Auch wenn es das Plakat anders suggeriert: Mit Matthias Schweighöfer hat Florian Ross' «Vielmachglas» nicht so viel zu tun. Dafür trägt Jella Haase die Roadmoviekomödie auf ihren Schultern und macht sie zu einem charmanten Vergnügen.
Filmfacts: «Vielmachglas»
- Kinostart: 8. März 2018
- Genre: Komödie/Roadmovie
- FSK: 6
- Laufzeit: 91 Min.
- Kamera: Felix Novo de Oliveira
- Buch: Finn Christoph Stroeks
- Regie: Florian Ross
- Schauspieler: Jella Haase, Marc Benjamin, Matthias Schweighöfer, Ilka Bessin, Juliane Köhler, Uwe Ochsenknecht, Emma Drogunova
- OT: Vielmachglas (DE 2018)
Regisseur Florian Ross hat von den Besten gelernt – zumindest was das Einspiel an den deutschen Kinokassen angeht. Neben der Inszenierung einiger Kurzfilme, begleitete er unter Anderem Matthias Schweighöfer zum Zwecke eines ausführlichen Making Ofs am Set seines Großstadtmärchens «Der Nanny»; kein Wunder also, dass sich Ross für sein Langfilmdebüt ganz deutlich an den gängigen Wohlfühlmechanismen all jener Filme orientiert, die hierzulande schon mal mehrere Millionen Besucher in die Kinos locken. Dazu gehört nicht bloß der von seiner skurrilen Wortschöpfung her an «KeinOhrHasen» oder «Kokowääh» erinnernde Titel «Vielmachglas». Die Instagram-tauglichen Bilder, die Verwendung von gefühliger Radiopopmusik und gebetsmühlenartig vorgetragene Glückskeks- und Abreißkalenderbotschaften machen die Roadmoviekomödie zu einer berechenbaren Nummer.
Doch schon bei der Besetzung lässt sich erkennen, dass Ross ein wenig mehr vorhatte, denn auch, wenn «Vielmachglas» suggeriert, man hätte es hier mit der nächsten Schweighöfer-Komödie zu tun, steht im Fokus der Geschichte eigentlich nämlich ganz anderes: Chantal-Darstellerin Jella Haase aus mittlerweile drei «Fack ju Göhte»-Filmen. Und genau dieser ist es zu verdanken, dass die Komödie trotz diverser abgegriffener Klischees immer noch ziemlich charmant ist.
Auf dem Weg nach Hamburg
Marleen (Jella Haase) erlebt ihren Alltag als steilen Berg – unerklimmbar! Mit Anfang 20 ist sie nicht einmal in der Lage, sich für ein Studienfach zu entscheiden. Selbst ihr geliebter großer Bruder (Matthias Schweighöfer) schafft es nicht, sie aus ihrem Dauer-Formtief herauszuholen. Erst durch eine persönliche Katastrophe wird die menschenscheue Marleen so aufgerüttelt, dass sie sich Hals über Kopf auf ein Abenteuer einlässt, das etliche Nummern zu groß für sie ist: Im Hamburger Hafen wartet ein Schiff auf sie, mit dem sie in die Antarktis reisen will. Doch wie soll sie quer durchs Land nach Hamburg kommen, wenn sie nur acht Euro in der Tasche hat? Das ist der Beginn einer sowohl verrückten als auch emotionalen Reise, auf der Marleen erfährt, dass es durchaus noch verrücktere Zeitgenossen gibt als sie selbst. Und sie macht die überraschende Erfahrung: Je weiter sie reist, desto näher kommt sie sich selbst.
Auf dem Plakat nimmt Publikumsliebling Matthias Schweighöfer ein Drittel des Platzes ein. Wer weiß, wie Filmwerbung funktioniert, wird daran auch erstmal nichts Verwerfliches finden, schließlich wirbt man mit dem bekanntesten Gesicht immer am größten. Trotzdem sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass der gefragte Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler nur knapp 15 Minuten im Film zu sehen ist; und zwar in einer kurzen, das Geschehen allerdings stark beeinflussenden Nebenrolle. Die Art, wie seine Figur des charismatischen Weltenbummlers Erik den Film verlässt, hat uns dann allerdings doch ziemlich kalt erwischt, sodass wir nicht vorwegnehmen möchten, was dem Blondschopf in «Vielmachglas» zustößt. Immerhin überlässt er Jella Haase dadurch die alleinige Bühne – und genau der ist es auch zu verdanken, dass die Feelgood-Komödie bei aller Plakativität bis zum Schluss charmant und sogar authentisch bleibt, obwohl man sich inszenatorisch nur zu gern an all dem bedient, was den Film eigentlich ins genaue Gegenteil umkehren müsste.
Die gefälligen Hochglanzbilder und die konstruierte Handlung spiegeln nur zu gut das wieder, was man dem deutschen Wohlfühlkino gern an Inhaltsleere vorwirft. Doch Jella Haase und (Neu-)Entdeckung Marc Benjamin («Unsere Zeit ist jetzt») spielen so natürlich auf, dass selbst kitschigste Momente immer noch etwas Wahrhaftiges besitzen.
Als Komödie gut, als Drama naja
Dabei besäße ihre Figur der Marleen bei all ihrer Planlosigkeit und Beratungsresistenz durchaus Nervpotenzial. Doch ohne sich auch nur im Ansatz an ihrer Paraderolle der prolligen Chantal zu bedienen (wir wissen ja spätestens schon seit «4 Könige», dass Haase auch anders kann), wird diese in den Händen der Schauspielerin zu einer echten Sympathieträgerin. Und nicht nur das: Mit ihrer Mischung aus Rebellion und Naivität fungiert sie gerade für die Zielgruppe der unentschlossenen Millenial-Generation zu einer idealen Identifikationsfigur, auf die der Film nicht zuletzt ziemlich deutlich zugeschnitten ist. Diese sehr detaillierte Charakterzeichnung trifft jedoch nicht auf alle zu. Gerade in den Nebenrollen entdeckt man immer wieder ziemlich abgegriffene Stereotype, die nur deshalb im Film untergebracht scheinen, um die Anzahl an Gaststars ein wenig in die Höhe zu treiben.
Die bis vor einer Weile noch unter dem Künstlernamen Cindy aus Marzahn aufgetretene Ilka Bessin ist einmal mehr in einer Variation ihres Superproll-Ichs zu sehen, während Newcomerin Emma Drugonova («Leanders letzte Reise») sich bis an die Grenze zur Erträglichkeit chargiert und als affektierte YouTuberin Zoë das darstellerische Lowlight in «Vielmachglas» bildet. Die Gastauftritte einiger weiterer A- und B-Promis sind dagegen durchaus komisch, genauso wie uns Marc Benjamin einmal mehr davon überzeugt hat, dass wir von diesem bislang fast unentdeckten Gesicht in Zukunft gern mehr sehen würden.
Dramaturgisch entspricht «Vielmachglas» einem typischen Roadmovie, das diverse Male mehr, mal weniger lustige Stationen aneinanderreiht. Eine Karaokeparty an der Seite von «Hinter Gittern»-Star Katy Karrenbauer eskaliert im besten Sinne unvorhergesehen, während der Versuch, sich als Tramperin durchzuschlagen, in riesigem Chaos mündet; beides Beispiele dafür, dass Florian Ross und Drehbuchautor Finn Christoph Stroeks («Der Nanny») überraschen können, wenn sie das allzu sichere Terrain ihrer Komödie einmal verlassen. Einen richtig großen Schwachpunkt hat die Geschichte dann aber doch: Die dramaturgische Klammer rund um den Grund für Marleens Weggang nagt arg an der Glaubwürdigkeit der Geschichte selbst. Marleens Eltern kommend nicht bloß erschreckend schnell über einen schweren Schicksalsschlag hinweg, auch die zwischendrin eingeschobenen Flashbacks, die «Vielmachglas» zwischendurch von seiner fast schon märchenhaften Atmosphäre befreien und stattdessen in der Realität verankern sollen, wirken ziemlich willkürlich und erfolgen einzig und allein zu einem dramaturgischen Zweck.
Dasselbe gilt für das Ende: Hier verpasst Florian Ross den perfekten Absprung und hängt einen unnötigen Nachklapp an die längst abgeschlossene Geschichte, was den Film zwar auf einer positiven, dafür aber auch weitaus weniger realistischen Note enden lässt.
Fazit
Als seichte Roadmovie-Komödie funktioniert «Vielmachglas» – auch dank der ungemein charismatischen Jella Haase – wirklich gut. Das darum gesponnene Familiendrama dagegen nimmt der per se sympathisch gedachten Geschichte dann aber doch an Glaubwürdigkeit.
«Vielmachglas» ist ab dem 8. März bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.
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