Seit 2016 boomen Formate mit und über Teenagern. Vorreiter Netflix begründete damit einen lange überfälligen Trend zu jugendlichen Stoffen, der auch Zeugnis seiner Entstehungszeit ist.
Teenie-Serien auf Netflix
- «American Vandal»
- «Atypical»
- «Big Mouth»
- «Chilling Adventures of Sabrina»
- «Dark»
- «Degrassi: Die nächste Klasse»
- «Eine Reihe betrüblicher Ereignisse»
- «Elite»
- «Everything Sucks!»
- «One Day at a Time»
- «Riverdale»
- «Sex Education»
- «Stranger Things»
- «The End of the F***ing World»
- «The OA»
- «Tote Mädchen lügen nicht»
Formate, produziert oder koproduziert vom Streaming-Anbieter (alphabetisch)
Das Zeitalter der Erwachsenen ist vorbei – jetzt kommen, die Kinder, Jugendlichen, jungen Erwachsenen! Sie kommen, um zu bleiben. Mehr noch: Stehen Kinder im Zentrum des Seriengeschehens, wie in «Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» oder «The End of the F***ing World», dann führen erwachsene Charaktere meist nichts Gutes im Schilde, sind die wesentlich schlechteren Menschen oder schlicht deutlich weniger fähig als die Kids. Insbesondere in der US-amerikanischen Highschool verortete Teen-Dramen boomen in den USA und Netflix gilt mit zahlreichen Formaten als Vorreiter. Die Gründe dafür, warum TV-Teenies grade im Trend sind, lauten nicht so trivial, wie etwa im Zuge anderer Modeerscheinungen. Sie sind vielmehr Spiegel der gesellschaftlichen Wandlung in Nordamerika.
Anfang März zählte US-Nachrichtensender CNN unfassbare 14 Amokläufe an Schulen in den USA – alleine im jungen Jahr 2018. Das Massaker von Parkland in Florida löste weltweit die größte Bestürzung aus, als 25 Personen darin starben. Die Politik, unter dem Einfluss der Waffenlobby NRA, verpasste es nach jeder dieser Tragödien zu handeln. Statt Präsident Trump gingen Teenies und junge Erwachsene an die Öffentlichkeit, organisierten Proteste, hielten Reden, die im Internet millionenfach geteilt und geklickt wurden. Während die scheinbar gestandenen Erwachsenen an der Macht derart tragische Ereignisse mithilfe entsprechender Maßnahmen verhindern könnten, aber es nicht tun, handeln Teenies – und die Öffentlichkeit gibt ihnen eine Stimme. So auch in Serien.
Netflix‘ Teenie-Trend kam erst spät auf
Als Netflix ab dem späten Jahr 2012 damit begann, seine ersten Eigenproduktionen auf dem Markt zu positionieren, war von Teenies noch wenig zu sehen. Alle Dramen wurden aus der Sicht von Erwachsenen erzählt, enthielten häufig explizite Sexszenen, Sprache oder Gewalt. Die Entwicklung zu härteren Inhalten vollzog sich auch abseits des Streaming-Diensts, gleichwohl Netflix im Vergleich zum frei empfangbaren Fernsehen und auch dem Kabelfernsehen nicht den gleichen Standards und Regeln unterworfen war und daher ohnehin freier. Zwar gab sich der Video-On-Demand-Anbieter schon ab 2013 Mühe, auch Programme speziell für Kinder zu produzieren, entweder waren diese aber für die Kleinsten der Kleinen bestimmt oder fanden kaum ein größeres Publikum.
Erstaunlicherweise, es kommt einem früher vor, entdeckte Netflix erst im Jahr 2016 eine junge Sichtweise in Serien für sich. Zu dieser Zeit entwickelte sich «Stranger Things» in Windeseile zum Popkultur-Phänomen und das überaus beliebte Retro-Sci-Fi-Drama schaffte es nicht nur nostalgische Erwachsene anzulocken, die sich am 80er-Vibe erfreuten, sondern auch jüngere Zuschauer, die sich für die Abenteuer der Kindergruppe interessierten. Seitdem erschienen zahlreiche Formate mit jungen Menschen im Mittelpunkt und der Trend setzt sich fort: Kürzlich widmete sich Netflix auf einem Presse-Event in New York seinen bald erscheinenden Originalformaten und ein großer Prozentteil stellte Formate dar, die Geschichten über und für Jugendliche erzählen. Sie unterschieden sich in Tonalität, Format, Cast, Make-up, Ort oder Zeit, in der die Sendung spielt. Aber sie hatten eines gemeinsam: Sie stellten junge Stimmen an erste Stelle. Und immer mehr Sender und Anbieter machen es Netflix nach.
Mit der rasch steigenden Anzahl derartiger Formate emanzipierte sich der Typus Teenie in den vergangenen Jahren, der zuvor häufig stereotyp behandelt wurde. Das schöne Mädchen, der Sportler, der Außenseiter-Nerd und so weiter. Durch die zunehmende Bandbreite und immer tieferen Charaktere dienten Serien mit jungen Menschen für junge Menschen nicht mehr bloß der Unterhaltung wie zuvor, sondern sie halfen auch bei deren Entwicklung, was jugendliche Zuschauer schließlich auch viel nötiger haben als erwachsene.
Ende der Helikopter-Serien, hin zu bedeutungsvollen Inhalten
Das zeigten Netflix-Serien am deutlichsten. «Stranger Things» handelt von Mut, «Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» von Familie. «Atypical» widmete einem Autisten ein eigenes Format und wie dessen Umfeld damit umgeht. «American Vandal» entlarvte klassische Highschool-Strukturen, «Töte Mädchen lügen nicht» thematisiert Mobbing und die Bedeutung von unbequemen Wahrheiten, denen man sich stellen muss. «Big Mouth» lässt Erwachsene und Jugendliche die Pubertät besser einordnen, «The End of the F***ing World» lässt Jugendliche ihre Andersartigkeit akzeptieren. «Everything Sucks!» beschäftigt sich mit Themen wie Sexualität und psychischen Problemen. Der Grund dafür, dass diese Formate bei Netflix laufen, liegt in den Freiheiten des Streaming-Diensts gegenüber der Sender-Politik klassischer Fernsehstationen, die durch Marktforschung und fehlendem Mut meist bei den immer gleichen Mustern landen.
Formate auf Nickelodeon oder dem Disney Channel können dagegen analog zum Begriff Helikopter-Eltern als Helikopter-Serien bezeichnet werden. Sie packen ihre jungen Zuschauer durch den weiten Bogen um komplexe Themen in Watte, helfen aber Teens in keinster Weise in ihrem Leben weiter. Die neue Netflix-Riege an Teenie-Formaten enthält durchgängig Highschool-Schüler, liegt aber teilweise fernab von der Entschärfung, die frühere Serien für Kinder und Jugendliche im Autorenraum erhielten. Was bringt es Schülern, in Serien Bilder von Highschools gezeichnet zu bekommen, die nicht im Ansatz der Wirklichkeit entsprechen, obwohl sie ihre Zuschauer genauso gut vorbereiten könnte?
In einer Welt, in der Erwachsene lange alle Zügel in der Hand hielten, weil ihnen noch getraut werden konnte, wurden auch junge Figuren meist von älteren Männern geschrieben. Diese nutzten die jungen Figuren lediglich als Zutat des ihrer Meinung nach perfekten Drama-Rezepts anstatt als wirklich dreidimensionale Menschen. In der echten Welt gibt es ungemein viele Teenager, die noch nach ihrer Identität suchen, denen Erfahrung abgeht, aber die dennoch stark, schlau und fähig sind. Fähiger, das zeigte sich nach den tragischen Ereignissen in den USA, als durch Machtspiele und Hierarchien paralysiert wirkende Erwachsene. Deshalb geben jugendliche Figuren ihren Zuschauern heutzutage mehr Inspiration – und Teens selbst schauen Netflix, um sich von Geschichten über sich selbst inspirieren zu lassen. Der entscheidende Unterschied heutzutage lautet: Teenies werden von der Unterhaltungsindustrie nun ernst genommen. Ernster als man Erwachsene heutzutage noch nehmen kann.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
22.03.2018 10:13 Uhr 1
Ich sehe diesen Trend "Teenie Takeover" als Teil einer insgesamt immer spitzer werdenden Formatlandschaft.
Man muss mit einem Format zu einer bestimmten Sendezeit nicht mehr die ganze Familie oder eben möglichst viele Menschen quer durch die Gesellschaft gleichzeitig erreichen.
Man kann durch VOD jede Subgruppe immer spezieller bedienen. Die Teenies sind ein Teil davon, für die ist insbesondere "Tote Mädchen lügen nicht" maßgeschneidert.
So sehr, dass ich nur die erste Folge ansehen konnte, obwohl die Qualität, die Schauspieler usw. grundsätzlich überzeugen.
Der Gegenentwurf dieses "Subgruppen-TVs" ist z.B. Wetten dass, die Familiencouch für jung und alt.
Wobei ich in Italien und auch Frankreich (L'après-midi aussi hieß die glaube ich) vor Jahrzehnten Nachmittagsshows gesehen habe, die noch mehr Gemischtwarenladen waren.
In diesen Liveshows folgten nach den Kochtipps für Omi die leichtbekleideten Cancan Mädels für den Opi, dann ein Schnulzenschlager für Mami und dann ein lustiges Spiel für die Kinder, innerhalb von 15 Minuten.