Pro von Julian Miller
In einem Interview, das Heidi Klum im Februar dem „Express“ gab, gibt es eine erstaunliche Passage. Ob sie ihre Show bei ProSieben nun auch für
Curvy Models öffnen wolle, lautet eine Nachfrage des Interviewers. Und Klum antwortet: „Ja – wir gehen den Trend, den die Fashion-Industrie uns vorsetzt, mit. Vorher gab es dafür keine Nachfrage. Man hat nie ein Model mit Kurven auf dem Titel der Vogue (…) gesehen (…) Wir hätten vorher auch hübsche Mädchen mit tollen Kurven gehabt, aber keiner wollte sie auf dem Laufsteg sehen. Jetzt sagen die Designer: Das ist okay. Deshalb können wir da jetzt auch mitmachen.“
Dieses „den Trend mitgehen“ und dieses „jetzt ja auch mitmachen“ lassen mich verzweifeln: Denn diese Phrasen offenbaren viel von jener Geisteshaltung, mit der Heidi Klum ihre Geschäfte macht und mit der diese Sendung produziert wird.
Vor einigen Jahren gab es noch ein viel erschreckenderes Beispiel: Damals setzte Klum einer schwarzen Kandidatin auseinander, sie werde in Deutschland weniger Modelaufträge bekommen als ihre weißen Kolleginnen. Doch anstatt diesen Umstand zum Anlass zu nehmen, um ihn zumindest mit deutlichen Worten als schändlich zu offenbaren, schien Klum von ihm nicht einmal sonderlich entsetzt. „Is‘ einfach so“, war ihre lapidare Antwort, als gäbe es hier keinerlei Handlungsbedarf.
Diese Haltung ist natürlich so kaltschnäuzig wie bequem: Als hätte man, wenn es „einfach so is‘“, als Fernsehformat mit Millionenpublikum oder als weltweit bekanntes Gesicht einer ganzen Branche, das permanent Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung ist, dafür keinerlei Verantwortung, geschweige denn wie auch immer geartete Möglichkeiten, wenn auch begrenzte, daran etwas zu ändern.
Vielleicht liegt die Tragik dieses Formats – und von Heidi Klum – darin, dass diese Sendung immer irgendwelchen Trends oder bedenklichen gesellschaftlichen Strömungen hinterherläuft, anstatt selbst andere zu setzen, als hätte man keinerlei Vertrauen in die eigene Popularität, um daraus positive Gestaltungsmöglichkeiten abzuleiten, als wäre man in dem Moment erledigt, in dem man von dem, was man als Mainstream erkennt, auch nur einen Zentimeter abweicht.
Heidi Klum findet
Curvy Models nach eigenem Bekunden schon immer super. Toll. Ebenso wenig will man ihr als Mutter schwarzer Kinder unterstellen, dass es sie kalt lässt, wenn Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Deutschland strukturell benachteiligt werden, und sei es nur im Model-Business. Doch es bleibt mir unerklärlich, weshalb ein so bekanntes und beliebtes Format und eine so populäre Persönlichkeit wie Heidi Klum jahrelang rumwarten, bis scheinbar urplötzlich völlig veränderte Rahmenbedingungen eintreten, die etwas zulassen, was die ohnehin unersetzliche Person dieser Sendung nach eigenem Bekunden schon immer wollte. Vielleicht ist all die brutale Bräsigkeit, die wir Kritiker «Germany’s Next Topmodel» und Heidi Klum seit Jahren vorwerfen, nur ein riesiges Missverständnis. Wie schön wäre es, wenn ich damit recht hätte.
Contra von Manuel Weis
Sie laufen wieder, die Mädchen von Heidi Klum – für zahlreiche Mädels hat der Donnerstagabend wieder einen Sinn. Auch inhaltlich hat sich die ProSieben-Casting-Show weiterentwickelt: Einige Mädels, die mitmachen, sind in diesem Jahr etwas „kurviger“, wenngleich dieser Ausdruck fast schon irreführend ist. Besagte Damen passen vermutlich nicht in Outfits der Konfektionsgröße 34, brauchen sich über ihre Figur aber dennoch keine Gedanken machen. Heidi Klum erklärte kurz vor dem Staffelauftakt, nun auch Kandidatinnen mit Kurven weiterkommen lassen zu können, da sich die internationale Modeszene verändert habe und nun auch ein Markt für solche Models existiere. Ihr daraus jetzt einen Strick zu drehen, scheint abenteuerlich.
Immerhin frisst der Fisch den Köder und nicht anders herum. Heidi Klums Einfluss auf die Modewelt mag zwar vorhanden sein, sie wird aber nicht mit einer Fernsehshow im vergleichsweise kleinen Deutschland Gewohn- und Gegebenheiten, die in einer sehr speziellen Branche teils über Jahrzehnte gegolten haben, plötzlich aufbrechen können. Man muss solche TV-Formate als das sehen, was sie sind: Unterhaltungsshows, deren Sieger a) Bekanntheit im jeweiligen Ursprungsland bekommt und b) eine echte Chance hat, in eine Branche einzusteigen, die für viele immer noch mit Glanz und Glamour verbunden ist.
Am Ende aber entscheiden die Designer, die Fotochefs von Hochglanzmagazinen und Marketing-Leiter drüber, welche Models momentan gebucht werden und somit en vogue sind. Shows wie «GNTM» können hierzu maximal kleine Schritte vorgeben. So orientiert sich Heidi Klum am Markt – würde sie das nicht tun, könnte man ihr nämlich vorwerfen, völlig an Gepflogenheiten und Marktbedingungen vorbeizuproduzieren, was ebenfalls einem schlechten Zeugnis gleich käme.
Erinnern wir uns zurück: Noch in den allerersten Staffeln galt es als No-Go für «GNTM»-Kandidatinnen, Tattoos zu tragen. Tätowierte Mädels wurden nicht nur einmal von Heidi Klum kritisiert. Hier hat der Markt inzwischen die Regeln geändert – es gibt erfolgreiche Tattoo-Models und auch abseits davon sind Zeichnungen auf der Haut kein Störfaktor. Der Markt änderte sich aber nicht wegen Fernsehsendungen, sondern weil in der Gesellschaft ein anderes Denken und Bewerten eingetreten ist. Die Folge: So lange Tattoos nicht in übertriebenem Maße vorhanden sind, stört sich aktuell keiner an Mädchen mit dieser Form von Körperschmuck.
So krass es klingt: «GNTM» ist ein Mitläufer im kleinen Modemarkt und darf es auch nicht so sehr als Aufgabe haben, zu versuchen, Marktregeln zu ändern. Allerdings haben die Macher durchaus die Aufgabe, Vorbild für die zahlreichen sehr jungen Zuschauerinnen zu sein und immer wieder auch gesundes Essverhalten und ein falsches, weil gefährliches Körperbild klar anzusprechen. Das passierte in den vergangenen Staffeln, könnte aber noch mehr in den Fokus rücken.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
07.03.2018 15:51 Uhr 2
08.03.2018 09:51 Uhr 3
Aber zum Thema, ich sehe es wie die Contra Seite von Herrn Weis. Es handelt sich hier um eine Unterhaltungssendung. Frau Klum will/muss Quote machen, um die Sendung und Werbeblöcke zu verkaufen. Da hat sie relativ wenig Einfluss auf die Suchkriterien der Kunden, die gehen halt dahin wo sie die Models finden, die sie suchen.
08.03.2018 11:54 Uhr 4
Das ist der springende Punkt! Neben den "Drama-Elementen", die ja in allen Casting-Shows bewußt geschürt werden um Quote zu generieren geht es vorwiegend darum, wen man danach am Besten Vermarkten kann. Je größer die Nachfrage nach normal aussehenden Models auf dem "Mode-Markt" um so größer die Chance, daß diese in solch einer Sendung eine Chance bekommen.
Und wenn man sich die Quoten der letzten und der aktuellen Staffel so anschaut, dann werden wohl alle, die eine Absetzung fordern, noch etwas warten müssen eh dieser Wunsch erfüllt wird.