Die Branche war sich zuletzt über die herausragend wichtige Rolle von Drehbuchautor/innen für fiktionale Projekte einig. Die Autoren legen jetzt nach und wollen mehr Befugnisse innerhalb des kreativen Prozesses. Über „Kontrakt 18“ haben wir mit Annette Hess (unter anderem «Weissensee», «Ku'damm») gesprochen.
Die Liste ist lang, sie ist… sehr lang: Johannes Betz (einst «Die Cleveren», aktuell «Das Boot»), Anika Decker («Keinohrhasen»), Hanno Hackford («4 Blocks»), Andreas Knaup (u.a. «SOKO Stuttgart»), Arne Nolting («Club der roten Bänder»), Nils Morten Osburg («Helen Dorn», «Ostfriesenblut»), Dorothee Schön («Charitè», Mordshunger»), Marc Terjung (einst «Edel & Starck») und viele, viele weitere haben unterschrieben. Über 90) Namen finden sich auf einer Liste. Alle haben ein gemeinsames Ziel. Bestehende Strukturen aufbrechen und dadurch deutsche Serien im besten Fall noch stärker zu machen.
© Laura Klein
1. Reihe vorne von links: Dorothee Schön, Clemens Murath, Thorsten Wettcke, Johannes Betz, Gerrit Hermans, Marc Terjung. 2. Reihe von dahinter von links: Annette Hess, Sarah Schnier, Heidi Schwochow, Kristin Derfler, Esther Bernstorff, Volker A. Zahn. 3. Reihe versetzt: Thomas Wendrich, Sebastian Orlac, Richard Kropf, Bob Konrad, Oliver Kienle, Hanno Hackforth, Rolf Basedow, Susanne Schneider, Britta Stöckle, Katrin Bühlig, Christian Jeltsch, Orkun Ertener, David Ungureit, Michael Comtesse, Kai Hafemeister, Eva Zahn, dahinter: Stefanie Veith.
Der 6-Punkte-Plan
Punkt 1:
Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung.
Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.
Punkt 2:
Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.
Punkt 3:
Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.
Punkt 4:
Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.
Punkt 5:
Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit
dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.
Punkt 6:
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u. ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.Zusammengeschlossen stehen sie für
Kontrakt 18, eine Initiative, die den Autoren und somit den Erfindern der später zu sehenden Geschichten auch nach Abgabe des Drehbuchs mehr Einfluss ermöglichen soll. Die Initiatoren verweisen dabei auf Produktionsbedingungen etwa in Amerika, den Großbritannien, Frankreich oder in skandinavischen Ländern. Dort würden Autoren den kompletten Produktionsprozess begleiten, kontrollieren und mit verantworten.
Deutschland sei in dieser Hinsicht trotz ermutigender Beispiele aus jüngster Zeit immer noch ein Entwicklungsland. Die aktuell vorhandenen Strukturen seien schlicht nicht mehr zeitgemäß und würden hierzulande regelmäßig nicht nur dazu führen, dass den Schöpfern die kreative Kontrolle über ihre eigenen Werke entzogen werde, und viel mehr noch: Dass das Potential, das in der Arbeit der Autorinnen und Autoren liegt, zur Qualitätssteigerung der Programme genutzt werde. „Wenn Serien wie «Breaking Bad» entstehen, dann hat der Autor dafür eine Vision oder eine künstlerische Intuition, die man manchmal auch gar nicht in Worte fassen kann. Die Amerikaner schützen diese Vision, in dem der Autor die Position des Showrunners einnimmt. Er achtet während des ganzen Herstellungsprozesses darauf, dass der Ursprung nicht verloren geht“, sagt Annette Hess (die zuletzt etwa «Ku’damm» machte) im Gespräch mit Quotenmeter.de.
Die grundlegende Debatte, Autoren mehr Verantwortung und Kontrolle, aber eben auch Respekt entgegen zu bringen, gab es schon länger, die wurde dann nochmals entfacht, weil der Deutsche Fernsehpreis, also die Branchenveranstaltung schlechthin, Autoren nicht selbstverständlich einlud. Zwar betonten die Initiatoren von
Kontrakt 18, das längst ein Umdenken stattgefunden habe. Immer wieder sei auch von Produzentenseite auf die wichtige Rolle der Autoren hingewiesen worden. Die Initiative aber soll sicherstellen, dass all das nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Gegründet von Kristin Derfler, Annette Hess, Volker A. Zahn und Orkun Ertener will man künftige Vertrags- und Verhaltensstandards definieren. Auf einer Konferenz im Berliner Savoy Hotel einigten sich Ende Mai dieses Jahres zahlreiche Autorinnen und Autoren auf einen 6-Punkte-Katalog. Beginnend am 1. Juli 2018 wollen diese nur noch dann Vertragsverhandlungen für neue Film oder Serien-Projekte eintreten, wenn ihnen mehr Kontroll- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden. „Wir haben in der Vergangenheit intensiv mit Produzenten und Sendern gesprochen. Natürlich gibt es auch ein paar Bedenken. Viele unserer Forderungen sind daher auch offen formuliert. Es geht uns auch darum, unter den Autoren eine neue Haltung und ein Selbstbewusstsein zu schaffen“, sagt Hess.
Künftig solle die schöpferische Kraft der Autorinnen und Autoren zur Steigerung von Qualität auf Augenhöhe genutzt werden. Angestrebt werde auch eine Vernetzung unter den Kollegen und eine Einladung an Sender, Produktion und Regie mit dem Ziel eines produktiven Dialogs. Hess selbst machte bei der Arbeit zu «Ku’damm» mit dem ZDF und der UFA sehr gute Erfahrungen, wie sie berichtet. Sie habe ihre Idee und ihre Vision stets geschützt gefühlt. Hess war am Set als Creative Producer beteiligt, ein Bezeichnung, die ihr sehr gut gefällt. Möglich sagt sie, dass gar nicht alle Autoren Interesse haben, ihr Projekt später in der Verwirklichung so intensiv zu begleiten. Die Möglichkeit aber müsse allen eingeräumt werden. Sie kenne etliche begabte Kollegen, meint Hess, die „sich auch später mit hoher Qualität einbringen können und wollen.“
Betonen will Hess auch, dass es der Initiative keineswegs nur um das Schaffen von Stoffen geht, mit denen sich der Schreiber ausschließlich selbstverwirklicht. Nachwievor arbeiten auch Autoren für einen (Massen-)Markt. „Das dürfen wir nicht vergessen. Produzenten und Sender aber sollten schon eine Mischkalkulation anstreben und immer wieder Geld bereit halten für neue und bahnbrechende Serien.“ Der
Kontrakt 18 würde alle Voraussetzungen schaffen, dass künftig in Deutschland neue Serien mit echter Handschrift entstehen können.
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