►   zur Desktop-Version   ►

«Mozart in the Jungle»: Diesmal wird es ernst

Was macht es mit talentierten Musikern, wenn sie eine Liebesbeziehung anfangen? In Staffel vier von «Mozart in the Jungle» müssen Hailey und Rodrigo dies für sich herausfinden. Wie gut sind die neuen Folgen der Amazon-Produktion?

Cast & Crew «Mozart in the Jungle»

  • Erfinder: Roman Coppola, Jason Schwartzman, Alex Timbers, Paul Weitz
  • Idee basiert auf einer Buchvorlage von Blair Tindall
  • Darsteller: Lola Kirke, Gael García Bernal, Saffron Burrows, Bernadette Peters u.a.
  • Ausf. Produzenten: Roman Coppola, Jason Schwartzman, Paul Weitz
  • Produktion: American Zoetrope, Depth of Field, Picrow, Amazon Studios
  • Folgen: 10 in S4 (je ca. 30 Min.)
Letzter Ausweg Baby: Wenn Paare in Fernsehserien Nachwuchs bekommen, ist das unter Drehbuchautoren und Kritikern normalerweise ein Zeichen für fehlende Inspiration. Dafür, dass eigentlich alle spannenden anderen Geschichten auserzählt sind und dass man nun mit der Brechstange Änderungen herbeiführen muss.

Die neue Staffel von «Mozart in the Jungle» spielt mit diesem ungeschriebenen Gesetz gleich zu Beginn: Hailey wacht von Babygeschrei in ihrem Zimmer auf, versorgt das Kind, doch immer mehr Schreie erhallen. Die Kamera schwenkt auf ein halbes Dutzend jungen Nachwuchses, Vater Rodrigo erscheint und kümmert sich ebenfalls. Haben Star-Dirigent Rodrigo und Oboistin Hailey – ihr Protegé – etwa so viele aufstrebende Musiker auf die Welt gebracht?

Ein paar Sekunden später wird der Spuk aufgelöst: Hailey hatte einen bösen Traum, aber zumindest ein bisschen Wahrheit steckte in ihm: Rodrigo ist offenbar bei Hailey eingezogen – anfangs noch inoffiziell. Der Status Quo: Nachdem die junge Musikerin und ihr Chef am Ende der dritten Staffel eine romantische Beziehung angefangen haben, gilt es auszutüfteln, wie man mit der neuen Situation gegenüber Öffentlichkeit und Freunden umgeht. Geheim halten? Sich vor allen die Liebe gestehen?

Eine Grundfrage der neuen vierten Staffel von «Mozart in the Jungle» ist nicht nur, wie die ungewöhnliche Liebesbeziehung der Beiden nach außen wirkt, sondern auch nach innen: Was macht es mit talentierten Künstlern, wenn sie sich gleichzeitig lieben? Wie fließen die romantischen Gefühle in ihre Arbeit ein, wird ihr Schaffen besser oder schlechter? Rodrigo scheint sich darum wenig Gedanken zu machen, dabei fehlt gerade ihm die Muse: Der Dirigent „fühlt“ die Musik nicht mehr so wie früher. Auch sein Vorgänger beim New York Symphony Orchestra, Thomas Pembridge, macht dies deutlich: Das Orchester spiele sicher, routinemäßig – aber inspirationslos und ohne Leidenschaft. Eine völlig ungewöhnliche Entwicklung für die Musiker, die doch eigentlich vom wohl impulsivsten und ungewöhnlichsten Dirigenten der Welt geführt werden.

Auch Haileys berufliche Zukunft ist ungewiss. Nachdem sie es nicht in das New York Symphony Orchestra geschafft hat, versucht sie sich als freie Dirigentin und muss ihr Können später bei einem Wettbewerb in Japan unter Beweis stellen. Ob sie ihre Passion endlich findet oder weiter auf der Suche nach ihrer Leidenschaft ist, wird auch in den ersten Folgen dieser vierten Staffel nicht geklärt. Die nachdenkliche Musikerin macht sich sehr viele Gedanken – auch über die Verschmelzung von Beruflichem und Privatem: Als Hailey und Rodrigo zu ihren Eltern aufs Land fahren, warnt sie ihn vor. „Sie sagen Dinge, die nett sind, aber giftig. Sie lassen dich abheben, aber nehmen dich gleichzeitig gefangen.“ Es ist eine Metapher für die Beziehungskiste, in der die beiden Künstler stecken: Die gegenseitige Liebe lässt sie fliegen, aber vielleicht können sie der Musik damit nicht mehr genug Liebe entgegenbringen.

«Mozart in the Jungle»: Mehr inhaltliche Frische als zuvor


In Staffel vier von «Mozart in the Jungle» wird dieser Gegensatz immer wieder und spannend auserzählt. Den Start der dritten Staffel kann man keinesfalls toppen, eröffnete diese damals doch mit großartigen Bildern aus dem idyllischen Venedig (dafür macht die vierte Runde gegen Ende einen Abstecher nach Japan). Die Macher haben sich dagegen zu einem langsamen erzählerischen Start entschieden, der sehr stark auf die Beziehung zwischen Hailey und Rodrigo fokussiert ist. Hat man diese – zugegebenermaßen ausufernde – Strecke hinter sich gelassen, nimmt die Amazon-Serie Tempo auf. Dies liegt auch daran, dass endlich der viel zu lang eingehaltene Status Quo des New Yorker Orchesters, um dessen Streik es in den ersten drei Staffeln ging, fallen gelassen wurde. Sie spielen wieder! Und damit ergeben sich neue Probleme für die Verantwortlichen, allen voran für Rodrigo.

Staffel vier ist damit eher von erzählerischer Frische geprägt, die auf die veränderten Figurenkonstellationen und die neuen Entwicklungen auf privater Ebene (die Beziehung) und beruflicher Ebene (u.a. Ende des Streiks) zurückzuführen sind. In den vorherigen Staffeln hatte man teils das Gefühl, dass fehlende oder zu langsame inhaltliche Entwicklungen kaschiert werden – mit imposanten Bildern und banalen Storylines. Das alles wird zurückgefahren zugunsten der wirklich grundsätzlichen Fragen um Haileys und Rodrigos Zukunft; die neuen Folgen bekommen damit bisweilen auch einen deutlich ernsteren Ton. Auch die weiteren Darsteller erzählen ihre Geschichten weiter, darunter Thomas Pembridge, der sich einem Start-Up-Orchester anschließt und neue musikalische Seiten an sich entdeckt – ganz im Gegensatz also zu Rodrigo.

«Mozart in the Jungle» bleibt auch nach vier Staffeln noch die beste Serie im Portfolio der Amazon-Eigenproduktionen. Sie verbindet gewöhnliche Geschichten von Liebe, Sinnsuche und Freundschaft mit der ungewöhnlichen Schaffenskraft von Kunst. Was Musik in Menschen bewirken kann – und umgekehrt – zeigt die Serie verdienstvoll. Gael García Bernal als impulsiver Star-Dirigent spielt eine der spannendsten Figuren im Seriengeschäft, und das in Staffel vier endlich wieder auf einer sehr tiefgründigen Ebene. Die Gefahr, Rodrigo zu einem Musik-Kasper zu machen, der einfach alle Probleme lasziv wegspielt, ist damit vom Tisch. Gleichzeitig wird durch die neue Beziehung auch der weibliche Hauptcharakter, Hailey, erstmals auf Augenhöhe mit Rodrigo geführt. Überholt sie ihn etwa sogar als talentierte Dirigentin?

Sicher sind auch mit dieser vierten Staffel die Geschichten rund um die New Yorker Musiker längst nicht auserzählt. Dies bleibt umso mehr festzustellen, als Amazon nicht dafür bekannt ist, seinen eigenen Serien ein langes Leben zu bescheren: Von den Drama- und Comedy-Serien schaffen es derzeit nur «Transparent» und «Bosch» auf ebenfalls vier Staffeln, und gerade im Comedy-Bereich ist meist spätestens nach drei Seasons Schluss. Zuletzt mussten dies «Red Oaks» und «One Mississippi» leidvoll erfahren.

«Mozart in the Jungle» sollte die rühmliche Ausnahme dieser Serienpolitik sein – hoffentlich noch für längere Zeit.

Die vierte Staffel von «Mozart in the Jungle» ist ab Freitag, 16.02.2018, auf Amazon Prime Video abrufbar.
16.02.2018 10:25 Uhr Kurz-URL: qmde.de/99090
Jan Schlüter

super
schade

91 %
9 %

Artikel teilen


Tags

Bosch Mozart in the Jungle One Mississippi Red Oaks Transparent

◄   zurück zur Startseite   ◄
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel
Werbung

Qtalk-Forum » zur Desktop-Version

Impressum  |  Datenschutz und Nutzungshinweis  |  Cookie-Einstellungen  |  Newsletter