Mit «Black Mirror», «Fargo» und anderen Pionieren sind abgeschlossene Seriengeschichten zum Hit geworden. In den nächsten Jahren rollt die große Anthologie-Welle auf uns zu…
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Anthologie-Serien
- abgeschlossene Geschichten mit wechselndem Cast und Charakteren als Konzept
- episodische Anthologie: Die Geschichte erstreckt sich über eine Episode
- Staffel-Anthologie: Die Geschichte erstreckt sich über eine Staffel
Klar, es gab sie auch schon vor vielen Jahrzehnten, die Anthologie-Serien: Abgeschlossene Geschichten, auserzählt nach einer Folge oder einer Staffel. Klassiker wie «The Twilight Zone», das «Four Star Playhouse», «Alfred Hitchcock presents» oder «Tales from the Crypt» prägten vor vielen Jahren die US-Fernsehnation. Unzählige Beispiele gibt der Wikipedia-Artikel über Anthologie-Serien her. Er erzählt auch, dass das Genre seine erste Hochphase in den 1950er und 60er Jahren erlebte, mit extrem vielen – auch kurzlebigen – Vertretern.
Mit dem immer größeren Angebot an Sendern und dem Wettbewerbsdruck gerieten die Anthologien außer Mode: Zu riskant und unwirtschaftlich wurde es, immer neue Geschichten mit immer neuen Charakteren auf die Zuschauer loszulassen. Als sicherer und logischer galt es nun, Marken zu schaffen und Charaktere, die das Publikum an sich binden. Der Cliffhanger, ein in episodischen Anthologien unmögliches Stilmittel, ist prägend vor allem für die serielle Erzählweise der 90er Jahre. Die erfolgreichsten Shows der 90er Jahre verstanden diese Erzählweise und die vereinnahmende Art der Zuschauerbindung perfekt, darunter «Akte X», «Beverly Hills, 90210» oder «Emergency Room». Auch dort gab es abgeschlossene und episodische Storylines, aber immer nur im Rahmen eines halbwegs stabilen Casts und eines übergeordneten Handlungsfadens. Der Comedy-Boom der 90er Jahre ist ebenfalls auf die starken Figurenzeichnungen zurückzuführen: Seinfeld und seine Crew, Frasier und die «Friends»-Clique wurden zu Fernsehphänomenen.
Die Anthologie hatte gegenüber diesen Erzählkonzepten Nachteile, die im neuen digitalen Serien-Zeitalter nicht mehr schwer wiegen. Inhaltliche Qualität und Kreativität ist durch die Streamer aufgewertet worden. Netflix und Co. müssen nicht auf wöchentliche Zuschauerbindung, Cliffhanger oder Charaktere produzieren, mit denen sich das Publikum identifizieren kann. Eine Staffel der episodischen Anthologie «Black Mirror» wird an einem Stück veröffentlicht – und hat dieselben Möglichkeiten und Voraussetzungen, diese zu bewerben, wie klassischere Serien («Stranger Things»). Die ständige Verfügbarkeit und ein gewisses Sleeper-Hit-Potenzial spielen dem Anthologie-Genre in die Karten.
Ein entscheidender Faktor ist zudem die niedrige Einstiegsschwelle: Anthologien versprechen definitiv abgeschlossene Geschichten, entweder nach einer Folge oder einer Staffel. Dies kann ein großer Vorteil sein in einem Seriengeschäft, das hochkomplexe und lange Dramen in den 2000ern zur neuen Blaupause gemacht hatte – «Mad Men», «Breaking Bad» und den «Sopranos» sei Dank. Doch auch seitdem haben sich Gesellschaft und Entertainment-Konsum gewandelt: Fragmentierung, Second Screen, Reizüberflutung durch Smartphones und Social Media – vielleicht will oder kann mancher Zuschauer sich nicht mehr auf große, mehrjährige komplexe Seriengeschichten einlassen. Die Anthologie bietet dagegen permanent andere Reize durch neue Inhalte und Charaktere, damit auch neuen Diskussionsstoff für die Socials – und die Gewissheit, dass man nicht ein Jahr lang die Entwicklungen der vergangenen Staffel im Kopf behalten muss.
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