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Mehr Arroganz wagen

Am Mittwochabend war in Sandra Maischbergers Sendung der öffentlich-rechtliche Rundfunk Thema: Tom Buhrow erläuterte die Fakten, Thomas Gottschalk brachte substanzielle Kritik vor und Beatrix von Storch machte abstruse Vorwürfe.

Es ist eine undankbare Aufgabe, eine Sendung zu einem Thema zu machen, bei dem man eigentlich selbst das Objekt der Berichterstattung ist. Von vornherein muss man sich dann den Vorwurf vieler journalistischer Todsünden gefallen lassen: vermeintlich mangelnde Objektivität, eine zu große Nähe zu dem Thema und den handelnden Personen, über das und die man spricht (und von denen man selbst eine ist), Einseitigkeit und fehlende Distanz. Sandra Maischberger nahm diese undankbare Aufgabe am Mittwochabend trotzdem auf sich; zu präsent ist die Volksabstimmung über ein Ende der Rundfunkgebühren in der Schweiz, als dass dieser Kelch an den öffentlich-rechtlichen Talk-Shows vorübergehen könnte, denn No-Billag hat auch die nie enden wollende Diskussion über die Relevanz, das Finanzierungsmodell, die inhaltliche Ausrichtung, die politischen Rahmenbedingungen und den journalistischen Wert des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland einmal aufs Neue befeuert.

Vermutlich um gerade den Vorwürfen der mangelnden Objektivität und der vermeintlichen Einseitigkeit das Wasser abzugraben, hat sich Sandra Maischberger neben «Tagesschau»-Sprecherin Pinar Atalay, WDR-Intendant Tom Buhrow und der herbstblonden Eminenz Thomas Gottschalk auch den ehemaligen ProSieben- und Premiere-Manager Georg Kofler (obwohl er die Branche schon vor einem Jahrzehnt verlassen hat) und die rechtsextreme Scharfmacherin Beatrix von Storch von der AfD eingeladen. Wenig verwunderlich, dass in der Sendung, in die auch ein «Weltspiegel-Spezial» über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in anderen europäischen Ländern eingebettet war, nicht nur lebhaft diskutiert, sondern auch reichlich sachverhaltsfremde Befindlichkeiten vorgetragen wurden.

Das Niveau der Sendung war keines, das man nicht bereits aus ähnlichen Diskussionsrunden kannte: Tom Buhrow versuchte routiniert, auf die gängigen Vorurteile mit Fakten zu entgegnen: die gigantischen Pensionsansprüche der Beschäftigten, die nun bereits da, wo es rechtlich eben gehe, reduziert würden; die ausufernde Bürokratie, die ja bereits abgebaut würde, aber ohne die es eben auch nicht so ganz gehe; die vielen Unterhaltungsprogramme, mit denen man dem Privatfernsehen unlauter Konkurrenz mache, wo das öffentlich-rechtliche Fernsehen gemäß Rundfunkstaatsvertrages doch auch einen Unterhaltungsauftrag und eine gesellschaftliche Sozialisationsfunktion habe.



Die zumindest in ihrer Zuspitzung vergleichsweise neuen (und abstrusen) Vorwürfe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kamen wenig überraschend von Beatrix von Storch: Sie warf ihm eine tendenziöse Berichterstattung vor, gerade zu Themen, für oder gegen die ihre Partei agitiert: Man berichte verzerrend über Trump und Brexit (gemeint hat sie: zu negativ) sowie über Deutschlands Aufnahme von einer Million Asylbewerbern (gemeint hat sie: zu positiv). Ihre Argumentation hat sie sogleich untermauert (und offenbart), indem sie auf den gerade eben ausgestrahlten Beitrag über die Eingriffe in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Polen Bezug nahm, der seit Beata Szydlos Ernennung zur Premierministerin tendenziös im Sinne der rechtskonservativen Regierung berichtet und Stimmung gegen die Europäische Union macht. Leider kam Tom Buhrow nur ganz am Schluss auf von Storchs offensichtliche, aber in dieser Sendung mühsam verklausulierte und hinter ihrer Rosenkranzmiene versteckte Motivation zu sprechen, aus der heraus sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland in seiner aktuellen Form tatsächlich ablehnt: Denn jedes Mal, wenn er darüber berichtet, wie sie auf Facebook kommentiert, dass man notfalls auch auf Menschen an der Grenze schießen solle, oder ihre Parteifreunde sich im obszönsten Duktus über Halbneger und die Merkelnutte auslassen, ist das für von Storch nur ein störendes Korrektiv.

Fasst man diese Beobachtung etwas weiter, wird schnell klar, warum eine Konstellation von Gästen, die entweder direkt vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen profitier(t)en oder aus seinem Ende oder zumindest radikalen Umbau politisches oder wirtschaftliches Kapital schlagen könnten, den Inhalten enge Grenzen setzt. So kam auch das Totschlagargument, mit dem zumindest die Funtamentaloppositionellen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf die Probe gestellt worden wären, vom anfangs aus der Schweiz zugeschalteten Kabarettisten Emil Steinberger, der den No-Billag-Initiatoren vorwarf, die realen Konsequenzen ihres Antrags nicht im Ansatz bedacht zu haben. Mit Blick auf das deutsche System hätte man gerade Beatrix von Storch fragen können: Nun gut, wie soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk dann konkret abgewickelt werden? Werden die Zehntausenden Angestellten einfach von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt? Wie soll sich die private Produzentenwirtschaft – ein Milliardengeschäft – auf die unmittelbaren Verwerfungen einstellen und welche Maßnahmen soll die Politik ergreifen, um sie zu stützen, oder will man sie lieber gleich vor die Hunde gehen lassen?

Beatrix von Storch wäre bei diesen Fragen am selben Problem gescheitert, mit dem Populisten mit ihren radikalsimplen Vorstellungen immer ins Schleudern geraten und die gerade auch Theresa May zu spüren bekommt, der der von Beatrix von Storch als nachahmenswert ins Spiel gebrachte Brexit um die Ohren fliegt: Der Teufel steckt im Detail, und die detaillierten Zwänge des Faktischen und Rechtlichen verhindern die Umsetzung der blauäugigen Vorstellungen von Populisten in der Realität. Sie in einem solchen Gespräch anzusprechen, wäre eines der wirksamsten Instrumente, um die unseriöse Qualität der Vorschläge herauszustellen, die von Leuten wie Beatrix von Storch ausgehen.

Eher für’s große Rad zuständig sah sich Thomas Gottschalk, dessen reichhaltige, aber sachdienliche und schmissig vorgetragene Anekdoten die wahren Probleme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ansprachen – und der, kurz und prägnant, aber frei von Populismus, einen optimistischen Blick in die Zukunft wagte, eben weil der Druck auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher durch die enorme Konkurrenz gerade so groß ist wie nie zuvor: „Heute geht allen die Pumpe, und das ist gut so.“



Denn natürlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht frei von Fehlern. Er ist wie jedes immense und Sachzwängen unterliegende Gebilde betroffen von allerhand inhaltlichen Defiziten, von Inkonsequentheiten und einer gewissen Trägheit, die sich wohl verringern, aber sicherlich nie ganz vermeiden ließe. Insofern war es angenehm, dass Tom Buhrow diese Sachzwänge wie auch die administrativen und inhaltlichen Erfolge ruhig und bedacht vortrug, auch wenn er im Detail zu Fehleinschätzungen neigte: Beim Blick ins Ausland, in eine Welt ohne starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, trug er die Situation in den USA mit einigem Grausen über den journalistischen Zustand der dortigen Privatsender vor, wobei ihm entging, dass gerade Kabelsender wie MSNBC einen Journalismus auf einem Niveau produzieren, das es in Deutschland so nicht gibt – auch nicht auf den Sendern, die Buhrow verantwortet.

Die weitsichtigste und vielleicht auch prägnanteste Diagnose kam unterdessen wieder von Gottschalk: „Den Öffentlich-Rechtlichen fehlt die Arroganz“, konstatierte er, und meinte die Arroganz, inhaltlich über den Privatsendern stehen zu können und sich nicht mit ihnen in den Quotentabellen messen lassen zu müssen. Und gerade diese Leitlinie – mehr Arroganz – könnte tatsächlich das herbeiführen, dessen Fehlen gerade Kritiker am öffentlich-rechtlichen Fernsehen stets bemängeln: besseres Programm.
02.03.2018 03:19 Uhr Kurz-URL: qmde.de/99388
Julian Miller

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Tagesschau Weltspiegel-Spezial

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Es gibt 11 Kommentare zum Artikel
Kaffeesachse
02.03.2018 18:31 Uhr 9
Die Grünen sind nun mal das Feinbild der Blauen und ihrer Lemminge. :lol:

Und immer reden alle nur über ARD und ZDF. Was ist eigentlich mit dem Radio (ichweiß, jetzt kommt gleich wieder wer und meint "ICH brauch das nicht")? Das kann man schon mal gar nicht verschlüsseln. Werbung? Lässt sich damit eine ordentliche Kulturwelle finanzieren? Nein. Dann zahlen wir doch alle dafür einen kleinen Betrag, wird jetzt mancher sagen. Ach ja, für etwas, das erst recht eine Minderheit nutzt? Das will ich sehen ... :lol:
Vittel
02.03.2018 19:05 Uhr 10
Das Radio steht nicht so sehr in der Kritik, weil Unterhaltungsradio nicht die Kosten verursacht wie TV-Unterhaltung und weil mehr Fokus auf Kultur, Information, Bildung ja von vielen Kritikern gefordert wird.



Man könnte digitales Radio natürlich auch verschlüsselt senden, man müsste dann nach DAB und DAB+ noch mal einen Standard DAB+2 einführen :)



Die Frage ist, ob man wirklich diese große Anzahl an Sendern noch braucht.

Hier hatte Kofler eine interessante Frage gestellt. Jahrzehntelang wurde der offizielle Grundversorgungsauftrag mit ARD/ZDF und den regionalen Dritten Programmen voll erfüllt. Es gab sogar einen Sendeschluss und noch mehr Wiederholungen.



Dann kamen das private TV mit unzähligen Sendern hinzu und später kam das Internet und hat Zugang zu Medienquellen erschaffen, die kein Mensch in 1000 Leben jemals konsumieren könnte.

Trotzdem wurde das Angebot von ARD/ZDF immer weiter ausgebaut. Wie passt das denn zusammen?
Familie Tschiep
03.03.2018 15:53 Uhr 11
Das öffentlich-rechtliche System sehen die Menschen als Bürger, die privaten als Konsumenten. Weil wir in der Demokratie Bürger brauchen, sind die Öffentlich-Rechtlichen notwendig. Diese Sichtweise auf den Menschen sollte auch die Art der Unterhaltung beim ÖR bestimmen.
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