goldenen Ring, den er stolzgeschwellt seinem alten Antagonisten, dem Pfandleiher, präsentiert. Der wiegelt ab: Am Ring finde sich keinerlei echtes Gold, und der Geheimbund, der ihn an seine Mitglieder emittiert, habe ganz unspektakulär seinen Sitz um die Ecke, hier im sonnigen Südkalifornien. Dudley fährt hin und will Mitglied werden.
Dort trifft er auf Ernie Fontaine (Brent Jennings), einen Mann im fortgeschrittenen Alter und ein hohes Tier in dieser obskuren Gesellschaft, nur eine Stufe unter deren geistigem Führer, einem kauzigen, etwas vulgären alten Mann, der in regelmäßigen Abständen von Herzinfarkten und Schlaganfällen heimgesucht wird, vor allem, wenn er mit Ernie Golf spielt. Ernies exponierte Stellung in der titelgebenden Loge steht in einer gewissen Diskrepanz zu seinem Leben in der Zivilgesellschaft, wo er in der unteren Mittelschicht vor sich hinklempnert und in Geldprobleme geschliddert ist. Mitglied werden könne man in diesem betont traditionsreichen und mystischen, dabei aber seltsam alltäglichen Geheimbund relativ einfach, teilt Ernie dem eifrig um Mitgliedschaft werbenden Dudley mit, und erfindet dabei gleich noch eine Aufnahmegebühr von zweitausend Dollar, deren Veruntreuung Ernie zumindest von seinen lästigsten Schulden befreien würde.
Am Ende des Piloten, nachdem in 50 Minuten eingehend, aber nicht frei von inhaltlichen Wiederholungen die grundsätzliche Lebenssituation von Ernie und Dudley betrachtet wurde, trägt zumindest der Jüngere der beiden, der arbeitslose Dudley, seine traurige Biographie vor und veranschaulicht die Hintergründe seiner aktuellen Lebensmisere: Vor einem Jahr sei er zu einem Surftrip nach Nicaragua aufgebrochen und dort von einer Schlange gebissen worden, woraus die unangenehme Wunde an seinem Bein herrührt. Wieder zu Hause in den Staaten erfuhr er prompt, dass sein Vater den kleinen Familienbetrieb in den Ruin gemanagt hat. Wenig später ertrank er im Ozean. Das Haus der Familie wurde zwangsversteigert – daher auch Dudleys immenser Groll auf die neuen Eigentümer, die das Objekt im Versteigerungsverfahren für einen Spottpreis erworben hatten – während seine Schwester auf einem fast sechsstelligen Schuldenberg sitzt, den sie mit einem abstoßenden Job als Kellnerin in einem desillusionierenden Irish Pub abzutragen versucht.
Zumindest bei Sean Dudley weiß man am Ende der ersten Folge von «Lodge 49» also, woran man ist. Für fünfzig Minuten Laufzeit ist das jedoch im Kern herzlich wenig. Die weiteren Folgen, in denen das dramaturgische Spektrum um die sonderbaren Vorgänge in diesem sonderbaren Geheimbund erweitert wird, legen derweil wenig an Erzähltempo zu.
Die Entschleunigung, die ambitionierte horizontale Serien in den vergangenen Jahren erfahren haben, ist im Allgemeinen eine positive Entwicklung. Das dürfte zumindest unter Kritikern konsensfähig sein: Gerade David Simons Großwerke – «The Wire» und «The Deuce» sind besonders prägnante Beispiele – gelingt durch diese Entschleunigung eine eingehende, hochinteressante Milieubetrachtung, der Entwurf des Panoptikums eines bestimmten Ortes, einer bestimmten sozialen Gruppierung, eines bestimmten Zeitabschnitts, eines bestimmten gesellschaftlichen Vorgangs, der nur in dieser opulenten, vielleicht ausladenden Breite angemessen erzählt werden kann.
«Better Call Saul» ist nicht zuletzt wegen dieser Entschleunigung in seiner dritten Staffel das einnehmende Psychogramm der Figur Chuck McGill gelungen: Dieses erzählerische Phänomen funktioniert also nicht nur mit einer gesellschaftlich-politischen, sondern auch mit einer psychologischen Ambition, mit einer besonderen Nähe zu einer Figur im Kleinen anstatt zu einem ganzen Milieu im Großen.
Doch auch wenn man «Lodge 49» nicht absprechen will, im Kern eine erzählenswerte Geschichte vorzustellen, eine Allegorie auf das brandaktuelle Trauma der amerikanischen Mittelschicht und eine Erzählung über den Verlust von Heimat und Vergangenheit, bleibt diese Geschichte doch zu unstrukturiert und letzten Endes fahrig, um im hier gewählten überlangen zeitlichen Umfang zu funktionieren. Für eine Serie über ein so schräges Sujet und mit bemüht sonderbar angelegten Charakteren wirkt sie seltsam generisch, alltäglich und trotz aller Andeutungen an tiefergehende Themen doch unbefriedigend nichtssagend.
Da ist es nur folgerichtig, wenn die interessanteste, spannendste Figur des Ensembles gleichzeitig die am wenigsten schräge ist: Dudleys Schwester Liz (Sonya Cassidy), die stoisch, pflichtbewusst, psychisch angeschlagen, aber nicht hoffnungslos in einem weit unter ihren intellektuellen Möglichkeiten liegenden Job daran arbeitet, dass sie der immense Schuldenberg, in den sie ihr Vater hinterlistig gedrängt hatte, nicht auf die Straße befördert. Das ist dann auch die griffigste Allegorie auf das heutige Amerika: Die Alten hinterlassen den Jungen eine schlechtere Welt als die, in der sie selbst leben durften, und lassen sie unter unmöglichen Bedingungen dann die Scherben aufsammeln. Für dieses einnehmende, scharfsinnige Porträt lohnt sich diese Serie. Leider bleibt es in all dem vorgeschobenen innovativen Bohei jedoch nur ein Randaspekt.
«The Lodge 49» ist seit Dienstag, den 7. August 2018, bei Amazon Prime Video abrufbar.
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