Ernsthafte Feststellung: Der Ludwigshafener «Tatort» ist gerade der mit Abstand experimentierfreudigste. Das muss man anerkennen – auch wenn die Experimente keine inhaltliche Steigerung mit sich bringen.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Ulrike Folkerts als Lena Odenthal
Lisa Bitter als Johanna Stern
Peter Espeloer als Peter Becker
Annalena Schmidt als Edith Keller
Peter Trabner als Simon Fröhlich
Eva Bay als Dorothee Lorenz
Heiko Pinkowski als Bert "Humpe" Lorenz
Hinter der Kamera:
Produktion: SWR
Drehbuch: Sönke Andresen
Regie: Axel Ranisch
Kamera: Stefan SommerSeit
Kollege Kopper außer Dienst ist, scheint es im Ludwigshafener Kripo-Team noch mehr zu knatschen als sonst. Deshalb hat die gute Seele Edith (Annalena Schmidt) ein Teambuilding-Wochenende in einem entlegenen Gasthof im Schwarzwald organisiert. Die Motivation von Ediths Kollegen – Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), Johanna Stern (Lisa Bitter) und Peter Becker (Peter Espeloer) – hält sich bereits in Grenzen, als sich der Seminarleiter Simon Fröhlich (Peter Trabner) im gemieteten Kleinbus hoffnungslos auf einem Feldweg zwischen den überall gleich aussehenden Schneemassen verfährt. Als Fröhlich nach der Ankunft noch dazu einen arg sozialpädagogischen Einstieg in die dröge Gruppentherapie wählt, steht Odenthal schon kurz vor dem Abbruch, während Johanna Stern – stets die Pflichtbewusste und Vorschriftshörige – dem Ganzen doch noch etwas Positives abgewinnen will.
Von da an wird es nicht nur exzentrischer, sondern äußerst bizarr: Beim Abendessen paradiert der Landgasthofbetreiber – ein ehemaliger Knacki, der laut damaligem Urteil zwei Menschen umgebracht hat – eine alte Frau vor den vier Kripo-Gästen und ihrem verschrobenen Team-Trainer, die vor Jahrzehnten mal ein Filmstar gewesen sein soll, als diese Absteige tatsächlich einmal bessere Zeiten gesehen hat. Ansonsten trägt der schweigsam-autoritäre Gasthauschef Schweinehälften durch die Gegend, wenn er nicht gerade aus altem Groll auf den Dorfpolizisten losgeht oder mit der Ex-Schauspielerin ein privates Tänzchen hält.
Doch das war noch nicht der sonderbarste Teil des Abends: Im vegetarischen New-Age-Dinner – diese Marschrichtung hat natürlich der ökobewusste Seminarleiter vorgegeben – finden die Gäste Knochen: Menschenknochen, wie Peter Becker mit seinem geballten gerichtsmedizinischen Sachverstand bald ergänzt. Dass es im Keller rumpelt und die auch auf dem Hof hausende Dorothee (Eva Bay) immer hysterischer wird, macht die Atmosphäre nicht weniger gruselig. Fehlt nur noch, dass es so sehr schneit, dass kein Weg mehr in die Außenwelt führt, und jemand die Telefonkabel kappt, um ein bisschen „Mord im Orient-Express“ zu spielen.
Angesichts der Trägheit seiner Protagonisten und der langjährigen Verwaltung abgestandener dramaturgischer Allgemeinplätze mag es erstaunlich wirken, dass der Ludwigshafener «Tatort» vielleicht der experimentierfreudigste von allen ARD-Sonntagabendkrimis ist. Schon letztes Jahr wollte man mit einem experimentellen Film glänzen, bei dem man es für einen Clou hielt, Schauspiel-Profis mit teilweise jahrzehntelanger Erfahrung auf blutige Amateure loszulassen, im Glauben, daraus würde sich eine künstlerisch interessante Symbiose ergeben. Im Ergebnis trat eine Gefahr ein, die allen Experimenten innewohnt: Sie können schiefgehen. Das darf man feststellen, gerne auch pointiert – doch Häme wäre fehl am Platz.
„Waldlust“ setzt das Experiment des letzten Jahres fort und will wieder ohne ausformuliertes Drehbuch auskommen. Im Mindesten muss man zugeben, dass dieser Film zumindest nicht ganz so an die Wand gefahren wurde
wie die volkstümelnde „Babbeldasch“. Und tatsächlich erzählt man dieses Mal einen Stoff, der im Kern plausibler ist als viele andere, die man sich für den «Tatort»-Spielort Ludwigshafen im Regelbetrieb ausgedacht hat. Wäre er nur auch ein wenig interessanter.
Zu diesem Problem gesellen sich noch andere dem erzählerischen Gelingen abträgliche Faktoren: Denn es ist einem kohärenten filmischen Eindruck nicht gerade förderlich, wenn die bizarren Elemente regelmäßig die Grenzen ins Befremdliche bis Lächerliche überschreiten, und man statt in einer kultiviert unheimlichen Atmosphäre wie in «Twin Peaks» im mühselig aufrechterhaltenen Schwarzwälder Landgasthof landet. Da muss sich nicht nur Johanna Stern eine Pulle Schnaps schnicken, um die stümperhafte Inszenierung dieses Ambientes zu ertragen, die keinen aufrichtigen Sinn für ihren Spielort findet und meint, die Aneinanderreihung von Seltsamkeiten ließe bereits eine Atmosphäre entstehen, die guten Gewissens als schaurig-schön
uncanny beschrieben werden könnte.
Gleichzeitig bleibt das, was erzählt wird, trotz allem experimentierfreudigem Bohei schnödes Regelfernsehen: eine etwas prätentiöse Geschichte um einen lange zurückliegenden möglichen Justizirrtum, alten Groll und späte Rache, erzählerisch ambitionslos durchexerziert, mit vorhersehbaren Wendungen und wenig psychologischem Gehalt. Auch die Haltungen der Charaktere sind nicht gerade die spannendsten oder dramaturgisch ergiebigsten: Lena Odenthal ist schlecht gelaunt, Johanna Stern will heim zu ihren Kindern, und die gute Seele Edith versucht in all der Odenthal’schen Totalverweigerung doch noch positive Impulse für das Betriebsklima aus dem vergeigten Wochenende zu holen. Es dauert nicht lange, bis Johannas und Lenas permanenter Wunsch nach Abbruch sich auf den Zuschauer überträgt…
Das Erste zeigt «Tatort – Waldlust» am Sonntag, den 4. März um 20.15 Uhr.
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