Ein feministisches Bibel-Drama im "Terence Malick light"-Stil über den Wert der Empathie, das dennoch nicht zu revisionistisch sein will.
Filmfacts: «Maria Magdalena»
- Regie: Garth Davis
- Produktion: Iain Canning, Emile Sherman, Liz Watts
- Drehbuch: Helen Edmundson, Philippa Goslett
- Darsteller: Rooney Mara, Joaquin Phoenix, Chiwetel Ejiofor, Tahar Rahim
- Musik: Hildur Guðnadóttir, Jóhann Jóhannsson
- Kamera: Greig Fraser
- Schnitt: Alexandre de Franceschi, Melanie Ann Oliver
- Laufzeit: 120 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Die biblische Figur der Maria Magdalena ist die zentrale Person des vielleicht am weitesten verbreiteten Falls von "Besser gut nachgeplappert, als einmal nachgeschlagen" im christlichen Religionswissen. Fällt der Name Maria Magdalenas in größerer Gruppe, dauert es nicht lange, bis jemand anmerkt: "Das ist die stadtbekannte Frau – also eine Prostituierte!" Doch mit Blick auf den Bibeltext ist dieses Stück Trivialwissen – das jahrhundertelang in katholischen Predigten breitgetreten wurde – sehr diskutabel. Zwar kommt in den Evangelien eine Sünderin vor, die Jesus die Füße wäscht, allerdings braucht es einiges an krummer Lesart, um sie mit der Figur der Maria Magdalena gleichzusetzen. Sie wird einzig als treue Gefolgsfrau beschrieben, die sich den Jüngern sowie Jesus anschloss und ihn als erstes nach seiner Auferstehung gesehen hat.
Immerhin: Papst Franziskus erklärte 2016, dass die Katholische Kirche Maria Magdalena jahrhundertelang Unrecht angetan habe, und sie nunmehr als "Apostelin der Apostel" gewürdigt werden sollte. Garth Davis, der Regisseur hinter dem Kitschfest «Lion – Der lange Weg nach Hause», liefert mit seinem Bibeldrama das dazu passende, filmische Manifest nach. Als Film, der kurz vor Marias Begegnung mit Jesus und den Jüngern einsetzt, und drei Tage nach der Kreuzigung Jesu endet, ist «Maria Magdalena» in seinen Möglichkeiten, die gezielte Fehldeutung dieser Figur anzuklagen, jedoch begrenzt. Ein Jahrhunderte umspannendes Drama, das die Konsequenzen dessen anschneidet, dass in Predigten behauptet wurde, die wichtigsten weiblichen Figuren des Neuen Testaments seien entweder jungfräulich oder Sünderinnen, könnte da aus einem brisanteren Winkel argumentieren.
Stattdessen verfolgen Davis sowie die Drehbuchautorinnen Helen Edmundson und Philippa Goslett weitestgehend einen unterkühlten Ansatz. Sie scheuen vor zu revisionistischen Ansätzen ebenso zurück wie vor einer heißblütigen Argumentation – Davis ist halt weder ein Martin Scorsese («Die letzte Versuchung Christi») noch ein Mel Gibson («Die Passion Christi»). In der Theorie hat die zurückhaltend-nachdenkliche Tonalität von «Maria Magdalena» trotzdem ihren Reiz – würde es dem Filmstoff nicht an Substanz mangeln. So erinnert die Bild- und Klangästhetik gelegentlich an Terence Malick, etwa, wenn das Gleichnis vom Senfkorn zu hören ist, während Maria Magdalena im türkisfarbenen Meer taucht. Oder wenn Rooney Mara in der Titelrolle keuch-fragend Seite an Seite mit Jesus (Joaquin Phoenix) gen Horizont blickt – von Kameramann Greig Fraser eingefangen in malerischen Totalen mit langer Brennweite, während ein esoterisch angehauchter Score von Hildur Guðnadóttir und Jóhann Jóhannsson läuft.
Doch «Maria Magdalena» geht die philosophische Komponente eines Terence Malick ab: Die Story, wie Maria sich aus einer einengenden Dorfgemeinschaft löst und schlussendlich mit großen, staunenden Augen die letzten Kapitel im Wirken Jesu bewundert, während sich die Apostel in den Haaren liegen, wird schlicht zu geradlinig erzählt. Das zahme Spiel Maras und Phoenix' ringt der stringenten, zugleich durch ihre zurückhaltende Umsetzung so gedämpften Erzählung ebenfalls kaum ansprechende Aspekte ab. Nur, wenn Phoenix in Monologe verfällt und selbst in seiner Erscheinung als an Kraft verlierender Zausel-Jesus plötzlich eine magnetische Ausstrahlung gewinnt, oder Mara mit stiller, innerer Kraft für Empathie statt Deutungshoheit einsteht, erwacht dieser Film kurzzeitig zum Leben.
Dies dürfte wohl die größte Enttäuschung an «Maria Magdalena» sein: Die hübschen Bilder und die sensible Filmmusik sind eine konventionelle, aber überzeugende Verpackung für ein cineastisches Stück Niemandsland. Als altmodische Bibelverfilmung ist Davis' Werk zu bemüht, originelle Blickwinkel zu finden, gleichzeitig finden die originellen Ansätze nur in Form narrativer Fransen statt, die sporadisch aus diesem Erzählteppich hervorstehen. Dass die Jünger allesamt streitlustige Typen sind, die sich einreden, das Wirken Jesu sowie seine Reden korrekt verstanden zu haben, ist zum Beispiel eine packende Idee mit gesellschafts- und religionskritischen Beiklängen – der «Maria Magdalena» im Laufe der rund zwei Filmstunden ähnlich viel Platz einräumt wie der Autor dieser Zeilen in seiner Filmbesprechung. Ein ums andere Mal sind die Jünger enttäuscht, wenn Jesus eben doch nicht als Terrorist gegen die Römer vorgeht oder mit den Fingern schnippt, um alle Toten zum Leben zu erwecken – aber meist schön brav in Nebensätzen am Rande der eigentlichen Filmhandlung.
Generell geht es um Maria Magdalenas Fähigkeit, zuzuhören und nach der Aussagekraft eines Gleichnisses zu suchen, statt direkt wild herum zu interpretieren. Eine nicht zu verachtende Botschaft, die Davis, Edmundson und Goslett allerdings dadurch verwässern, dass sie ihre Filmversion von Jesus dennoch als definitiven Wunderheiler skizzieren. Würde «Maria Magdalena» keinen unklaren Kurs fahren, da manche Wunder Jesu ambivalent und wieder andere als im Rahmen der Filmwelt unbestreitbar ausfallen, sondern durchweg auf Unklarheit setzen, blieben religiöse Gefühle unverletzt – und dennoch käme die Kernaussage "Merkt ihr nicht, dass es wichtig ist, zuzuhören und empathisch zu sein" stärker zur Deutung. Und der feministische Ansatz des Films würde womöglich auch etwas länger nachhallen. Denn dann würde sich Maria Magdalenas eigener Film nicht zwischendurch zum neusten in einer langen Reihe an Jesus-Filmen verformen.
«Maria Magdalena» ist ab sofort in einigen deutschen Kinos zu sehen.
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