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Moskau: Hart, freundlich, unterschiedlich und doch ähnlich

Dreh- und Angelpunkt der medialen Berichterstattung: Die Metropole Moskau boomt dieser Tage. Am Sonntag spielt die deutsche Nationalmannschaft dort ihr erstes Gruppenspiel der WM. Felix Wesseler, bei der deutschen Produktionsfirma filmpool auch für Ausländsverkäufe zuständig, kennt den russischen Fernsehmarkt und Moskau gut. Mit uns sprach er über Gastfreundschaft, extremere Fallhöhen und Probleme nach der russischen Annexion der Krim.

Moskau, Heimat für über zwölf Millionen Russen – und wohl auch bei den Deutschen wieder mehr im Trend. 2017, so besagten es Schätzungen im vergangenen Jahr, seien wohl rund 500.000 Deutsche nach Russland gereist, um Urlaub zu machen. Im Vergleich zu den klassischen Ferienzielen der Bürger der Bundesrepublik, etwa den Kanaren, ist das relativ wenig. Erst im März besagte eine Studie, dass jeder vierte Euro, den Deutsche für Urlaub ausgeben, auf den Kanaren landet. Dieser Tage sind die Blicke nun besonders auf Russland und dessen Hotspot Moskau gerichtet. Seit Donnerstag läuft die Fußball-Weltmeisterschaft im Reich von Putin, Moskau ist dabei nicht nur die Stadt, in der das internationale Medienzentrum liegt, sondern auch der Austragungsort des ersten deutschen Gruppenspiels gegen Mexiko (Sonntag, 17 Uhr deutscher Zeit). Die deutsche Nationalmannschaft wohnt das komplette Turnier über einige Kilometer außerhalb von Moskau.

Felix Wesseler, Director of Operations bei filmpool und u.a. für den internationalen Vertrieb von Formaten und Konzepten der Kölner Produktionsfirma verantwortlich, kennt Osteuropa bestens. Seit Jahren ist filmpool in diesen Märkten sehr aktiv. «Verklag‘ mich doch!», «Verdachtsfälle», «Familien im Brennpunkt» und sogar eine lokale Variante von «Berlin – Tag & Nacht» hat filmpool nach Russland verkauft. „Ich habe nicht viele enge Freunde in der Medienszene. In Russland habe ich solche gefunden“, schwärmt Wesseler von der großen Gastfreundschaft der Russen. Neben deutlichen Unterschieden beider Länder sieht er vor allem auch die Gemeinsamkeiten. Die Daytime etwa in Russland sei recht ähnlich strukturiert wie in Deutschland.

Wir müssen beispielsweise beachten, dass eine Mutter in Russland für ihr Kind selbstverständlich auch dann noch lügen würde, wenn sonst heraus käme, dass es ein Mörder ist. In Deutschland wäre das hingegen zumindest eine moralische Frage, mit der man dramaturgisch arbeiten könnte
Felix Wesseler (filmpool) über nötige Änderungen an Büchern bei der Adaption deutscher Scripted Reality nach Russland
Auch hier würden – neben Formaten wie etwa einem «Perfekten Dinner»-Klon - sich inzwischen in größerem Maße Scripted Entertainment Produktionen wiederfinden. Dazu gehören eben auch die hierzulande von RTL ausgestrahlten «Verdachtsfälle» oder «Familien im Brennpunkt». In aller Regel werden die für Deutschland geschriebenen Geschichten in Russland nachgedreht, teilweise aber lokal angepasst. In Russland gebe es zum Beispiel ein etwas anderes Wertesystem. „Wir müssen beispielsweise beachten, dass eine Mutter in Russland für ihr Kind selbstverständlich auch dann noch lügen würde, wenn sonst heraus käme, dass es ein Mörder ist. In Deutschland wäre das hingegen zumindest eine moralische Frage, mit der man dramaturgisch arbeiten könnte“, weiß Wesseler. Zudem sei gerade bei den Formaten mit einem Crime-Hintergrund in Russland eine andere Fallhöhe gegeben. Der klassische russische Knast ist mit über 30 Personen belegten Zellen kein Zuckerschlecken. „Für uns hieße das dann auch: Wenn unsere russischen Partner in einem Gefängnis drehen, bräuchten sie bei einer eins-zu-eins Umsetzung viel mehr Komparsen als wir in einer typischen deutschen Zelle mit vier Betten.“

[img][/img]Vergleichbare Anpassungen musste filmpool auch vornehmen, als man beim Sender REN TV eine Adaption von «Berlin – Tag & Nacht» startete – quasi «Moskau – Tag & Nacht». Die in der Late-Prime gezeigte Sendung erzählte basierend auf den deutschen Geschichten mit russischen Figuren, jedoch stieß filmpool auch an Grenzen - lesbische Liebe konnte etwa aufgrund der Gesetzgebung nicht thematisiert werden. Anfang 2015 gestartet, war die Serie allerdings schnell wieder verschwunden. Das hatte vor allem senderinterne Gründe. Kurz vor dem Start der täglichen Serie wurde das Sendermanagement getauscht und einhergehend auch die inhaltliche Ausrichtung von REN TV geändert. Anstatt Frauen von jung bis zum besten Alter im Blick zu haben, lag der Fokus plötzlich auf Männern. Und für die war eine Soap wie «Moskau – Tag & Nacht» nicht mehr passend.

Inhaltlich hatte sich derweil schon die Frage gestellt, ob Moskau wirklich der richtige Ort für die Serie war. „In Moskau merkt man oft, dass Russland zwischen Asien und Europa liegt. Wenn wir in Moskau in Originalmotiven drehen, beispielsweise für «Verdachtsfälle», sieht man viele klischeehafte Wohnungen. Da hängen blaue Ornamente als Tapete an der Wand, es stehen überall Holzfigürchen. Anders ist das zum Beispiel in Polen. Wenn wir da in Wohnungen drehen, könnte man im Hinblick auf die Inneneinrichtung auch denken, wir seien gerade in Hürth bei Köln.“ Moskau sei abseits der verspielten Wohnungen aber ein sehr hartes Pflaster. „In einer Serie wie «Berlin – Tag & Nacht» geht es stark um Selbstverwirklichung. Unsere Figuren versuchen, ihre Träume wahr werden zu lassen. Das ist in Moskau weitaus schwerer umzusetzen.“ Die russische Hafenstadt St. Petersburg – immerhin knapp fünf Millionen Einwohner – sei da schon anders, auch von den Einwohnern her gefühlt liberaler. „«Berlin – Tag & Nacht» drehen wir hauptsächlich im Friedrichshain oder Kreuzberg.“ Und damit könne man letztlich eher Teile von St. Petersburg vergleichen.

St. Petersburg ist europäischer und vielleicht auch infrastrukturell nicht so problematisch.
Felix Wesseler (filmpool) über die Hafenstadt St. Petersburg im Vergleich zu Moskau
„Wenn es uns nochmal gelingen sollte, das Format bei einem anderen russischen Sender zu reaktivieren, würden wir es dort machen“, so Wesseler. „St. Petersburg ist europäischer und vielleicht auch infrastrukturell nicht so problematisch“. Massive Staus sind nämlich ein großes Problem in Russlands Hauptstadt. Gut und gerne könne man morgens oder abends mal über zwei Stunden brauchen, um mit dem Auto, eingekeilt zwischen ein paar russische Schwerlaster, nur zwei Kilometer weit zu kommen. So mancher Berliner mag sich in diesem Punkt wiederfinden, Wesseler aber versichert, dass das Stauchaos in Moskau noch einmal mindestens eine Nummer größer sei – zumindest, sofern man nicht über gute Kontakte ein eigenes Blaulicht bekommen habe und auch einsetzen dürfe, was durchaus vorkomme. Gedreht würde sonst oft schon morgens um sechs Uhr, wo man noch halbwegs normal von A nach B komme. Durchaus angetan zeigte sich Wesseler derweil vom direkten Stadtzentrum. „Da ist richtig was los. Da spielt im Club Guns’N’Roses, während ein paar Ecken weiter noch grau in grau die Stalin-Bauten stehen.“ Allein schon deshalb sei Moskau eine Reise Wert – „es ist eine unfassbar pulsierende Stadt.“

Aber es gibt durchaus auch Probleme. «Verdachtsfälle» und «Familien im Brennpunkt» werden aktuell nicht produziert, es laufen nur Wiederholungen beim kleineren TV3. Den Sendern fällt es schwerer, die nötigen Lizenzgebühren für neue Produktionen aufzubringen, die Wirtschaft stagniert. Früher wurden russische Folgen von «Verdachtsfälle» etwa auch in die Ukraine verkauft – so wurde zusätzlich Geld eingenommen. Seit der russischen Annexion der Krim ist das vorbei. Russisches Fernsehen ist in Haushalten in der Ukraine seitdem undenkbar. Das Nachbarland hat daher 2015 ein eigenes – bis heute sehr erfolgreiches - «Kiew - Tag & Nacht» bekommen.

In einigen Punkten, findet Wesseler, sei der russische TV-Markt dem deutschen sogar voraus. Etwa im Genre Mystery, für das es in Russland einen größeren eigenen Sender gibt. Da filmpool zuletzt für TLC eine wöchentliche Mystery-Serie startete, hat filmpool gerade Erfahrung in dem Bereich gesammelt. „Das ist ein großer Markt, wie man in Russland schon recht früh erkannt hat.“

Eigenentwickeltes russisches Show-Fernsehen sei – im Gegensatz zu lokalen Adaptionen wie Top-Models - hingegen oftmals blumiger, märchenhafter und vielleicht sogar theatralischer. Besonders gut in Erinnerung geblieben ist Wesseler ein Show-Konzept des Sender NTV, «Ты супер!»- zu Deutsch „Du bist super!“ - „einer irren Mischung aus «Bitte melde dich» und «The Voice Kids»“. Im Mittelpunkt stehen Waisenkinder, die singen und von Coaches in vielen Bereichen unterstützt würden. Auch hier wieder erkennbar: Die massivere Fallhöhe. „Waisenkind in Russland zu sein ist noch einmal etwas anderes als hierzulande“, sagt Wesseler. Ob genau diese Show mal eine Chance in Deutschland haben wird, weiß Wesseler nicht so recht. Er aber ist überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch große deutsche Sender russische Ideen – „immerhin aus dem sechstgrößten Fernsehmarkt der Welt!“ - einkaufen.

Der inzwischen wieder verschwundene Free-TV-Sender Das Vierte hatte sich einst an ein solches Projekt getraut und 35 Folgen der Sitcom «Papiny Dotschki» (deutscher Titel: «Ein Haus voller Töchter») umgesetzt. Quotentechnisch und inhaltlich war das Projekt aber ein Flop.

Im sportlichen Bereich erwartet Wesseler, dass Russland ein guter Gastgeber für die Fußball-Welt werde. „Die Welt schaut auf Russland. Das weiß man dort nicht nur, sondern ist bei aller Härte auch einfach ein sehr herzliches Volk - vielleicht gelingt den Russen ja sogar ein eigenes Sommermärchen 2018“, meint der Fernsehmacher.

17.06.2018 10:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/101478
Manuel Weis

super
schade


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